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Vom Star-Chirurg zum Scharlatan
Der tiefe Fall des Forschungsbetrügers Macchiarini

Als der italienische Chirurg Paolo Macchiarini 2011 dem ersten Patienten eine künstliche Luftröhre einsetzte, wurde das weltweit als medizinische Sensation gefeiert. Doch keiner der operierten Patienten hat den Eingriff überlebt. Inzwischen ist klar, Macchiarini hätte diese Operationen nicht durchführen dürfen.

Von Christine Westerhaus | 06.11.2017
    Die Transplantation der synthetischen Luftröhre im Juli 2011. Die operierten Patienten starben.
    Die Transplantation der synthetischen Luftröhre im Juli 2011. Die operierten Patienten starben. (SCANPIX SWEDEN/EPA/KAROLINSKA UNIVERSITY HOSPITAL/dpa picture alliance)
    Als Paolo Macchiarini 2010 an das renommierte Stockholmer Karolinska-Institut berufen wurde, galt er als Lebensretter. Er hatte eine Operationstechnik entwickelt, bei der er nachgebaute Luftröhren aus einem Plastikmaterial mit körpereigenen Stammzellen besiedelte. Niemand zweifelte damals daran, dass diese künstlichen Organe funktionieren würden, erinnert sich der schwedische Chirurg Karl-Henrik Grinnemo. Er hat 2010 gemeinsam mit Paolo Macchiarini und seinem Team am Karolinska-Institut gearbeitet.
    "Damals herrschte am gesamten Karolinska-Institut und am Karolinska-Krankenhaus das Gefühl, dass mit Macchiarini ein Star rekrutiert wurde. Dass wir durch ihn einen großen Schritt vorankommen würden und Organe nicht nur im Labor züchten, sondern im Patienten einsetzen können."
    Methode nicht im Tierversuch erprobt
    Während andere Forscher noch an Möglichkeiten tüftelten, menschliche Stammzellen in eine dreidimensionale Form zu bringen, testete Macchiarini seine künstlichen Luftröhren direkt an Patienten. Angeblich war der Eingriff für sie die letzte Rettung. Doch keiner der drei operierten Menschen ist noch am Leben. Schon 2013 kamen Karl-Henrik Grinnemo und seine Kollegen Paolo Macchiarini auf die Schliche. Sie forschten nach und entdeckten, dass Macchiarini seine Methode nicht zuvor im Tierversuch erprobt hatte. Die Operationen waren auch nicht zuvor von der schwedischen Ethikprüfungskommission genehmigt worden.
    "Wir haben uns alles angesehen, was es an Veröffentlichungen über diese Operationstechnik gab und was in den Krankenakten über die Patienten stand. Und da wurde uns klar, dass alles nur Lug und Betrug war – dass diese Methode nicht funktioniert."
    Artikel basierten auf gefälschten Forschungsdaten
    Grinnemo und seine Kollegen alarmierten die Leitung des Karolinska-Instituts. Doch diese stellte sich zunächst hinter Macchiarini. Und zwar auch noch, als ein externer Gutachter zu dem Ergebnis kam, dass der italienische Chirurg Forschungsdaten gefälscht hatte. Erst als Anfang 2016 der schwedische Fernsehsender SVT über den Fall berichtete, reagierte die Institutsleitung und zog die Konsequenzen: Macchiarini und sein Team wurden entlassen, der Chef des Karolinska-Instituts trat zurück und auch der Vorsitzende der Nobelversammlung, die jedes Jahr den Nobelpreis für Medizin vergibt, legte seinen Posten nieder. Gleichzeitig wurde ein Expertenteam eingesetzt, das Macchiarinis Publikationen genauer unter die Lupe nehmen sollte. Nun sind die Gutachter zu dem Ergebnis gekommen: Sämtliche Artikel über den Erfolg der Luftröhren-Transplantationen sollten zurückgezogen werden, weil sie gefälschte Forschungsdaten enthalten.