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Vom Umgang der Kirche mit der Moderne

Das künftige Kirchenoberhaupt steht vor einer existenziellen Frage für die Katholiken: Wie hält es die Kirche mit der Autonomie des Individuums? Der neue Papst muss klären, wie der Vatikan zu modernen Lebensentwürfen steht.

Von Monika Konigorski | 12.03.2013
    "Wenn man sich moderne Gesellschaften anschaut, so gilt das als gerecht, was den Einzelnen möglichst großen Spielraum in der individuellen Lebensführung gestattet. Das heißt: Die Lebensentwürfe dürfen frei gewählt werden, solange sie nicht andere Menschen betreffen."

    Sagt Magnus Striet, katholischer Fundamentaltheologe an der Universität Freiburg im Breisgau. Der moderne Mensch betrachtet die Welt nicht mehr selbstverständlich als Schöpfung Gottes. Zu glauben ist eine Option – unter vielen. Damit, so Striet, erhebe der Mensch der Moderne sich nicht über Gott. Vielmehr gehe er davon aus: Gott selbst will, dass der Mensch sein Leben in Freiheit riskiert: mutig, verantwortungsvoll, lustvoll.

    Diesem Gedanken aber ist unter den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. vom Lehramt vehement widersprochen worden. Vor seiner Wahl zum Papst hatte Josef Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, gegen die "Diktatur des Relativismus" gewettert. Zwar war es eines seiner zentralen Anliegen, Vernunft und Glaube miteinander ins Gespräch zu bringen. Aber:

    "Der Knackpunkt bei Benedikt XVI. liegt da, dass er immer bereits weiß, was die wahre, die rechte Vernunft ist. Und kollidierte sein Verständnis mit dem, was als vernünftig zu denken ist, mit dem was andere Menschen als vernünftig begreifen, so schließt er gleich aus."

    Beispiel: Homosexuelle Lebenspartnerschaften.

    "Zur Moderne gehört es, dies zu akzeptieren, weil sozusagen diese Lebensgemeinschaft nicht kollidiert, mit dem Recht, mit der Auffassung von Menschen, die in anderen Lebensgemeinschaften kollidieren. Benedikt XVI. dagegen geht hin und setzt einen objektiven Maßstab dagegen und sagt: unerlaubt, weil naturwidrig. Und das ist etwas, was dauerhaft nicht funktionieren wird."

    Moderne Lebensentwürfe setzen auf Autonomie. Die, so Striet, sei nicht zu verwechseln mit Willkür. Heutige Biographien gestalteten sich anders als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wer sein Leben in Freiheit riskiere, könne eben auch scheitern. Mit diesen Brüchen müsse der moderne Mensch leben.

    Wer den Menschen kritisiert, dass er sein Leben in Freiheit gestalten will, kann mit ihm nicht im Gespräch bleiben. Das katholische Lehramt verweist an dieser Stelle der Diskussion gewöhnlich gerne auf den Zeitgeist. Ihm dürfe man sich nicht vorbehaltlos anpassen. Dem stimmt Striet zu. Und kritisiert, dass sich die römisch-katholische Kirche unter den vergangenen Päpsten völlig zeitgeistgemäß verhalten habe. Zeitgeist sei heute, dass man von den eigenen Überzeugungen abweichende Vorstellungen rigoros ablehne und schlechtrede, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Moderne, so Striet, habe Benedikt reduziert auf Gewalt, Pluralismus und eine angebliche Diktatur des Relativismus.

    "Moderne ist für ihn ein Gebilde, das er am Ende nicht versteht. Die Pluralität, die dort herrscht. Auch die Religionslosigkeit, die er dort meint, feststellen zu können. Das passt einfach nicht in sein Weltbild. Und die innerkatholischen Konflikte lassen sich präzise so rekonstruieren: Die allermeisten Katholikinnen und Katholiken leben nicht anders, als andere der Modernität verpflichtete Menschen. Und das löst dann innerkatholisch die Spannungen aus."

    Das Zugehen Benedikts auf Traditionalisten wie die Piusbrüder erhöhte diese Spannung. Denn die Piusbrüder tragen die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums nicht mit. Deren Verständnis von Glaube und Kirche erklärt Striet für unvereinbar mit der Katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanum.

    "Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit den Traditionen des 19. Jahrhunderts gebrochen. Es hat ein neues Verhältnis zum Recht auf Religionsfreiheit, teilweise auch zur Gewissensfreiheit gefunden. Man hat sich neu justiert, was das Verhältnis zu anderen Religionen, auch zu anderen christlichen Kirchen angeht. Und von daher hat die Piusbruderschaft mit ihrer Lesart des II. Vatikanischen Konzils recht, es findet ein Bruch statt, und zwar mit einer bestimmten Tradition, und zwar mit der päpstlich-kirchlichen Tradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts."

    Sagt Striet. Der künftige Papst ist damit vor eine für die katholische Kirche existentielle Entscheidungssituation gestellt. Sie lautet: Wie hält sie es mit der Moderne?

    "Die römisch-katholische Kirche wird sich auf allen Ebenen dieser Frage stellen müssen, und das ist keine Frage, die nur – das muss man immer wieder betonen – für Europa gilt. Sie gilt genauso für den US-amerikanischen Kontext, die gilt genauso für den lateinamerikanischen Kontext und sie gilt auch für den afrikanischen Kontext, vom asiatischen Kontext ganz zu schweigen."

    Themenseite: Die Papst-Wahl