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Vom Versagen der Heilslehren

Die RuhrtTriennale mit ihrem diesjährigen Schwerpunkt zum Barockzeitalter wollte im Rahmen eines Symposiums einen Bogen spannen von den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts bis hin zu aktuellen Globalisierungsdebatten. Unter dem Motto "Vom Versagen der Heilslehren" wurde dabei auch über die Frage diskutiert, wie man den Konflikt zwischen Islam und Christentum entschärfen könnte.

Von Dina Netz |
    Es ist wie ein Kirchgang: Dunst liegt über Bochum an diesem Sonntagmorgen, kaum ein Mensch auf den Straßen, die wenigen strömen gemessenen Schrittes in die Kathedrale der Industriekultur. Sie hoffen, höhere Weihen zu empfangen, denn fünf Männer und eine Frau, die sich damit auskennen, wollen über das Heil diskutieren.

    "Das Heil, was ist das für eine Idee, wo kommt sie her? Heil als Adjektiv ist ein Allerweltswort und bezeichnet das Gegenteil von kaputt oder beschädigt. Heil als Substantiv ist alles andere als ein Allerweltswort. Dieser Begriff versetzt uns aus der Reparaturwerkstatt in die Kirche. Offenbar hat "Heil" einen Bedeutungswandel durchgemacht, und die Frage stellt sich, unter welchem Druck es dazu kam."

    Der Ägyptologe Jan Assmann meint, mit dem Monotheismus begann die Orientierung der Menschheit auf ein künftiges Heil. Er zitierte Augustinus: "Heiden gehen im Kreis, Christen in gerader Linie auf die Zukunft zu." Und von dieser Erkenntnis aus kam Assmann auf direktem Weg zum Thema des Symposiums: Die Heilslehren versagen heute, weil wir keine Zeit für Utopien und große Entwürfe haben. Die Welt erscheint uns beschädigt, und erst einmal geht es darum, unseren Planeten ökologisch nicht völlig herunterzuwirtschaften. Focus-Kulturchef Stephan Sattler zog aus derselben Beobachtung, dass es der Welt nicht gut geht, andere Schlüsse:

    "Heilslehren vergehen nicht, weil Menschen ihrer bedürfen. [...] Trotz der Dogmatomachien, der Religions- und Ideologiekriege: die Heilslehre scheint nicht kaputtzugehen. Dagegen ist Skepsis im sokratischen Sinne ein hoffnungsloser Fall."

    Wir erleben das Expandieren der Heilslehren! stimmte der Publizist Navid Kermani leidenschaftlich ein und verschob den Akzent der Veranstaltung von der Kulturgeschichte zur Tagespolitik, worüber alle Beteiligten ganz dankbar schienen. Zumindest prima vista ist es leichter, sich über den Konflikt zwischen Christentum und Islam zu äußern, als etwas Kluges über das Versagen der Heilslehren zu sagen. Der Politologe Otto Kallscheuer erläuterte, warum als einzige Heilslehre nur die Religion, wenn nicht gar eine einzige Weltreligion übrig ist:

    "Heute als weltpolitisch relevante Ideologie steht halt der Islamismus da. Andere sind nicht mehr zur Verfügung bzw. haben im historischen Erfahrungsraum [...] bereits versagt."

    Und wir säkularen Westler stehen staunend und besorgt davor. Die Philosophin Carolin Emcke brachte persönliche Betroffenheit ein, indem sie zugab, der Anschlag auf das World Trade Center wirke bei ihr bis heute nach:

    "Wenn Sie mir vor dem 11. September [...] diesen Anschlag beschrieben hätten, hätte ich das mit Sicherheit für irgendeine Verschwörungstheorie von Konservativen, die gern die Rüstungsindustrie aufmöbeln wollen. Ich hätte diesen Anschlag für unmöglich gehalten. Was bei mir eine große Verunsicherung verursacht hat, ist, [...] das Gespür verloren zu haben dafür, was ich für wahrscheinlich und für unwahrscheinlich halte."

    Ihn haben die Anschläge nicht überrascht, entgegnete Jan Assmann:

    "Unsere Identität ist die Konstruktion der anderen. Das haben wir nicht zur Kenntnis genommen, dass wir so ein Feindbild abgeben für andere. Das Bedrohungspotential, die Angst vor dem Islam verhindert die Erkenntnis, die Auseinandersetzung."

    Moderator Michael Naumann stellte sodann die Frage der Fragen: Welche Möglichkeiten es denn nun gäbe, Terror und Feindschaft zu begegnen. Ratlosigkeit schlug ihm entgegen:

    "Das ist natürlich ein Problem, für das einen die Ägyptologie nicht vorbereitet."

    Niemand erwartete gleich eine neue Heilslehre, aber selbst für eine Vision für eine Verständigung zwischen Orient und Okzident hätte es vermutlich mehr islamischer Diskutanten bedurft statt wohlinformierter, aber letztlich ratloser Westler. So blieb die einzige perspektivische Idee Navid Kermani vorbehalten:

    "Wir müssen versuchen, und das fällt natürlich Kulturwissenschaftlern besonders schwer, die Kultur ein bisschen zu dämpfen und auf die soziologischen, ökonomischen, politischen Ursachen zu beharren – die natürlich das kulturelle Element nicht leugnen. Aber es einordnen in den [...] säkularen Wahrnehmungszusammenhang."

    Wir müssen die Heilslehren also sogar zum Versagen bringen. Aber ob der Mensch dann endlich aus sich heraus die Fähigkeit zum Glück entwickelt?