"Die Ausgangsfrage, die ich mir in diesem Buch stelle, ist, was die Anziehungskraft des Wassers ausmacht", so John von Düffel. "Diese Frage habe ich mir am Anfang des Buches selber gestellt, sozusagen fast identisch mit der Erzählsituation, wo eine Figur am Wasser, am Rhein, sitzt und sich nach der starken Anziehungskraft des Wassers auf sich fragt. Ich habe verschiedene Aspekte entdeckt, Ängste und natürlich auch Gelüste oder Sehnsüchte nach dem Wasser. Im Grunde ist es ein sehr wandelbares, vielfältiges Element, zu dem man nicht nur eine Beziehung oder eine Art von Beziehung haben kann. Meine Erfahrung ist, daß diese Beziehungen sehr ambivalent oder komplex sind. Daß es sowohl Angst wie auch den Wunsch, dort zu sein, gibt. Die Angst vorm Untergehen und die Lust am Schwimmen, das ist beides gleich stark und gleich groß, und für mich ist es so, daß viele Figuren in dem Buch Charakterzüge tragen, die mein Verhältnis zum Wasser mit ausmachen. Eine gewisse Feindseligkeit gegenüber diesem Element, eine gewisse Scheu vielleicht auch, und gleichzeitig beinahe der Zwang, dorthin immer zurückzukehren, das Wasser zu suchen, im Schwimmen, im Fischen, in langen Spaziergängen, im Schauen auf das Wasser, ständig auch die Nähe dieses Wassers atmen zu müssen, die Gerüche und so weiter. Das ist ein großes Spektrum von Wassermotiven, die mich im Leben auch immer wieder angezogen haben und die in verschiedenen Figuren in diesem Roman auch vorkommen."
"Der Fluß hatte sein Schweigen über das Werk meines Ururgroßvaters verhängt" heißt es nach dem Unglück, das der Familie widerfuhr. Der Verfasser kokettiert durchaus mit dem Fatalismus des "panta rhei" - alles fließt. "Wir kehren immer zum Wasser zurück", lautet das Leitmotiv. Der Firmenerbe nimmt es am Ende wieder auf. In der Erzählgegenwart versucht er am Rheinufer in Basel, mit seinem Liebeskummer fertig zu werden.
Nachdem der Harkemann also den "listigen und lustigen" Ururgroßvater geholt hat, übernimmt der Urgroßvater die Geschäfte, ein Mann mit Zahlenverstand. Als zwei seiner Söhne im Ersten Weltkrieg sterben, muß der künstlerisch begabte, doch hinkende Drittgeborene, der Großvater des Erzählers, die Firmenleitung antreten. Seine Liebesgeschichte mit einem Küchenmädchen fällt zeitlich in den Zweiten Weltkrieg. Sie bildet das Zentrum der Handlung. Von Düffels Absicht war es aber nicht, einen historischen Roman zu verfassen: "Die deutsche Geschichte so als ferner Bach im Hintergrund. Es ist so, daß Flüsse eine weite Reise zurücklegen, und alle Flüsse auch aus der Vergangenheit kommen und Vergangenheit auch angereichert haben und im Erinnern begriffen sind, aber die deutsche Geschichte als eigentliches Thema kommt im Buch nicht groß vor. Sie ist ein Faktor im Alltag der Figuren. Und es ist, glaube ich, so beschrieben, wie wir heute auch Geschichte wahrnehmen. Wir nehmen manchmal Ereignisse, die unser Leben verändern, schon wahr, weil Geschichte das Leben von Menschen verändert, aber ich habe nicht versucht, Geschichte oder deutsche Geschichte zu beschreiben, sondern wie das Leben von verschiedenen Menschen abgelaufen ist. Geschichte hat da manchmal eingegriffen, manchmal mehr, manchmal weniger, aber es ist eben doch nur ein ganz ferner Hintergrund, eine ferne Folie für das, was den Figuren eigentlich passiert."
Wassergleich zu schreiben, in der Form des Romans Atem zu schöpfen, bedeutet für John von Düffel auch einen Ausgleich für die Hektik des Theaterbetriebs. Der Rückzug des Autors in sein Lieblingselement, in das übergangslose Fließen des Wassers, und die stilistische Umsetzung dieser Bewegung in Sprache, steht in der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur ohne Vergleich da.
Der Romancier gewinnt seinem einen Thema unzählige Wendungen und Varianten ab, er hantiert erstaunlich geschmeidig mit Kaskaden von Alliterationen und Adjektiven. In der Gestalt der Köchin, der Großmutter des Erzählers, hat er inmitten der Männerdynastie eine beeindruckende Frauenfigur geschaffen. Mit ihrer Art der Forellenzubereitung entfacht sie die Liebe des Papierfabrikanten. Dem Autor gelingt in diesem Kapitel ein lukullisches Kabinettstück. Am Ende fühlt der Erzähler, daß er dem Geheimnis des Wassers ein gutes Stück näher gekommen ist. Man glaubt ihm aufs Wort. So sehr sich John von Düffel über den Erfolg freut, so wenig will er doch als literarischer Wassermann festgelegt werden: "Nein, es ist sogar ein bißchen Angst dabei. Ich werde momentan so sehr damit identifiziert, daß beispielsweise die vielen Dinge, die ich fürs Theater geschrieben habe, die damit kaum etwas zu tun haben, denn Wasser und Theater sind ja völlig feindliche Medien oder Elemente, wenn man so will, daß das alles darunter subsumiert wird. Daß man jetzt sozusagen den Wasser-Düffel in allen Dingen sucht. Und natürlich habe ich ganz andere Dinge gemacht, und mich auch immer sehr stark auf die unterschiedlichen Stoffe und Motive eingelassen, mich diesen Gegenständen immer sehr hingegeben. Ich habe mich bei meinem Buch ‘Vom Wasser’ dem Wasser sehr hingegeben, mich dem Element sehr gewidmet, und von daher trägt es eben diese wassergleichen Züge. Wenn ich mich einem anderen Thema hingebe - die sind nicht alle austauschbar, da gibt es schon einen Grund, warum einen etwas interessiert und etwas anderes nicht-, dann möchte ich dem auch gerecht werden und ihm keine fremde Form überstülpen."
Mit zwei anderen Theaterautoren, Theresia Walser und Moritz Rinke, arbeitet John von Düffel zur Zeit an dem Projekt "Leibschreiben": Drei Schauspielern werden buchstäblich Stücke auf den Leib geschrieben. Zum Literaturbetrieb, der seinen Erstling stürmisch an die Brust drückte, möchte sich der Dramaturg eine gesunde Distanz bewahren: "Zunächst einmal ist die Theaterwelt eine ganz andere Welt als die Welt des Literaturbetriebs. Mit dem Literaturbetrieb habe ich gottlob sehr positive Erfahrungen gemacht, ich habe versucht, mich nicht zu sehr einzumischen. Es gibt ja Autoren, die sehr stark versuchen, auf Kontakte zu gehen, Leute kennenzulernen, ich hatte das Glück, daß man sehr stark auf mich zugekommen ist, und daß ich auch nicht viel tun mußte, damit diese für mich sehr positiven Dinge wie die verschiedenen Preise und so weiter passieren. Da hatte ich einfach Glück, da bin ich nicht nur ein Günstling des Wassers, sondern auch des Literaturbetriebs gewesen. Das ist aber ein Zufall. Das kann auch schnell wieder vergehen, das wissen wir alle. Mein Ziel ist eigentlich, dadurch daß ich im Theaterbereich sehr eingebunden bin, auch als Dramaturg arbeite und nicht nur als Autor für das Theater und natürlich auch die Hintergründe vielfach kenne, im Literaturbetrieb genau das Gegenteil zu tun. Ich möchte mich dort nicht so sehr einmischen, ich möchte auch viele Dinge einfach gar nicht wissen. Ich möchte mich dort auf das Schreiben konzentrieren können. Wenn das Leute schön finden oder gut finden oder interessant, um so besser, wenn das nicht der Fall ist, werde ich nicht versuchen, diesen Literaturbetrieb zu verändern oder mich dort besonders hervorzutun. Es geht mir darum, so eine gewisse Unschuld wenigstens diesem Bereich gegenüber zu erhalten, denn im Theaterbereich ist es so, daß ich sehr viel kenne und sehr viel weiß, und dieses Wissen manchmal auch ein Problem ist für einen Autor."
Könnte sich John von Düffel eine ähnliche epische Sympathieerklärung an eines der anderen Elemente vorstellen? Der Marathonschwimmer verneint. Was er sich höchstens als Alterswerk vorbehält, wäre ein Roman über das Element Luft, inspiriert durch eine gleichnamige Bach-Sonate. Doch bis dahin wird noch viel Wasser die Flüsse Orpe und Diemel hinunterfließen, zwei neue Wasseradern der literarischen Landschaft.