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Vom Winde verweht

Pflanzenproduktion in großem Maßstab ist ohne chemischen Schutz nicht möglich, nur der Einsatz von Pestiziden garantiert lukrative Ernten. Allerdings haben Pflanzenschutzmittel bedenkliche Nebenwirkungen: Ein Teil wird über Boden und Luft wegtransportiert und belastet teilweise viele Tausend Kilometer entfernte Ökosysteme. Wie viel Prozent eines ausgesprühten Pestizids nicht in und auf der Pflanze wirkt, sondern über den Globus wandert, ließ sich bisher nur ungenau berechnen. Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich haben nun eine Methode entwickelt, mit der sie exakt messen, was auf und in der Pflanze verbleibt und was der Wind verweht.

Von Mikro Smiljanic |
    Jülich, ein kleines Städtchen zwischen Köln und Aachen. Am Ortsrand erstreckt sich über mehrere Hektar das ehemalige Kernforschungszentrum. Heute beschäftigt es sich zunehmend mit Umwelt- und Agrarfragen.

    Wir sind hier am Windkanal im Freigelände des Instituts für Agrosphäre, und dieser Windkanal ist zur Bestimmung von Pflanzenschutzmitteln und anderen organischen Chemikalien im Agrarökosystem gebaut worden. Er ermöglicht uns die Verflüchtigung von Pflanzenschutzmitteln in einem feldnahem oder Semifeldmaßstab zu messen.

    ...erzählt der Umweltchemiker Volker Linnemann und zeigt auf eine leise vor sich hinsummende Anlage aus Glas, Stahl, Röhren und einem Feld im Miniformat.

    Wir nehmen einen Bodenausschnitt, wie er auch auf dem Feld ist, der ist hier im Windkanal einen halben Quadratmeter groß, und bringen dort nach der guten landwirtschaftlichen Praxis wie der Bauer es draußen auf dem Feld macht, unsere Pflanzenschutzmittel aus, wir sprühen sie auf die Pflanze zu dem Zeitpunkt, wo sie gerade wirken sollen. Danach wird sehr schnell der Windkanal geschlossen und der Luftstrom - der simulierte Luftstrom - angeschaltet und danach diese Luft am Ende des Kanals hier auf der linken Seite in diesem gläsernen Turm gesammelt

    ...und in genau vorgegebenen Zeitintervallen analysiert. Dabei geht es einmal um die Konzentration der vom Winde verwehten Pestizide, aber auch um deren Abbauprodukte: Manche Substanzen sind nicht stabil und zerfallen binnen kürzester Zeit unter der Sonneneinstrahlung. Was nicht bedeutet, dass sie jetzt unschädlich sind, manchen Metabolite sind giftiger als das ursprüngliche Pflanzenschutzmittel. Im Visier haben die Jülicher Agrarchemiker aber nicht nur die Luft.

    Also, wir verwenden die Pflanzenschutzmittel nicht so, wie sie gekauft werden, sondern arbeiten mit den Herstellern zusammen, die uns diese Substanzen als radioaktiv markierte Substanzen liefern, und diese Radioaktivität ermöglicht uns, hinterher eine Bilanz aufzustellen. Wir nehmen hinterher die Pflanze, wir nehmen die Luft über den Versuchszeitraum, aber auch den Boden und das Wasser, zum Beispiel Regenwasser, das die Pflanzen für den Zeitraum brauchen, und analysieren dies genau auf die vorher ausgebrachte Radioaktivität und sind so in der Lage, unsere Bilanz bis etwa 99 Prozent zu schließen.

    So kann man verfolgen, wo genau sich wie lange die Pestizide verteilen: Innerhalb der ersten Tage etwa verbleiben sie zu 60 Prozent in der Pflanze, zu 10 Prozent im Boden, der Rest wandert durch die Luft. Wie viel Pflanzenschutzmittel verwehen, variiert von Substanz zu Substanz.

    Stark verflüchtigen sich gerade die alten Insektizide, zum Beispiel E 605, das ist ein sehr bekanntes, dieses verflüchtigt, wenn man über 14 Tage geht teilweise bis zu 70 Prozent, das sind dann schon enorme Mengen. Es gibt heute von den modernen Pflanzenschutzmittel, die sind so kreiert, dass sie gar nicht mehr verflüchtigen oder nur sehr wenig, 0,1 oder 1 Prozent, aber auch dieses können wir noch messen.

    Im Windkanal lassen sich die Umweltbedingungen simulieren, unter denen besonders wenig Pestizide in die Luft und ins Grundwasser verschwinden. Dafür hat Volker Linnemann eine weiter Versuchsanlage aufgebaut.

    ...mit der wir dann unter genau definierten Versuchsbedingungen, beispielsweise einer Temperatur oder einer Sonneneinstrahlung, die gleichen Chemikalien untersuchen können mit gleichen Windgeschwindigkeiten, und dort können wir dann feststellen, welche Effekte sind denn jetzt zuständig für die Verflüchtigung.

    Nur eine Frage lässt sich nicht beantworten: Wohin driften die einmal freigesetzten Umweltgifte? Für diese Berechnung reichen auch die stärksten Computer nicht.