Bevor er starb, sammelte Charles Kindleberger Material. Er analysierte, ob die Preise für Häuser in Amerika zu stark stiegen. Der 93-jährige Ökonom vom berühmten MIT-Institut sah eine Blase auf dem Immobilienmarkt, er fürchtete, dies könnte die Wirtschaft in eine Krise stürzen. Häuser und Wohnungen hatten sich zu sehr verteuert. Kurz vor Kindlebergers Tod im Sommer 2003 war solcher Pessimismus unpopulär. Wissenschaftler und Investmentbanker wähnten sich im Besitz der Wahrheit. Risiko? Hatten sie durch ihre mathematischen Modelle ausgeschlossen. Eine Finanzkrise wie 1929? Konnte gar nicht mehr passieren. Was wollte der alte Kindleberger eigentlich? Heute ist die Welt klüger. In den letzten Jahren fegte die schwerste Finanzkrise seit 1929 über den Globus. Die Ursache war eine Blase am US-Immobilienmarkt, kombiniert mit spekulativen Wertlos-Papieren. Charles Kindleberger war einer der wenigen, die warnten. Daraus ist zu lernen, dass Mahner Gehör finden sollten, während all die Banker und Investoren von goldenen Zeitaltern mit ewigen Superrenditen faseln. Es lohnt sich also, zur Neuauflage eines Klassikers von Kindleberger zu greifen. Obwohl das Thema im ersten Moment arg historisch wirkt und das Buch vor vierzig Jahren geschrieben wurde. "Die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1939" behandelt die größte ökonomische Depression des 20. Jahrhunderts – und weist als Lehrstück in die Zukunft.
"Zum Versagen der Wirtschaftspolitik kommt es leicht. Vom Anfang bis zum Ende der Depression werden wir ein Beispiel nach dem anderen für das finden, was im Nachhinein als wirtschaftlicher Analphabetismus erscheint."
Kindleberger war beim Ausbruch der Krise Student der Ökonomie. Später arbeitete er im US-Außenministerium am Marshall-Plan zum Wiederaufbau Europas. Akribisch nimmt er die 20 schwarzen Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unter die Lupe, all die Schuldenprobleme, Börsenkräche und Massenentlassungen.
"Der Börsenkrach vom Oktober 1929 rührt in meiner Erinnerung keine Saite. Wie alle Welt wusste ich davon, aber einem Studenten im zweiten Universitätsjahr sagte das alles wenig."
Diese Perspektive Kindlebergers ist für den normalen Leser von Vorteil. Steht er doch – damals wie heute – ratlos vor all den Milliardenbeträgen und Fachtermini, mit denen Banker, Politiker und Ökonomen jonglieren. Nach und nach blättert Kindleberger die Jahre vom Ende des Ersten bis zum Anfang des Zweiten Weltkriegs auf, "Aufrüstung in einer zerfallenden Weltwirtschaft" heißt das letzte Kapitel und deutet das größte Verhängnis des 20. Jahrhunderts an. Während Kindleberger am MIT lehrte, erlebte die Mathematik in der Ökonomie ihren Aufschwung. Politisch Denkende wie der Praktiker Kindleberger wurden als "Wirtschaftshistoriker" belächelt. In der aktuellen Finanzkrise hat sich gezeigt, wie limitiert die mathematischen Modelle sind – und wie berechtigt ein breiter Blick auf die Wirtschaft. In die Zukunft gerichtet ist Kindlebergers Analyse, weil damals wie heute die Politik darüber entscheidet, ob aus einer Krise ein globaler Flächenbrand wird und wie lange er dauert. Herausgeber Max Otte, der die aktuelle Finanzkrise in seinem Buch "Der Crash kommt" vorwegnahm, schreibt in seinem Vorwort:
"Für Kindleberger fehlte es in der Zwischenkriegszeit an politischer Führung und an dem Willen, eine solide internationale Wirtschaftsordnung zu gestalten. Die Zeit von 1919 bis 1939 ist geradezu eine Aneinanderreihung von Fehlern."
Kindleberger formuliert sein Credo so:
"Das internationale Wirtschaftssystem braucht eine führende Nation, die bereit ist, ein Verhaltensmuster anzubieten, die anderen Länder dafür zu gewinnen und einen unverhältnismäßig großen Teil der Bürden des Systems auf sich zu nehmen. Es ist der Tenor dieses Buches, dass sich die Dauer der Weltwirtschaftskrise teilweise, und ihre Heftigkeit weitgehend dadurch erklären lassen, dass die Briten nicht in der Lage waren, ihre Rolle als Garant des Systems fortzusetzen und die Vereinigten Staaten bis 1936 nicht bereit waren, diese Rolle zu übernehmen."
Weil Frankreich, Deutschland, die USA und Großbritannien gegeneinander arbeiteten, kam die Welt einst lange nicht aus der Krise. Und heute? Der Globus scheint rasch aus der Krise gekommen zu sein. Doch alle Industriestaaten drücken immense Schulden, die lockere Politik der US-Notenbank beschwört Inflation herauf. Eine führende Nation, die im Sinne Kindleberger das System stützt, gibt es weit und breit nicht. Amerika kann die Rolle mangels Kraft nicht mehr spielen. Und die Europäische Union ist zu uneins, um mit einer Stimme zu sprechen. Die Unsicherheit ist groß. Deshalb lohnt es sich, bei Charles Kindleberger nachzulesen, wie schlimm ein Finanzkollaps enden kann - und welche Fehler sich die Politik nicht erlauben darf.
Charles P. Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939. Finanzbuch Verlag München, 410 Seiten, 24,95 Euro. ISBN: 978–3-89879-614-9
"Zum Versagen der Wirtschaftspolitik kommt es leicht. Vom Anfang bis zum Ende der Depression werden wir ein Beispiel nach dem anderen für das finden, was im Nachhinein als wirtschaftlicher Analphabetismus erscheint."
Kindleberger war beim Ausbruch der Krise Student der Ökonomie. Später arbeitete er im US-Außenministerium am Marshall-Plan zum Wiederaufbau Europas. Akribisch nimmt er die 20 schwarzen Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unter die Lupe, all die Schuldenprobleme, Börsenkräche und Massenentlassungen.
"Der Börsenkrach vom Oktober 1929 rührt in meiner Erinnerung keine Saite. Wie alle Welt wusste ich davon, aber einem Studenten im zweiten Universitätsjahr sagte das alles wenig."
Diese Perspektive Kindlebergers ist für den normalen Leser von Vorteil. Steht er doch – damals wie heute – ratlos vor all den Milliardenbeträgen und Fachtermini, mit denen Banker, Politiker und Ökonomen jonglieren. Nach und nach blättert Kindleberger die Jahre vom Ende des Ersten bis zum Anfang des Zweiten Weltkriegs auf, "Aufrüstung in einer zerfallenden Weltwirtschaft" heißt das letzte Kapitel und deutet das größte Verhängnis des 20. Jahrhunderts an. Während Kindleberger am MIT lehrte, erlebte die Mathematik in der Ökonomie ihren Aufschwung. Politisch Denkende wie der Praktiker Kindleberger wurden als "Wirtschaftshistoriker" belächelt. In der aktuellen Finanzkrise hat sich gezeigt, wie limitiert die mathematischen Modelle sind – und wie berechtigt ein breiter Blick auf die Wirtschaft. In die Zukunft gerichtet ist Kindlebergers Analyse, weil damals wie heute die Politik darüber entscheidet, ob aus einer Krise ein globaler Flächenbrand wird und wie lange er dauert. Herausgeber Max Otte, der die aktuelle Finanzkrise in seinem Buch "Der Crash kommt" vorwegnahm, schreibt in seinem Vorwort:
"Für Kindleberger fehlte es in der Zwischenkriegszeit an politischer Führung und an dem Willen, eine solide internationale Wirtschaftsordnung zu gestalten. Die Zeit von 1919 bis 1939 ist geradezu eine Aneinanderreihung von Fehlern."
Kindleberger formuliert sein Credo so:
"Das internationale Wirtschaftssystem braucht eine führende Nation, die bereit ist, ein Verhaltensmuster anzubieten, die anderen Länder dafür zu gewinnen und einen unverhältnismäßig großen Teil der Bürden des Systems auf sich zu nehmen. Es ist der Tenor dieses Buches, dass sich die Dauer der Weltwirtschaftskrise teilweise, und ihre Heftigkeit weitgehend dadurch erklären lassen, dass die Briten nicht in der Lage waren, ihre Rolle als Garant des Systems fortzusetzen und die Vereinigten Staaten bis 1936 nicht bereit waren, diese Rolle zu übernehmen."
Weil Frankreich, Deutschland, die USA und Großbritannien gegeneinander arbeiteten, kam die Welt einst lange nicht aus der Krise. Und heute? Der Globus scheint rasch aus der Krise gekommen zu sein. Doch alle Industriestaaten drücken immense Schulden, die lockere Politik der US-Notenbank beschwört Inflation herauf. Eine führende Nation, die im Sinne Kindleberger das System stützt, gibt es weit und breit nicht. Amerika kann die Rolle mangels Kraft nicht mehr spielen. Und die Europäische Union ist zu uneins, um mit einer Stimme zu sprechen. Die Unsicherheit ist groß. Deshalb lohnt es sich, bei Charles Kindleberger nachzulesen, wie schlimm ein Finanzkollaps enden kann - und welche Fehler sich die Politik nicht erlauben darf.
Charles P. Kindleberger: Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939. Finanzbuch Verlag München, 410 Seiten, 24,95 Euro. ISBN: 978–3-89879-614-9