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Vom Wurm lernen

Bionik. - Ein bescheidener Wurm vom Meeresboden hat einen phantastischen Schnellkleber entwickelt. Materialforscher der Universität Utah wollen den Stoff nachahmen und für chirurgische Einsätze nutzen. Auf der Tagung der Amerikanischen Chemiker in Washington haben sie gerade den Stand ihrer Forschung vorgestellt.

Von Arndt Reuning |
    Phragmatopoma californica ist der Name jenes Geschöpfes, das dem Chemiker Russell Stewart als Inspirationsquelle für seinen Knochenkleber dient.

    "Das ist ein Ringelwurm, der im Meerwasser vor der Küste lebt. Er wohnt in einer Röhre aus Mineralien, die er aus kleinen Steinen und Muschelstückchen zusammen leimt. Mit kleinen Klecksen von Klebstoff, den er selbst herstellt. Wir wollten wissen, wie das Material funktioniert und ob wir das Prinzip vielleicht kopieren könnten, um einen ähnlichen Kleber für medizinische Anwendungen zu entwickeln."

    Das besondere an dem Leim ist, dass der Wurm ihn unter Wasser benutzen kann. Mit haarfeinen Tentakeln fischt der gerade einmal zwei Zentimeter große Winzling Bruchstücke von Muscheln aus dem Wasser und sondert dann den Klebstoff ab. Sobald der mit dem Meerwasser in Kontakt kommt, wird er zunächst zähflüssig. In diesem Zustand kann der Wurm ihn auf die Bausteine seiner Röhre drücken. Nach einer guten halben Minute härtet er dann allmählich aus. Um hinter das Geheimnis des Unterwasser-Klebers zu kommen, hat sich der Biochemiker von der University of Utah in Salt Lake City dessen chemische Zusammensetzung angeschaut.

    "Zum größten Teil besteht er aus Eiweißverbindungen, also Proteinen. Aber auch aus mineralischen Bestandteilen, sehr viel Calcium und Magnesium. Die Proteine sind stark aufgeladen – manche negativ, andere positiv. Wir glauben, dass sie sich gegenseitig elektrostatisch anziehen, und dass das dazu beiträgt, wie der Kleber funktioniert."

    Ein Zweikomponenten-Kleber aus unterschiedlichen geladenen Eiweißverbindungen. Nachdem Russell Stewart hinter den molekularen Bauplan des natürlichen Materials gekommen war, entwickelte er mit seinem Team eine synthetische Variante im Labor. Stewart:

    "Wir haben Kunststoffe benutzt, die eher weit verbreitet sind. Mit ihnen haben wir versucht, die chemische Struktur des Wurmklebers und speziell seine Ladungen nachzuahmen. Wir haben auch eine negativ und eine positiv geladene Komponente synthetisiert. Als wir beide miteinander gemischt haben, haben wir einige der Eigenschaften des natürlichen Klebers wiedergefunden."

    Der synthetische Polyacrylatkleber funktioniert ebenfalls unter Wasser. An der Oberfläche von Knochen haftet er sogar doppelt so fest wie sein natürliches Vorbild. Um damit Knochenteile zu verbinden, die stark belastet werden, ist das aber nicht genug. Die Erfinder haben eine andere Anwendung im Hinterkopf. Stewart:

    "Knochenbrüche mit vielen kleinen Fragmenten. Normalerweise werden solche Verletzungen mit Metallteilen versorgt, mit Platten, Nadeln und Stiften. Mit denen lassen sich zum Beispiel stark gesplitterte Gelenke wieder herstellen. Die großen Metallteile wollen wir mit unserem Kleber gar nicht ersetzen. Aber kleine Bruchstücke könnte man wieder an den Knochen dran leimen. Wenn die Fragmente zu klein sind, wird es nämlich schwierig, sie mit Hilfsmitteln aus Metall zu befestigen."

    Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg des Knochenklebers wird seine Bioverträglichkeit sein. Erste Versuche haben gezeigt, dass er für das umliegende Gewebe ungiftig ist. Weitere Untersuchungen sollen nun zeigen, wie das Immunsystem des Körpers auf das Material reagiert. Wenn alles glatt geht, dürfte es trotzdem noch einige Jahre dauern, bis der Klebstoff auf den Markt kommt.