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Von Achsbrüchen und viereckigen Rädern

Justiz.- Gebrochene Achsen, kaputte Räder: Trotz mehrfacher Verschleißerscheinungen innerhalb eines Jahres, ist die Deutsche Bahn vom Vorwurf der mangelnden Wartung ihrer Züge freigesprochen worden. Sönke Gäthke im Gespräch mit Gerd Pasch.

    Gerd Pasch: Freispruch für die Bahn in Sachen Wartung bei wem hat denn die Staatsanwaltschaft prüfen lassen? Die hat doch in der Regel kein eigenes Labor.

    Sönke Gäthke: Hat sie nicht in der Tat, beim Bundesamt für Materialprüfung, ja. Das war auch sicher ein guter Schritt. Denn bisher war es fast immer so, dass bei Unfällen die Untersuchungen im Hause der DBAG liefen. Und das ist ungefähr so, als wenn bei einem Tanklastzug die Bremsen versagen, und nicht etwa der TüV, sondern der Spediteur, der den Wagen hat fahren lassen, prüft, was passiert ist.

    Pasch: Die Bahn hat ja jetzt einen Freispruch bekommen; sie hat die Züge ausreichend gewartet.

    Gäthke: Das ist richtig, aber zufriedenstellend ist dieser Freispruch nicht: Nach Auskunft der Staatsantwaltschaft, die sich auf das Gutachten stützt, hat ein Materialfehler, der nicht zu erkennen gewesen wäre, den Achsbruch verursacht. Jetzt sind sich aber Ingenieure fast sicher, dass ein solcher Riss langsam entsteht und Zeit braucht, eher er sich durch eine ganze Achse frisst. Dieser Aspekt taucht in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft nicht auf, stattdessen der Hinweis, man werde aus Rücksichtnahme auf interne Untersuchungen der Bahn nichts weiter zum Thema sagen, was sich auch auf das erstellte Gutachten beziehen dürfte. Das übrigens, und das ist das Zweite, was nicht zufriedenstellend läuft, sehr lange gebraucht hat, bis es fertig war. Ein Jahr. Hätte es sich um einen Konstruktionsfehler gehandelt, wären der ICE ein Jahr lang mit diesem Fehler herumgefahren. Es wäre sehr zu wünschen, wenn es ein unabhängiges Institut mit Erfahrung beim Bahnbetrieb gäbe.

    Pasch: Wie sieht es denn in Berlin aus, wer prüft da, warum vor drei Monaten das Rad gebrochen ist?

    Gäthke: Das geschieht in diesem Fall im bahneigenen Untersuchungszentrum in Brandenburg, gemeinsam mit dem Eisenbahn-Bundesamt. Und die werden der Frage nachgehen, warum das Rad gebrochen ist. Wann die Untersuchung abgeschlossen ist, ist noch offen, es scheint aber so, dass diesmal kein Materialfehler für den Radbruch sorgte.

    Pasch: Gibt es denn dafür Hinweise?

    Gäthke: Die gibt es, zum einen der Bruch selbst. Gebrochen ist das Rad einmal rund herum entlang der Nabe. Das ist die Stelle am Rad, wo die Scheibe sich nach außen wölbt, verdickt, und in deren Mitte sich die Achse steckt. Diese Fläche am Rad ist ziemlich gut sichtbar, wenn man denn genau hinschaut. Und ein Bruch dieser Größe, einmal rund herum, das passiert nach Auskunft verschiedener Ingenieur nicht von heute auf morgen, auch nicht in vierzehn Tagen, sondern das braucht länger. Die S-Bahn hatte aber in ihren eigenen Vorschriften festgehalten, dass alle 14 Tage jemand um den Zug herumgehen und ihn genau inspizieren soll. Dieser jemand hätte den Bruch entdecken können. Das zeigt schon eine Stichproben-Kontrolle des EBA, bei dem ein Fünf-Zentimeter-Bruch entdeckt wurde. Zum anderen gibt es weitere Indizien, etwa in der Berliner Zeitung von heute. Dort heißt es, die Räder seien nicht rund gewesen, sondern polygonal. Heißt vieleckig, nicht mehr richtig rund. Das kann immer mal passieren, wenn sich eine Bremse nicht richtig löst, dann schleift das Rad kurz auf der Schiene, und dabei wird die Rundung an der Stelle flach geschliffen, der Eisenbahner spricht von Flachstelle. Wer an einer Bahnstrecke lebt, das kann man hören, ein regelmäßig wiederkehrendes Poltern, Schlagen auf die Schiene.
    Normalerweise schleifen die Werkstätten diese Räder in regelmäßigen Abständen wieder rund. Kein Problem. Wenn aber Experten viele Flachstellen in den Rädern finden, dann sind die lange nicht mehr geschliffen worden.

    Pasch: Das scheint mir auf ein zweites Problem hinzuweisen: Wie oft muss die Deutsche Bahn AG ihre Fahrzeuge prüfen, damit sie ihrer Aufgabe gerecht wird, für einen sicheren Betrieb auf den Schienen zu sorgen?

    Gäthke: Das ist im Augenblick die große Streitfrage zwischen Eisenbahn-Bundesamt und Deutscher Bahn AG. Die Normen und Berechungen für die Bruchfestigkeit von Achsen sind zum Teil recht alt, die Grundlagen wurden im vorletzten Jahrhundert erarbeitet. Seitdem hat sich einiges getan, die Züge fahren schneller, sie können sich in die Kurve legen, aber andererseits sparen die Netzbetreiber am Unterhalt der Gleise, was auch wieder für die Räder und Achsen schlecht ist. Dazu kommt, dass die Frage, wie sich ein Bruch eigentlich entwickelt, noch gar nicht so genau erforscht ist. Die Bruchmechanik ist eine sehr junge Disziplin, und daher fördert das Wirtschaftsministerium jetzt auch zwei Projekte, die sich mit der sicheren und wirtschaftlichen Auslegung und dem Betrieb von Fahrwerken beschäftigen sollen.

    Pasch: Beschränkt sich deren Arbeit nur auf Personenzüge, oder werden da auch Güterwagen einbezogen?

    Gäthke: Güterwagen sind ein besonderes Problem. Auch sie müssen gewartet werden, auch sie dürfen nicht zu lange ungeprüft fahren. Dass es jetzt in Italien zu dem Unglück mit den Gaswagen gekommen ist, hat daher das Eisenbahnbundesamt auf den Plan gerufen, das jetzt mit den Waggonbetreiben ausloten will, wie die Wartung verbessert werden kann. Aber anders als beim Personenverkehr sind Güterwagen absolute Low-Tech-Gefährte, die noch dazu überall in Europa herumrollen. Zum Teil wussten die Bahnverwaltungen noch nicht einmal, wo die Waggons gerade steckten. Nur in der Schweiz gibt es Detektoren für Gefahrgut-Züge, die einen entgleisten Zug erkennen und bremsen sollen. Das Problem ist jedoch: Es darf nichts kosten.