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Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur

Alle reden von Popliteratur, aber keiner weiß so genau, was das eigentlich ist. Daher verwundert es nicht, dass jetzt die Deuter auf den Plan treten. Einige Publikationen zu diesem Thema sind inzwischen erschienen, die umfangreichste Recherche stammt von Johannes Ullmaier, Redaktionsmitglied der Mainzer Buchreihe Testcard. Beiträge zur Popgeschichte. Sein umfangreich bebilderter Band, in Sachen Lay-Out und Grafik an Rolf Dieter Brinkmanns ACID-Anthologie orientiert, beruht auf einer vierteiligen Reihe von Radiobeiträgen, und das ist das Gute und das Schlechte daran.

Enno Stahl |
    Einerseits fällt der Argumentationsteil mit seinen 170 Seiten wohl noch zu schmal aus, um seinem Thema in der Gänze gerecht zu werden. Andererseits wartet das Buch mit einer Unzahl an Originalzitaten von Autoren und Kritikern auf, die ausgesprochen anschaulich beleuchtet, was es mit dem Thema Popliteratur in Deutschland auf sich hat, dass es nämlich zuallererst ein Diskurs- und Medienthema ist. Selten wurde über eine literarische Richtung, über eine Anzahl von Autoren soviel geschrieben, gestritten, ja "gelabert". Jeder, der eine Meinung dazu hatte, hat diese auch unbarmherzig kundgetan. Welchen Beitrag leistet nun Ullmaier für diese Diskussion, welche neue Sicht vermittelt sein Buch?

    Die neue Sicht kommt vielleicht dadurch zustande, dass ich versuche, aus diesem Streit, den es gibt, sind jetzt die neune Popliteraten toll oder sind sie vielleicht doch ganz Scheiße, dass ich da versuche, ein bisschen auszubrechen, dass ich diese Diskussion zwar am Anfang spiegele und die wichtigsten Positionen da auch wiedergebe, dann aber schon versuche, so einen großen Bogen zu machen und sowohl historisch als auch in andere Richtungen so ein bisschen zu entfalten, was also Popliteratur eben auch sein kann oder sein könnte oder auch schon ist, was aber meistens überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Also der Hauptansatz ist einfach eine Erweiterung der Perspektive überhaupt schon auf das Vorhandene. Die Diskussion über Popliteratur und auch der Begriff, so wie er kreiert wurde, meint eigentlich seit 1995 eine Riege von jungen, meist im Medienwesen gut etablierten Autoren, die 'straight' erzählen, die oft Partyerlebnisse oder ihre Lebenswelt in einfacher Sprache, erkennbar abspiegeln und damit entweder als Symptom erkannt werden und als solches gehasst oder gelobt werden oder als große Zeitdiagnostiker zum Teil eben aufspielen. Und mir ging's eben einfach darum, diesen Blickwinkel prinzipiell schon mal zu verlassen, und zu sagen, das ist eben ein Phänomen unter anderen, es gibt eben andre Szenen und andere Ansätze, es gibt auch andere formale Traditionen, die zum Teil auch schon wesentlich früher beginnen, es gibt andere Rezeptionslinien, und darum gings mir eigentlich, die zumindest erst mal zu dokumentieren. Es ist natürlich überhaupt keine endgültige, es soll überhaupt keine endgültige Behandlung dieses Themas sein. Es ging überhaupt nur mal darum, das Gegenstandsfeld zu erweitern, die Fragestellung ein bisschen zu erweitern.

    Vermutlich wird kein Engländer, kein Amerikaner, um nur die am meisten popkulturell sozialisierten Nationen zu nennen, diese deutsche Diskussion überhaupt nachvollziehen können. Pop ist in Deutschland so etwas wie Epiphänomen, etwas, was zum Leben dazu kommt und daher gesondert interpretiert, theoretisiert und problematisiert werden muss, anstatt einfach als eine Erscheinungsform des Lebens selbst zu gelten. Ist nicht schon von daher auch Popliteratur ein schwammiger, ein virtueller Begriff? Wäre es nicht sinnvoller, einfach nur von Literatur zu sprechen, die Texte sogenannter "Popautoren" unter diesem Aspekt zu thematisieren?

    Man muss, glaub ich, bei dem Popliteraturbegriff zwei Verwendungen unterscheiden, das eine als Marketing-Begriff, und da ist er eben wirklich eingeschränkt auf junge Autoren, die hip sind, die auch im Medienwesen auftauchen und entsprechend gefeaturet und vermarktet werden, das ist diese eine Art von Pop. Und dann gibts eine breitere Art von Popliteratur, und da, glaube ich, gibt es schon sachliche Anhaltpunkte, davon zu sprechen, einfach duch bestimmte Traditionen von Oberflächenschau, von Cut-up, von 'expanded'-Literatur, von bestimmten Themen auch, der Ausrichtung von Texten nach musikalischen Kriterien, von starker Durchdringung mit Sound, mit Cut-up-Verfahren, das sind alles Sachen, die jetzt, völlig unabhängig von diesem Hype, mit Pop zu tun haben könnten, so dass der Begriff schon in einem anderen Sinne als er heute normaler Weise verwendet wird, sinnvoll wäre. Ob man das jetzt wirklich als Regelbegriff oder als literaturwissenschaftlichen Begriff braucht, ist 'ne andere Sache, aber ich fürchte, das ist wirklich eine Eigenart von Deutschland, das man jetzt nicht so wie in England oder Amerika so eine Pop-Sozialisation bei allen Leuten, die unter 80 sind, voraussetzen kann.

    Dieser Ballast an Poptheorie, der uns die Beschäftigung mit den aktuellen literarischen Erscheinungsformen so erschwert, konkretisiert sich etwa in der Frage nach dem subversiven Charakter von Pop, seiner Scheinaffirmativität. Das sind Aspekte, die Anfang der 80er Jahre von Intellektuellen wie Diedrich Diederichsen, Thomas Meinecke und Rainald Goetz ins Spiel gebracht worden sind, die nun immer wieder an Texte, die sich popliterarisch gebärden, herangetragen werden. Autoren wie Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad-Barre sehen sich so stets dem Verdacht der Konformität, der Angepasstheit ans System ausgesetzt und damit auch dem Vorwurf, das sei eigentlich gar keine Popliteratur. Diese andere "wirkliche" Popliteratur, die noch immer subversiv und radikal agiert, kann es die heute überhaupt noch geben?

    Ich glaub schon, dass es noch subversive Anhaltspunkte für Popästhetik heute gibt, aber nicht mehr so absolut gesehen, sondern eigentlich wirklich nur kontext-relational. Also, das heisst, wenn man das schaffen würde, ins Literarische Quartett mit irgendeinem komplizierten Poptext zu kommen, dann hätte der schon eine gewisse Differenzqualität [CUT: STREICHEN: und auch noch 'ne bestimmte Verstörungsqualität [], bei den entsprechenden Sachen ist es schon noch so, dass das deutlich anders ist etc.], nur prinzipiell kann man nicht sagen, dass Pop jetzt so die positive Utopie wäre, wenn man den Begriff nicht genau differenziert, denn eigentlich ist auch die Gesamtgesellschaft, die gesamte "Neue Mitte" medial gesehen schon Pop und sich darin noch irgendwo subversiv abheben zu wollen, ist meistens 'n schöner Selbstbetrug.

    Das klingt fatalistisch, besonders vom Verfasser eines Buches, das die vierzig-jährige Begriffsgeschichte der Popliteratur vom deutschen Beat der 60er Jahre bis zur Popperliteratur der heutigen Zeit mit viel Aufwand an Quellen und Material nachzuzeichnen versucht. Der ausführliche bibliografische Anhang belegt - und das ist eine dankenswertesten Leistungen des Ullmaier-Buches -, dass unter den Vorzeichen von Pop und Untergrund immerhin einige tausend Bücher, Fanzines und Schriften entstanden sind, das Phänomen also doch eine beträchtliche Tiefen- und Breitenwirkung entfaltet hat. Ist das jetzt alles Makulatur? Gibt es gar keinen Ausweg für innovative Bemühungen auf diesem Bereich?

    Pop ist tot, es lebe der Pop. Man muss eben gucken, welcher Pop. Es geht eben nicht mehr darum, Pop gegen irgendwas anderes zu setzen, sondern es geht darum im Pop den Pop von Gerhard Schröder und den Scorpions von dem Pop, den 's vielleicht kurzfristig mal bei den Sex Pistols gab, zu unterscheiden.