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Von Adressjägern und Klo-Spionen

Zum 13. Mal wurden jetzt die Big Brother Awards verliehen. Diesmal kam die Jury zu dem Ergebnis, den ungeliebten Preis für die größten Datenkraken in allen Kategorien an bekannte Unternehmen und Institutionen zu vergeben. Zur Preisverleihung selbst traute sich jedoch keiner der Ausgezeichneten.

Von Wolfgang Noelke | 13.04.2013
    So viele Big-Brother-Preisträger gab's noch nie, denn in einer der fünf Kategorien, dem Bereich "Politik" dürfen sich gleich alle 16 deutschen Ministerpräsidenten mit der zweifelhaften Ehre schmücken, mit der Umwandlung der Rundfunk-Gebühreneinzugszentrale GEZ in den "Beitragsservice" – aus Sicht der Jury - nicht nur ein juristisch fragwürdiges Konstrukt geschaffen zu haben, sondern einen "Big Brother", der - im Vergleich zur GEZ - einen dreimal so hohen Datenbestand anhäufen soll. Laudator Frank Rosengart vom Chaos Computer Club:

    "Wenn zum Beispiel mehrere Leute in einer Wohnung wohnen, muss einer zahlen – und die anderen? Sie müssen dem Beitragsservice die entsprechende Kundennummer des Zahlenden nennen, um der Zahlungspflicht zu entgehen. Das bedeutet, der Beitragservice registriert nicht nur jede Wohnung, sondern auch, wer mit wem in dieser Wohnung wohnt. Damit weiß der Beitragsservice genauso viel über uns, wie die Einwohnermeldeämter – wenn nicht sogar noch mehr!"

    Viele andere Wohnungstüren stünden unfreiwillig offen, für zahlende Kunden der "Deutsche Post Adress GmbH & Co KG", so der Laudator der Preisträgerin der Kategorie "Wirtschaft", Professor Sönke Hilbrans. Zum Beispiel würde "Post Adress Move" jährlich neun Millionen Umzugsdaten argloser Menschen sammeln, weil sie nach ihrem Umzug einen Nachsendeantrag stellten, ohne zu ahnen, dass ihre Daten teuer verkauft würden:

    Hilbrans:

    "Für einen Aufpreis können sie ihre Adressdaten bei einer Tochter unserer Preisträgerin noch mit über fünf Millionen zusätzlicher Umzugsadressen aus früheren Jahren abgleichen. Unsere Preisträgerin bietet ihnen zusätzlich an, vom Bestattungsunternehmen angelieferte oder sogar selbst von Hand ausgegrabene Adressen Verstorbener und andere unzustellbare Adressen aus Ihrem Adressbuch zu tilgen."

    Eine makabere Bezeichnung. Daten über 19 Millionen Gebäude, 34 Millionen Haushalte und ungfähr eine Milliarde Zusatzdaten, wie Altersstruktur, Familienformen, Kaufkraft, Gebäudedaten und Konsumvorlieben hätte die 2001 schon mit dem Big Brother ausgezeichnete Direktmarketing-Abteilung der Post im Angebot. Dies wäre bescheiden im Vergleich mit Google. Google würde dank seiner marktbeherrschenden Stellung in so vielen Punkten europäisches Recht missachten, meinen die beiden Laudatoren der Kategorie "Globales Datensammeln", Rena Tangens und der Künstler "padeluun", dass sie empfehlen:

    "Google muss zerschlagen werden."

    "Diese über Jahre angehäufte, detaillierte Profilesammlung der Milliarden Menschen ist eine Gefahr an sich. Denn was passiert, wenn die Aktionäre mehr Geld wollen oder wenn Google an einen anderen Konzern verkauft würde? Was passiert, wenn die Daten in richtig böse Hände geraten? Und: welche Regierung, welcher Geheimdienst wäre nicht scharf auf diese Informationen?"

    Alles über Mitarbeiter wissen will - nach Ansicht der Jury - auch die Preisträgerin in der Kategorie "Arbeitswelt": Die Apple Retail Germany GmbH überwache das Personal der Apple Sores angeblich bis in die Toilettenräume. Passend dazu: Kai Biermamnn und Martin Haase entlarvten für die Rubrik "Neusprech" das harmlos klingende Wort "Übersichtsaufnahme" als eine Erfindung der Berliner Polizei, um Demonstrationen unerlaubt zu filmen. Auch Dr. Dieter Romann, Präsident der Bundespolizei, bekam einen Big Brother in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" für das Ethic Profiling seiner Beamten: Menschen "fremden" Aussehens stehen unter Generalverdacht und verstärkter Kontrolle. Laudator Dr. Rolf Gössner von der Liga für Menschenrechte rät,

    "...ein obligatorisches Antirassismus-Training in die Polizeiausbildung zu integrieren und mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst aufzunehmen. Und der Gesetzgeber ist gefordert, Polizeikontrollen aufgrund äußerlicher Merkmale gesetzlich zu verbieten und unabhängige Kontrolle- und Beschwerdestelle einzurichten."

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