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Von Arbeitslosigkeit bis Schuldenfalle

"Sechs Personen suchen einen Autor" heißt es bei Pirandello; im Freiburger Theater müsste es heißen: sechs Autoren suchen ein Stück. Vielleicht suchen sie überhaupt erst ein Thema, denn selbst dies ist ziemlich unklar an diesem Abend. Irgendwie soll es um Ökonomie gehen und um die oberen Zehntausend, das Leben als Party und Börsenkurs, als gefährliches Spiel und Heidenspaß, aber die Autoren scheinen weder die Regeln der Wirtschaft noch die des Theaters hinreichend zu kennen. Zum einen glauben sie allen Ernstes, man müsse nur eine gewisse Anzahl von Kurz-Szenen zusammenschmeißen, um einen Theaterabend zu bekommen, sozusagen das akkumulative Prinzip. Zum anderen scheinen sie selbst abschreckende Produkte der New Economy zu sein: einfach mal was probieren, das Alltagsgeschwätz (mehr ist es wirklich nicht) zu einer Szene aufmotzen, der Kunde wird’s schon kaufen. Dass ihre eigenen Aktien durch das Herauslabern ökonomistisch angereicherter Allgemeinplätze erheblich fallen könnten, ist ihnen nicht in den Sinn gekommen.

Von Christian Gampert |
    Die Autoren heißen Peter-Adrian Cohen, Ulrich Hub, Alexander Müller-Elmau, Tom Peuckert, Moritz Rinke, Felicia Zeller; ursprünglich war auch noch Werner Fritsch dabei, aber sein Text wurde als "inkompatibel mit dem Gesamtkonzept" aus dem Projekt verbannt. Bei etwas sprachmächtigeren Dramatikern wie Ödön von Horváth oder Franz Xaver Kroetz hätten die Autoren lernen können, dass das Theater zwar zeigen kann, was die Ökonomie, der Kapitalismus, der Kampf aller gegen alle mit und in den Individuen so anstellt; dass das Theater aber Ökonomie nicht zu erklären, nicht darzustellen vermag – sogar der Volkshochschulpädagoge Brecht musste den Umweg über das Epische nehmen.

    Im platten Abbildungstheater Freiburger Provenienz aber sitzen nun zehn Schauspieler und zwei Statisten in einer superteuren Raumbühne herum, auf einem Rasenteppich, spielen Manager-Seminar und Ehekrise, Oberschichts-Party und Reformschule, sie reden über Regeln des Wirtschaftslebens, Kündigungsschreiben, die drohende Hausdurchsuchung wegen Steuerhinterziehung und den Gang ins Gefängnis. Ein Arbeiter im Blaumann notiert an einer Wand die auf den Nullpunkt fallenden Börsendaten, und dazu wird dann das Verdi-Requiem eingespielt. Solch grauenvolle 1:1-Bebilderungen zeigen die ganze Impotenz des Unternehmens, das die Zuschauer zwei Stunden lang müde spielt.

    Es lohnt nicht, die Produkte der einzelnen Autoren gesondert zu betrachten. Die in einem dickleibigen Textbuch überreichten Szenen und Monologe sind zumeist im Versuchsstadium oder auch im Rauskotz-Stadium stehengeblieben; sie können den Leser wirklich in Depression verfallen lassen ob des Vermögens neuerer deutscher Dramatik. Der Regisseur David Mouchtar-Samorai, der auch schon bessere Tage gesehen hat, hatte das Projekt angestoßen und hat nun einen Teil der Lieferung auf die Bühne gebracht; aber je mehr die bedauernswerten Schauspieler in hysterische Betriebsamkeit verfallen, greinen und aufgesetzt lachen, überagieren und wüst durcheinanderreden, desto deutlicher wird die Bodenlosigkeit des ganzen Projekts.

    Da er nichts zu erzählen hat, rettet sich Mouchtar-Samorai immer wieder in Schaubilder: eine spärlich bekleidete Statistin, eine Schärpe mit der Aufschrift "Fortuna" überm BH, wird von den Oberschichtlern roulette-artig hin- und hergeschleudert. Ein alter Unternehmer lässt mitten im Fachgespräch die Hosen runter, um etwas Salbe aufs Bein aufzutragen – obwohl eher das Publikum der Linderung bedürfte. Monströs aufgeblasene Schulkinder im Plastikanzug, wahrscheinlich die Kinder der Kohl-Ära, agieren als Kuriositätenschau geklonter Wohlstandsbürger; einige von diesen Fettleibigen müssen durch ein sogenanntes Reform-Rohr kriechen oder in eine, das steht zum besseren Verständnis gleich dran, "DGB-Fresse" schlagen.

    "Hans im Glück" heißt das ganze Projekt. Im Grimmschen Märchen hat Hans am Anfang einen Klumpen Gold und am Ende nichts. In Freiburg hatte man am Anfang nichts, und jetzt hat man einen Haufen Schulden beim Publikum. Um bei der Ökonomie zu bleiben: die Intendantin wird sicher noch mitteilen, was dieser abgestandene Quark gekostet hat.