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Von Aussöhnung weit entfernt

Es klingt der Ruf der Einigkeit und zusammen stehen wir, heißt es in Südafrikas Nationalhymne, die Musik und Strophen der ehemaligen Apartheidhymne, mit der der Schwarzen verbindet. Ein Spagat. Die Einigkeit der so genannten Regenbogennation ist Wunschdenken. Auch 13 Jahre nach dem Ende der Apartheid sind schwarz und weiß noch lange nicht eins. Sie leben weitgehend in getrennten Welten.

Von Dagmar Wittek | 25.08.2007
    Für die junge Postapartheid Generation ändert sich das zunehmend. Aber es bieten sich genau dann Gelegenheiten, Einblicke in die Abgründe der Kompromisslösung Südafrika zu bekommen. Der Preis für den friedlichen Wandel 1994 war, dass Rassisten auch heute noch ihren Platz in Südafrika haben. Ein Beispiel: Die 33-jährige Elmien arbeitet an der Universität in Pretoria und hat viele schwarze Freunde. Ganz klar, denn immer mehr spiegelt sich an den Universitäten und Schulen die Demographie. 80 Prozent der Bevölkerung in Südafrika sind schwarz, etwa zehn Prozent weiß und der Rest sind so genannte Farbige. Elmien ist in einer weißen, sehr streng religiösen Afrikaanerfamilie aufgewachsen. Zur Zeit erwartet sie ein Kind von einem Schwarzen. Monatelang hat sie sich nicht getraut ihrem Vater etwas zu sagen. Schließlich rief sie ihn doch an.

    "Oje, er war völlig geschockt. Denn erstens ist es in unserer Familie absolut nicht akzeptabel, vorehelichen Sex zu haben und dann auch noch mit einer anderen Hautfarbe. Leider sieht er das auch noch als ein religiöses Verbot an, man vermischt sich nicht mit anderen Rassen, das ist gegen Gottes Willen. Er war völlig entsetzt und fragte immer wieder nur, wie ich das tun konnte. Und eine seiner ersten Fragen war dann - und da verschlug es mir den Atem - ob ich das Baby behalten wolle. "

    Elmien begriff da, wie unüberbrückbar die Rassentrennung für ihren Vater ist. Er würde Mord in Kauf nehmen. Außer dass er das Kind nie akzeptieren werde, schob er gleich noch nach:

    "Werdet ihr heiraten? Solange du nicht heiratest, geht´s ja noch. Das war ihm sehr wichtig. Er will nicht, dass wir zusammen sind."

    Elmiens Geschichte ist kein Einzelfall, sie spiegelt lediglich das südafrikanische Dilemma wieder. Rassismus ist nach wie vor in vielen südafrikanischen Köpfen tief verwurzelt. Und er kommt in den vielfältigsten Formen zu Tage. Meistens subtil und versteckt, manchmal offen ausgesprochen, so wie dieser schwarze Busfahrer Veli aus Johannesburg erzählt.

    "Der Rassismus blüht in Südafrika. Meine Nachbarn, die nennen uns manchmal noch Kaffer."

    Das ist eines der schlimmsten Schimpfwörter für Schwarze in Südafrika. Rassismus in Südafrika ist zwar absolut nicht mehr salonfähig, und Intellektuelle und gebildetere Südafrikaner versuchen sich politisch korrekt zu verhalten und auszudrücken, nichtsdestotrotz, es seien die kleinen rassistischen Attacken, die einen noch täglich verletzen, so Kay, der Künstler ist.

    "Ich war mal in Kapstadt und bin in einen Laden in der Einkaufsmeile an der Waterfront. Bevor ich mich überhaupt umgucken konnte, waren die Verkäufer schon hinter mir her, mit dieser Haltung von "was kannst du Schwarzer dir hier schon leisten". Oder auch in Restaurants. Afrikaner gehen nicht so oft essen und wenn du dann im Restaurant bist, dann ignorieren sie dich oft, oder gucken dich irritiert an, bis du verlangst, dass sie dich bedienen."

    Vor dem Gesetz sind alle gleich und Südafrika hat sicherlich eine der liberalsten und alle Bevölkerungsgruppen gleichstellenden Verfassungen. Trotzdem, so Kay: Heute geht es mehr um wirtschaftlichen Rassismus. Finanziell hat sich für Weiße kaum etwas verändert. Wohingegen nach wie vor 43 Prozent aller Südafrikaner von weniger als einem Dollar am Tag leben und rund zehn Millionen Menschen in Wellblechhütten ohne Strom und Wasser hausen. Und unter diesen Armen findet man kaum Weiße.

    "Es wird noch lange dauern, bis es keinen Rassismus mehr geben wird, wenn wir das überhaupt je schaffen. Wir können in 13 Jahren nicht so viel Veränderung erwarten, das ist doch keine Zeit, wenn man daran denkt, dass wir 300 Jahre lang kolonialisiert wurden."

    Schwarze in Südafrika sind in Vorleistung getreten, findet Veli. Sie hätten den weißen Unterdrückern vergeben, so wie es die Friedensnobelpreisträger Mandela und Tutu gepredigt haben. Von ihrer Seite sei die Grundlage für ein gutes, gleichberechtigtes Miteinander da, und der letzte weiße Präsident, de Klerk, habe ja auch wirklich einen Schritt in die richtige Richtung getan, als er Mandela freiließ, die heutige Regierungspartei ANC legalisierte und sagte, wir müssen miteinander reden. Aber, so Veli:

    "Ich wünschte mir, dass alle weißen Südafrikaner das genauso schaffen würden, so dass wir eine bessere Gesellschaft aufbauen können."

    Selbst der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki sprach in einer seiner Reden zur Lage der Nation von nach wie vor geteilten Welten in Südafrika. Ein wenig Ärger und Ungeduld seinerseits mit den Weißen klang dabei auch durch.

    "Es teilen noch nicht alle die Vision der nationalen Einheit. Es haben noch nicht einmal alle verstanden, wie wichtig es ist, unsere Gesellschaft neu zu strukturieren."

    Helen Suzman dagegen, die zu Zeiten der Apartheid jahrelang die einzige Weiße Parlamentarierin war, die sich für mehr Rechte für Schwarze einsetzte und als das Gewissen der Nation bezeichnet wurde, hält die Rassenbeziehungen in Südafrika für etwas, worüber nicht mehr viel diskutiert werden muss.

    "Ich glaube der Durchschnitts-Weiße hat die Situation wie sie ist akzeptiert. Und viele, inklusive mir, halten sie auch für richtig. Wir leben schließlich in einem demokratischen Land, und da es erheblich mehr Schwarze als Weiße gibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Regierung eine schwarze sein wird. Und wenn sie intelligent sind, dann binden sie einige hilfreiche Weiße in ihrer Regierung ein - so wie sie es getan haben. Wir können schließlich nicht nur Weiße haben, die in Luxus und Bequemlichkeit leben."

    Die Kritik, dass Weiße nicht genug zum Aussöhnungsprozess in Südafrika beitragen, kommt hauptsächlich von schwarzer Seite. Die meisten Weißen, so scheint es, wollen schnell zur Normalität kommen und so tun, als ob Rassismus und Diskriminierung schon lange der Vergangenheit angehören. So einfach sei es aber nicht, betont Desmond Tutu, der die bis Ende der 90er Jahre bestehende Wahrheits- und Versöhnungskommission leitete.

    "Aussöhnung hätte nicht einmal durch die beste Kommission erreicht werden können. Versöhnung ist ein langfristiges nationales Vorhaben. Aber die Wahrheitskommission hat eine wichtige Rolle in diesem Heilungsprozess gespielt. Die meisten, die vor der Kommission ausgesagt haben, gingen verändert fort - der Heilungsprozess hatte begonnen."

    Aussöhnung durch Amnestie? Alles vergeben und vergessen? Und damit alles gut? Der erste schwarze Präsident des Landes, Nelson Mandela, wird nicht müde, immer wieder seine für den friedlichen Wandel in Südafrika entscheidenden Worte zu wiederholen. Lasst die Vergangenheit Vergangenheit sein, und lasst uns an die Gegenwart und die Zukunft denken, so Mandela.

    Das Fazit, nach 13 Jahren Demokratie der beiden Friedensnobelpreisträger Tutu und Mandela. Viele Weiße, vor allem die Afrikaans sprechenden Afrikaaner und Buren fühlen sich bedroht und an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Affirmative action, ein Gesetz das die zu Apartheidzeiten Benachteiligten zu bevorzugen und zu stärken versucht, um sie gesellschaftlich gleichziehen zu lassen, sei Diskriminierung von Weißen, so viele Afrikaaner. Fast 90 Prozent aller afrikaans sprechenden Weißen sagen, sie sähen keinerlei Perspektiven mehr für sich in Südafrika. Vor allem weil sie keine Jobs bekämen, denn erst werden schwarze Frauen, dann schwarze Männer, dann Farbige und schließlich Weiße bei gleicher Qualifikation berücksichtigt.

    Die Folge: eine Gegenbewegung. Afrikaanse Kultur boomt. Zur Zeit ist ein regelrechter Trend zu verzeichnen, der versucht die Afrikaaner Kultur zu feiern und zu konservieren. Ein afrikaanser Pop-Song ist zur neuen Hymne bei alt und jung geworden und spaltet die Nation mit einer neu aufgekochten Rassismus Debatte. 250.000 Mal hat sich der Song schon verkauft, ein absoluter Rekord in Südafrika. Und der Musiker, der 29-jährige Bok van Blerk, ist zum Superstar geworden. Sein Titel führt zurück in den Anglo-Burischen Krieg, in dem General de La Rey die Briten bekämpfte: Kannst du uns führen kommen, de la Rey, heißt es im Text, wir werden wie eine Eins hinter dir stehen. Unser Haus ist niedergebrannt, Frau und Kind sitzen im Lager, die Kakis kommen mit ihrer Übermacht und lachen. Aber das Herz eines Buren ist größer - unsere Nation wird wieder auferstehen. Wenn Bok van Blerk auftritt, schreien sich seine Fans heiser. Pathetisch legen sie ihre rechte Hand aufs Herz, vielen schießen die Tränen in die Augen. Van Blerk erklärt sich den Erfolg folgendermaßen.

    "Das Lied war nur ein Auslöser. Plötzlich knallten Dinge auf den Tisch, die in diesem Land schieflaufen, über die bisher aber nicht gesprochen wurde."

    De La Rey ist zur Hymne geworden, ein Bekenntnissong der Buren-Jugend:

    "Der Song schweißt uns zusammen. Er zeigt, dass wir immer noch eine Macht sind, mit der zu rechnen ist. Heutzutage ist das zwar schwer, aber das Lied gibt uns Hoffnung. Wir haben auch eine Geschichte und auf die sind wir stolz. Das Lied sagt uns: wir liegen nicht danieder. Wir stehen immer wieder auf!."

    Van-Blerk-Fan Janette hat noch eine andere Erklärung:

    "Wir Afrikaaner fühlen uns verloren und sehnen uns nach einem Führer. Zurzeit wird uns ja die Geschichte weggenommen - nur wegen unserer Hautfarbe. Aber wir sind weiße Afrikaaner und das ist die schlichte Wahrheit."

    Chauvinistische Töne, die Bok van Blerk den Vorwurf eingebracht haben, ein Rechtsextremist zu sein:

    "Das ist verrückt, ich bin doch nur stolz auf meine Kultur und meine Sprache. Jeder sollte das sein, ganz gleich ob er englisch ist oder Zulu. Ich bin definitiv kein Rechter. "

    Aber Bok van Blerk bedient die Gefühle derer, die ihre Privilegien verloren haben. Afrikaans ist nicht mehr, wie 300 Jahre lang, Herrensprache und Leitkultur - das neue Südafrika umfasst viele Kulturen. Statistisch geht es den Weißen immer noch erheblich besser, aber viele der rund zweieinhalb Millionen Buren fühlen sich als Bürger zweiter Klasse - das erklärt den immensen Zuspruch zu Bok van Blerks martialischem Song.

    Selten wird man heute offene, hasserfüllte und explizit diskriminierende Worte hören. Stattdessen wird von denen und uns gesprochen. Die sind anders als wir, und deshalb müssen wir auch separate Regelungen für die und für uns treffen. Besonders bedroht fühlen sich Farmer in Südafrika. Meistens Buren, deren calvinistische Ursprünge in Holland liegen. Im 17. Jahrhundert flüchteten sie vor der Intoleranz der katholischen Kirche nach Afrika, wo sie sich Land nahmen, es urbar machten und schließlich zu Herrschern wurden. Mit dem Ende der Apartheid 1994 entmachtet, fühlen sie sich heute bedroht. Sie machen lediglich fünf Prozent der rund 47 Millionen Menschen in Südafrika aus. Unter den Buren gibt es Extremisten, die das heutige Südafrika absolut nicht akzeptieren. Sie gehören der Boeremag, übersetzt Burenmacht, an oder gar der verbotenen militanten Afrikaner Wehrstandsbewegung. Henry Pinkum ist einer von ihnen, der das neue Südafrika für nicht rechtmäßig hält und gerne die Geschichtsschreibung etwas verdreht.

    "Wir akzeptieren das neue Südafrika nicht. Es ist unrechtmäßig entstanden und damit illegal. Südafrikaner wurden in einem Referendum gefragt, ob die Verhandlungen zwischen weißer Regierung und dem ANC den kommunistischen Kräften weitergehen sollen. Die meisten sagten nein. Aber die Ergebnisse wurden gefälscht, und seitdem haben wir keine Kontrolle mehr. "

    Per Gesetz und staatlichem Eingriff lässt sich die wahre Aussöhnung sicherlich nicht erzwingen, aber Kirchen und Zivilgesellschaft sind in Südafrika eindeutig mehr gefordert. Ein verpflichtendes soziales Jahr könnte vielleicht auch ein Lösungsansatz sein oder eine von Mensch zu Mensch Lösung wie Tutu sie vorschlägt.

    "Wir, denen es ziemlich gut geht, könnten alle zur Veränderung beitragen, indem wir zum Beispiel jeder eine Familie adoptieren, der es nicht so gut geht. Wir können das nicht alles in den Händen der Regierung lassen. Ein Vorschlag wäre auch eine Steuer für Reiche, mit der könnte man die Reparationszahlungen für Apartheidopfer zahlen oder Projekte fördern, die Menschen Einkommensmöglichkeiten eröffnen. Aber was wir momentan haben ist, um es in biblischen Bildern auszudrücken: Wir haben das unterdrückerische Ägypten verlassen, wir haben das Rote Meer durchquert, aber viele sind auch noch dabei, es zu durchqueren. Und nur sehr, sehr wenige haben das versprochene Gelobte Land bislang erreicht."
    Nelson Mandela wird vereidigt, 10. Mai 1994
    Nelson Mandela wird vereidigt, 10. Mai 1994 (AP Archiv)