Archiv


Von Bern bis Berlin

Die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 hat Heribert Fassbender als 13-jähriger Pennäler bei einem Bauern gesehen - vor einem Schwarz-Weiß-Gerät mit 100 anderen. Damals steckte Fernsehen noch in den Kinderschuhen. Fassbender ist heute ARD-Teamchef der WM-Mannschaft und hat wie andere Kollegen einen rasanten Wandel in der Berichterstattung miterlebt.

Von Manfred Christoph |
    "Es gab 26.000 angemeldete Geräte in Deutschland. Das Endspiel wurde übertragen mit einer Führungskamera und zwei kleineren Kameras vor den Reporterkabinen. Am Ende sollen beim Endspiel im Berner Wankdorfstadion eine Million Menschen vor den Geräten gesessen haben, auf Kinoleinwänden das verfolgt haben, in Kneipen und wo auch immer man das - und wohl gemerkt auf relativ schlechtem technischen Niveau - verfolgen konnte."

    Eine Milliarde TV-Zuschauer erwartet man für das Endspiel der WM 2006 weltweit, mindestens 33 Milliarden - vorsichtig geschätzt - für das gesamte Turnier. Die Fernsehbilder der Übertragung des Endspiels von 1954 sind verloren gegangen. Es gab damals noch keine magnetische Aufzeichnungstechnik. Die Bilder, die wir heute noch sehen, sind Filmaufnahmen, die mit dem Radiokommentar von Herbert Zimmermann unterlegt sind. Und beim Radio war Heribert Fassbender dann beim zweiten WM-Titel 20 Jahre später:

    "1974 hatte ich das Vergnügen, das Endspiel auch mit dem Siegtor von Gerd Müller im Hörfunk zu kommentieren. Inzwischen hatte Fernsehen seinen Siegeszug angezogen, während 1954 Herbert Zimmermann der große Star als Radioreporter war, so hat spätestens mit der Weltmeisterschaft 1966 in England das Fernsehzeitalter begonnen. 1970 in Mexiko wurde das Farbfernsehen eingeführt. Es wurden immerhin 1974 schon acht Kameras eingesetzt und zwei Zeitlupen. "

    Mit seiner Reportage zog Fassbender nicht nur Armin Lehmann in den Bann. Lehmann ist heute ebenfalls Radioreporter beim WDR und gehört zu dem neunköpfigen Team, das für die Live-Berichterstattung im ARD-Radio zuständig ist. Dort sorgen ein 100-köpfiges Team bestehend aus Reportern, Redakteuren und Technikern für rund 200 Stunden Programm und die damit aufwändigste Hörfunk-Berichterstattung in der deutschen Radiogeschichte. Armin Lehmann:

    "Ich habe mir nachher noch Wochen und Monate und ich glaube sogar Jahre später auf einer Kassette immer wieder die Endspielreportage im Radio angehört. Und für mich als Reporter ist es beruflich sicherlich das absolute Highlight, jetzt mal im eigenen Land so eine WM übertragen zu können, und vielleicht klappt es sogar mit dem Titel."

    Mit Titel und ohne Titel: Sieben WM-Turniere hat Fassbender hinter sich und weiß daher nur zu gut: Du kriegst David Beckham nicht, wenn du Beckham im Interview haben willst. Es sei denn, die englische Teamleitung stimmt überraschend zu. In der großen Zeit des englischen Fußballs, den 60er Jahren, da war das mediale Interesse am Fußball noch überschaubar.

    "Als ich beispielsweise mit Borussia Dortmund 1966 unterwegs war zu derem ersten Europapokalsieg, dem ersten Europapokalerfolg überhaupt einer deutschen Mannschaft, Halbfinale in West Ham United gegen eine Mannschaft, die praktisch das Gerippe der englischen Weltmeister-Mannschaft wenige Monate später stellte, da hatte ich den Pressebus verpasst und selbstverständlich sagte dann Fischken Multhaupt, der Trainer: 'Heribert fährste mit uns!' Ich saß also zwischen Siggi Held und Lothar Emmerich, und wir fuhren durch London zur der Zeit, als Mary Quant gerade die Super-Mini-Röcke erfunden hatte und die Kommentare von Emma, die könnte ich heute noch zitieren, würde aber jetzt zu weit führen."

    Der Fußball führte Benno Weber schon zu sechs WM-Turnieren. Der Leiter der Sportredaktion Nordrhein-Westfalen der "Bild"-Zeitung erinnert sich ähnlich wie Fassbender an einen unbeschwerten Umgang zwischen dem Nationalspieler und dem Journalisten. Alles sei heute sehr viel schneller, allerdings auch hysterischer geworden. Nachrichten haben, so Weber, heute eine ganz andere Bedeutung. Auf dem Weg zur WM 1970 in Mexiko kam es nach einem Qualifikationsspiel auf Zypern fast zu einem Eklat. Weber stand mit Kollegen vor der Kabine.

    "Willi Schulz, der vorher schon im Spiel Abschied genommen hat, kam raus und erklärte uns, warum er an dem schlechten Spiel nicht Schuld war. Wolfgang Overath kam des Weges und hat das mitgekriegt und hat vor der gesammelten Reporterschar, die noch nicht allzu groß war, gepoltert: 'Schulz, halt deine Klappe, wenn du hier immer die Schuld auf andere abwälzen willst, dann haue ich dir was vors Maul' Wenn ich mir vorstelle, das würde heute passieren bei der Nationalmannschaft, dann würden wir von 'Bild' und nicht nur wir wahrscheinlich sofort eine neue Serie schreiben. Wer das nicht machen würde, der wäre ja idiotisch. Selbst so Zeitungen wie 'FAZ' oder 'Süddeutsche' würden da tagelang drüber berichten. Und das symbolisiert in gewisser Weise schon, wie sich was verändert hat."

    Verändert hat sich auch, dass ARD und ZDF nicht für die Erstellung des Bildmaterials zuständig sind. Wie schon bei der WM 2002 in Japan und Südkorea hat die FIFA eine Schweizer Produktionsfirma mit der Grundversorgung beauftragt. Der Fußball-Weltverband macht laut Fassbender mit dem Verkauf der TV-Rechte einen Riesenreibach. Allein in Deutschland zahlen ARD, ZDF und RTL die stolze Summe von rund 250 Millionen Euro.