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Von Blutflecken und toten Bischöfen

Jeder, der Würzburg schon einmal einen Besuch abstattete, kann sie unmöglich übersehen haben: die Festung Marienberg, hoch über dem Fluss gelegen. Aus seiner nunmehr 1000-jährigen Geschichte weiß das Bollwerk einiges zu berichten, darunter auch Skurriles.

Von Brigitte Baetz und Saskia Kurth | 23.05.2010
    Würzburg ohne Festung, das wäre wie Köln ohne Dom oder Paris ohne Eiffelturm - einfach schwer vorstellbar. Jeder, der die Stadt am Main besucht, hat sie stets im Blick. Imposant gelegen auf rund 100 Metern über dem Fluss, beherrscht die Festung Marienberg das Panorama. Wer eintauchen will in rund 1300 Jahre Geschichte, macht sich am besten zu Fuß auf, den Berg hinauf über schmale Treppensteigen und breite, weit gewundene ungepflasterte Wege.

    Durch die bewaldeten Gärten der ehemaligen Landesgartenschau und über mit Stein verstärkten Zugbrücken finden wir zu großen Sandsteintoren, die den Zugang zum weiträumigen Festungsgelände bilden. Bei der Pferdetränke im ersten Vorhof der Burg, in der schon mehrere Schulklassen auf den Beginn ihrer Führung warten, treffen wir den Kastellan, Herrn Jüngling. Unsere erste Frage, natürlich: Was macht so ein Kastellan eigentlich?
    "Na ja, ein Kastellan macht allerlei. Also eigentlich in historischer Zeit ist das der Burgvogt, der sich um alle inneren Angelegenheiten auf der Burg kümmert. Ganz so ist das heute nicht mehr, ich bin der lokale Verwalter vor Ort. Ich wohn mit meiner Familie auf der Burg, im Südflügel der Hauptburg."
    Wie ist es da so?
    "Ja, ganz nett, es hat Vor- und es hat Nachteile. Also es ist ja nicht so, dass meine Tochter wie ein Burgfräulein wohnt und wir wunderbar ausgestattete Wohnräume haben. Es sind ganz normale Wohnräume. Man ist sehr schnell auf der Arbeit. Das hat große Vorteile. Der Nachteil ist: man kann auch die Haustür nicht vergessen, sonst hat man eine Gruppe Japaner im Wohnzimmer."

    Auch wenn Japaner einen großen Teil der Würzburg-Touristen stellen, heute sind weit und breit keine zu sehen. Und je weniger Touristen es gibt, desto besser kann der einzelne Besucher versuchen, sich auf den Charme vergangener Zeiten einzulassen.

    Durch das mächtige rote Scherenbergtor, benannt nach Erzbischof Rudolf von Scherenberg, gehen wir in die Anlage der Hauptburg, quasi gesegnet durch die drei Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan, deren Figuren den Durchgang schmücken.

    "Ja, jetzt sind wir hier in der Hauptburg angelangt. Es ist ein klassischer Renaissancebau, eine Vierflügelanlage, wenn auch sehr, sehr groß. In der Mitte des Hofes, das fällt natürlich auch sofort auf, da steht der große Bergfried. Beim Bergfried ist man sich mit der Datierung uneins. Der Turm ist sicherlich alt und stammt mit Sicherheit aus dem 13. Jahrhundert, der Turm ist 41,75 Meter hoch, die Mauerstärke beträgt 2,65m und er diente zum Beispiel als Gefängnis. Das ist ein kleiner, runder Raum, mit einem Loch in der Deckenmitte, dem sogenannten Angstloch. Eingang in den Kerker war aber nicht diese Tür, die gab es früher nicht. Eingang ist an der Seite ein kleines Türmchen, da ist eine Wendeltreppe drin, wenn man die hoch geht, kommt man in den ersten Stock des Turmes und von da aus sieht man dann das Loch vor sich, und da ließ man Gefangene durch das Loch hinab in den Kerker. Man hat sie also eingelocht, ins Loch geworfen."

    Ein Bergfried, so nennt man den unbewohnten Hauptturm einer Burg, konnte aber durchaus auch Rettung bedeuten. Nämlich dann, wenn er in verzweifelter Lage Schutz vor dem Feind bot, man also in ihn "türmen" konnte. Aber der Bergfried der Festung Marienberg hätte im positiven Sinne ohnehin nur Wenigen zur Verfügung gestanden, nämlich den Herren der Burg und ihren Bediensteten. Die Würzburger selbst hatten von jeher ein gespaltenes Verhältnis zur Burg über dem Main. Von 1253 bis 1719 war sie die Residenz der ansässigen Fürstbischöfe, die sehr oft im Widerstreit mit den Bürgern lebten, die lieber reichsfrei gewesen wären. 1525 belagerten gar die Bauern die Festung. Würzburgs damaliger Bürgermeister Tilman Riemenschneider, bis heute verehrt für seine Schnitzkunst und Bildhauerei, stellte sich damals auf die Seite der Aufständischen und wurde deshalb auf der Festung in Haft genommen.

    Ein kleines Denkmal am Hang zur Burg erinnert an das vergebliche Anrennen der Bauern. An einer silbrig glänzenden, schrägen Metallmauer wachsen Wurzeln empor, die die Mauer jedoch nicht überwuchern können.

    Die Kerker, in denen unter anderem. Tilman Riemenschneider einsaß, lassen sich heute noch besuchen.

    Sie machen klar, welche Rolle die Festung in Bezug auf die Würzburger bis ins 16. Jahrhundert hinein spielte.

    "Die diente vor allem zum Schutz vor den Würzburgern. Aber nur in der Anfangszeit, später ist das nicht mehr so. Nach den Bauernkriegen ist eigentlich Schluss. Dann ist das Verhältnis geklärt. Dann passiert da auch nicht mehr viel."

    Die wirkliche Macht am Main bildete, bis in die frühe Neuzeit, die Kirche. Die Fürstbischöfe von Würzburg, gewählt zumeist aus den vornehmen Familien Frankens durch das Domkapitel, entfalteten vor allem in den Zeiten der Gegenreformation eine prunkvolle Hofhaltung auf der Festung. Im Zentrum ihrer geistlichen Selbstbestätigung: die Marienkirche.

    "So, schau'n wir mal in die Kirche vielleicht hinein.""

    "Wir sind jetzt hier in der Marienkirche in der Rundkirche, der Festungskirche. Viele Altwürzburger sind der festen Meinung, ich hab das in der Schule auch noch so gelernt, dass diese Kirche 1300 Jahre alt ist. Das wird in den letzten Jahren zunehmend in Zweifel gezogen. Wir haben aber einen Baubefund, die Kirche wurde mal untersucht vor 40 Jahren. Das Mauerwerk, der Mörtel, die Fundamente – man kommt da doch denke ich zumindest zum Ergebnis: diese Kirche ist sicherlich eine ganz bedeutende Kirche, sie ist eine der ältesten freistehenden Rundkirchen in Deutschland, aber die Mauern sind wahrscheinlich, also die Rundkirche selbst mit der Kuppel ist wahrscheinlich auf das Jahr um die Zeit 1000 etwa zu datieren. also etwa 1000 Jahre alt, was ja auch ein ganz schönes Alter ist."

    Mehrfach verändert wurde das Innere der Kirche durch die Jahrhunderte. An den Stukkaturen an der Decke und den barocken Altären aus Stuckmarmor merkt man jedoch die Handschrift des bedeutendsten Fürstbischofs der Gegenreformation, Julius Echter von Mespelbrunn. Auch die Reliquienaltäre mit ihren Gebeinen und Schädeln von Heiligen atmen den Geist des neuen Katholizismus. Die Menschen sollten etwas sehen, was sie verehren konnten, um ihre Spiritualität und ihren Glauben zu stärken.

    "Die Rundkirche selbst hat den Krieg unzerstört überlebt, auch in der Mitte der Rundkirche die Grabplatten. Das sind die Gräber der Fürstbischöfe von Würzburg, hier liegen Platten im Boden, darauf sind die Fürstbischöfe abgebildet, hier in dieser Kirche sind sie begraben. Jetzt kann es natürlich passieren, wenn der Gast nach Würzburg kommt und er war vorher im Dom und betritt danach die Festungskirche, dass er sich ein bisschen wundert, warum die Fürstbischöfe hier begraben sind, denn die sind ja schon im Dom begraben. Hat man die jetzt zweimal beerdigt. Nein, eigentlich hat man sie sogar drei Mal beerdigt. Nach dem Tod wurde der Korpus an der Brust geöffnet. Man entnahm das Herz und die Eingeweide. Die Eingeweide wurden einbalsamiert und hier beigesetzt. Das Herz brachte man nach Ebrach bei Bamberg in die dortige Zisterzienserabtei. Da kamen die Herzen in den Altar der Abteikirche ( ... ) Und der Korpus, den man dann mit Wein ausgewaschen, mit Kräutern, mit duftenden Kräutern gefüllt und zugenäht hatte, den brachte man sitzend zum Dom und hat ihn dort im Dom dann wieder gestreckt und feierlich beigesetzt."

    Dieses für uns Heutige makabre Ritual ändert sich erst unter Fürstbischof Julius Echter. Er ist es auch, der die Umgestaltung der Burg zu einem repräsentativen Schloss vornimmt, mitsamt einer prächtigen Hofhaltung von 400 bis zu 1000 Personen, einer Hofhaltung, die auch eines Königs würdig gewesen wäre.

    Doch auch ein prächtiger Haushalt braucht natürlich Wasser. Der Brunnen der Festung Marienberg ist jedoch ein ganz besonderer:

    "Da kann man schon reinschauen, 102 Meter,das schaut gar nicht so tief aus. Man hat hier oben einen Durchmesser von zwei Metern, unten von über vier Metern, das heißt Sie schauen in ein doppelt so breites Loch hinein. Jetzt nützt einem die beste Burg nichts, wenn man kein Wasser hat. Es gab eine Wasserleitung auf die Festung, die kam von Westen, von Höchberg her, das Problem ist natürlich, so etwas lässt sich leicht unterbrechen. Wir haben hier oben auch noch zwei große unterirdische Wasserzisternen, die mit Oberflächenwasser gefüllt wurden, aber noch viel früher als der Bau dieser Zisternen kommt der Bau dieses Brunnens hier. Ein Brunnen, wenn man ihn sich leisten kann, ist praktisch – man wird unabhängig. Der Brunnen wurde gebaut, vermutlich, vor über 750 Jahren das ist ja auch eine Leistung, die Burg sitzt auf Fels auf, das sind ja 100 Meter Muschelkalk, da muss man ja durch. Das hat sicherlich ein paar Jahre gedauert, und dann stieß man unten auf Wasser. und sie sehen es, das bewegt sich, das plätschert so ein bisschen. das Wasser ist kein Grundwasser, das ist frisches, fließendes Quellwasser, hier sind zwei Wasseradern, die kommen von Westen, Richtung Höchberg, fließen dadurch in den Main. da haben die also schon Glück so eine Wasserader überhaupt zu finden."

    Noch nach mehreren Jahren auf der Burg, kann sich Kastellan Jüngling noch am Blick in die Tiefe des Brunnens freuen.

    "Schon ein toller Blick darunter. Wir haben hier oben einen Scheinwerfer, der nach unten strahlt, das wirft das Licht so schön zurück, das flimmert so. Das ist schon ein ganz beeindruckender Blick hier. Wie wir gerade sehen, andere Gäste, die hier im Brunnen stehen, die werfen hier Münzen rein, auch um zu schauen, wie lang das dann dauert. Jetzt ist gerade ein Cent unten aufgekommen, oder? Man muss schauen, wie lang das dauert, dass da was unten aufkommt. Die haben da nicht so viel Wasser getrunken. Also das war wirklich für den äußersten Notfall, getrunken hat man auf dieser Burg – außer es ging nicht anders – ausschließlich Wein. Und es war ja auch sinnvoll. wir haben hier oben drei große Weinkeller, da konnte man schon ordentlich Wein lagern, also einige 100.000 Liter, vielleicht eine Million Liter Wein hier oben auf der Burg, was ja auch 'ne Zeit lang reicht. Der Wein war auch wichtig, er diente der Beamten- und Soldatenbesoldung, die hatten auch ein Recht, ein Deputat, und er sollte ja auch der Gesunderhaltung dienen. also, es ist schon sinnvoller, Wein zu trinken als sich die Cholera über Dreckwasser zu holen. Man wird vielleicht irgendwann blöd, aber man bleibt einigermaßen gesund, das hat ja auch Vorteile. Da hat auch ein Soldat im Mittelalter seine zwei, drei Liter Wein am Tag getrunken, wobei das ja nicht das Paradies war, da müssen wir jetzt nicht mehr hin. Der Wein war sauer und der war nicht besonders stark. Der hatte vielleicht drei, vier Volumenprozent Alkohol. Mit so einem Zeug fangen wir jetzt nicht mehr an."

    Zerstörung, Tod und Elend - das Begleitlied des großen europäischen Religionskrieges. 1631 erobern die Schweden unter Gustav Adolph die Festung der Fürstbischöfe, die der katholischen Liga angehören. Sie nehmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Kunstgegenstände, Schmuck und nicht zuletzt Teile der Bibliothek, die Julius Echter hatte zusammentragen lassen, damals eine der größten ganz Europas. In Upsalla ist noch Einiges davon zu sehen - Beutekunst aus dem 30-jährigen Krieg.

    "Also hier auf der Burg ging es ganz schön zu, die haben angeblich jeden erschlagen, den sie getroffen haben, der Fürstbischof war nicht mehr da und der Priester hier in der Kirche, der Kaplan von Gumpenburg, der ist ihnen hier angeblich noch entgegengetreten an der Kirche, sie haben ihn am Altar gemeuchelt. das ist auch so eine alte Geschichte hier in Würzburg. Vor zwei Wochen war noch eine Dame da, die wollte den Blutfleck sehen. Direkt neben dem Altar ist tatsächlich ein roter Fleck im Boden und das ist halt nach der Legende der Blutfleck mit dem Blut dieses von Gumpenburg."

    Mit der Plünderung der Burg geht die repräsentative Zeit der Festung Marienberg langsam zu Ende, auch wenn sie in der Folge nach dem Wiederaufbau noch mit gewaltigen Bastionen verstärkt wird. Die Fürstbischöfe lassen sich von Balthasar Neumann im Zentrum der Stadt eine neue Residenz bauen, die Napoleon "das schönste Pfarrhaus Europas" nennen wird. Die Festung bleibt Soldatenstandort, wird im deutsch-deutschen Krieg vergebens belagert von preußischen Truppen, doch der Brand, den sie dennoch auf der Burg entfachen können, wird 79 Jahre später vom Inferno des Zweiten Weltkrieges mit Macht übertroffen.

    Im Dokumentationszentrum der Festung lässt sich anhand von Fotos und Brandresten die Katastrophe nachvollziehen.

    "Am 16. März 1945, kurz vor Kriegsende, kamen um 21.25 Uhr die Bombergroup Number Five der Royal Air Force über Würzburg. 17 Minuten hat der ganze Wahnsinn gedauert. In nur 17 Minuten wird Würzburg in Schutt und Asche gebombt. 90 Prozent des Altstadtkerns werden zerstört, 80 Prozent der Gesamtstadt, auch 70 Prozent dieser Hauptburg, das heißt, der Nordflügel brennt ab dem ersten Drittel bis hin zur Stadtseite aus. Der Ostflügel brennt komplett aus, der Südflügel brennt komplett aus. Was stehen bleibt, sind die Erdgeschossräume in vielen Bereichen, denn die haben gewölbte Steindecken, wie auch hier in diesem Raum, da kann das Feuer nicht durch. Was stehen bleibt sind reine Steinbauten, wie die Ecktürme, der Bergfried oder die Rundkirche und alles, was von der Stadt weg lag, wie der Westflügel und die beiden Vorburgen. Ansonsten stand hier nur noch ein reiner Torso aus Fassaden und Mauern, Innenbögen, Decken, Dächer, das war alles ausgebrannt. Das ist besonders tragisch, denn acht Jahre zuvor, 1937, da wird der Fürstenbau wieder neu eingerichtet."

    Heute, über 60 Jahre später, lässt sich auf dem Marienberg auch der Fürstenbau wieder besuchen, kann man vom Fürstengarten aus einen eindrucksvollen Blick auf Würzburg und die Weinberge genießen oder im Mainfränkischen Museum unter anderem Exponate des Meisterbildhauers Tilman Riemenschneider bewundern. Ein wenig aber steht die Festung heute, auch wenn sie auf dem Marienberg thront, im Schatten der barocken Stadt am Main, wirkt viel nüchterner als etwa die Residenz im Herzen Würzburgs. Doch der, der sich auf einen Gang in die Vergangenheit einlässt, wird nicht nur mit dem Blick nach unten belohnt.