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Von Brücken im Corsogespräch
"Texte in musikalische Emotionen übersetzen"

Das Debüt-Album des Duos "Von Brücken" ist im Oktober erschienen. Zuvor war einer der beiden Freunde, Nicolas Müller, aufgrund von Krankheit aus der Band Jupiter Jones ausgestiegen. Nun geht es als Von Brücken auf Deutschlandtour. Die Stärke des Albums sehen die Musiker darin, dass sie bei Text und Musik quasi der Übersetzer für den jeweils anderen sind.

Tobias Schmitz und Nicholas Müller im Gespräch mit Sascha Ziehn | 06.02.2016
    Tobias Schmitz und Nicholas Müller von der Band Von Brücken.
    Tobias Schmitz und Nicholas Müller von der Band Von Brücken. (imago/Future Image)
    Sascha Ziehn: Von welchen Brücken denn?
    Nicholas Müller: Von denen zwischen Musikstilistiken, von denen aus der Vergangenheit in die Zukunft, von denen zwischen Menschen, von den endlosen Listen, die man darüber führen könnte. So was.
    Tobias Schmitz: Auf jeden Fall von guten Brücken ...
    Ziehn: Das klingt schon so, als ob Sie sich über den Namen viele Gedanken gemacht haben. Das ist jetzt nicht so: Hey, wir haben das irgendwo gelesen und wandeln das einmal ab - sondern das hat schon eben genau diese Bedeutung: über Brücken zu gehen.
    Schmitz: Der Name hat uns tatsächlich sehr viel Kopfzerbrechen bereitet, obwohl dann der finale Name "Von Brücken" tatsächlich relativ schnell da war. Aber bis das passiert ist, ist eine elend lange Zeit vergangen. Das Album war schon aufgenommen, das Artwork schon fertig - und dann irgendwann ist dieses Bild da gewesen, Brücken, dann hat Nicolas noch "von" dazu addiert, weil man es dann so schön führen kann wie einen Familiennamen, wie einen adeligen.
    Ziehn: Und ist schon eine Tour geplant, mit den Von Bondies und Von Spar?
    Müller: Nee, bisher noch nicht. Aber ich kann sehr Van Holzen empfehlen. Aber Von Bondies und Von Spar... Von Spar ist zu viel Kunst für uns und Von Bondies zu rüde.
    Ziehn: Aber das Tourplakat würde gut aussehen.
    Müller: Das stimmt. Jede Menge "Von" auf jedem Fall. Macht dann auch jedem Radiomoderator total viel Spaß.
    Offener Umgang mit Krankheit
    Ziehn: Nicholas Müller, Sie sind sehr öffentlich damit umgegangen, dass Sie bei Jupiter Jones ausgestiegen sind, weil Sie unter Angstattacken gelitten haben oder leiden. Viele Menschen verschweigen das, warum haben Sie sich entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen mit einer Sache, die ja schon sehr intim ist?
    Müller: Weil so viele Menschen das verschweigen. Und das ist leider einer der Haupt-Hindernisgründe für eine vernünftige Arbeit mit dieser Krankheit, für einen vernünftigen Umgang. Das steht vielen Therapeuten im Weg, das steht unter anderem auch der Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Angsthilfe im Weg, da bin ich Botschafter. Und in einem Gespräch mit denen hat sich eben rausgestellt, dass das Hauptproblem ist, dass das so tabuisiert wird. Ich find es ganz ganz wichtig, dass darüber gesprochen wird, und wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass da ein selbstverständlicher Umgang mit dieser Krankheit gepflegt wird, dann mache ich das sehr gerne.
    Ziehn: Tobias Schmitz, von wem ging das eigentlich aus mit Von Brücken?
    Schmitz: Also nach einer Genesungszeit, die Nicholas gebraucht hat, hat er mich angerufen – aber nicht im Sinne von: ‚Du, Tobi, lass mal eine Band gründen. Ich habe schon lang keine Musik mehr gemacht!' Sondern: Wir wollten uns als Freunde treffen und bisschen quatschen, was in der Zwischenzeit passiert ist und abends ein Konzert besuchen. Und dieses Konzert haben wir nicht besucht, weil wir dann doch am Klavier geendet sind und zusammen Musik gemacht haben. Aber so aus Spaß an der Freude und nicht mit Zielsetzung. Und so ein bisschen hat man dann natürlich wieder Spaß gefunden, gemeinsam zu musizieren, und wir kennen uns ja schon total lange und gut. Also haben wir gesagt: Na ja gut, wir treffen uns mal und versuchen, einen Song zu schreiben.
    Ziehn: Sie haben aber schon so ein bisschen den Hang zur Hymne, oder?
    Schmitz: Ich mag halt die Musik, die einen Aufbau hat. Vielleicht kommt das auch so ein bisschen aus der Klassik. Ich bin ja Pianist und auch mit klassischer Musik aufgewachsen. Und da ist es auch oft so, dass Stücke sehr klein und reduziert anfangen und dann ganz groß werden und wieder klein aufhören. Und da gibt es einige Stücke auf dem Album, die so ein bisschen diesen Aufbau verfolgen.
    Ziehn: Aber schon eher Rachmaninow als Mozart?
    Schmitz: Definitiv, ja. Mozart ist nicht so meine Welt. Ist ein bisschen zu lustig und fröhlich, die ganze Zeit.
    "Ich habe mich viel zu oft da in mein Schicksal ergeben"
    Ziehn: "Ich sing' nie wieder die alten Lieder und brenne den Tanzsaal nieder". Ich habe wirklich über diesem Satz gebrütet. Ist das so eine Art Kapitulation oder eine Kampfansage?
    Müller: Das ist eindeutig eine Kampfansage. ‚Ich sing' nie wieder die alten Lieder' ist nicht auf meine musikalische Vergangenheit zu beziehen. Wobei ich tatsächlich, oder wir beide, die Strategie verfolgen, dass wir sehr sehr glücklich sind mit unserer Musik und deswegen jetzt nicht ein Hitmedley von Jupiter-Jones-Songs in Zukunft spielen werden. Aber es geht halt um die alten Lieder, die die Angst mir immer gesungen hat und bei der ich halt mitgesungen habe. Ich habe mich viel zu oft da in mein Schicksal ergeben. Und weiter heißt es ja auch in dem Text, dass ‚Lady Angst' zum Tanz bittet – und beides möchte ich nicht mehr. Beides geschieht natürlich trotzdem immer noch. Es wäre gelogen, zu sagen, dass ich in diesem Sabbatjahr, das ich hatte, nie noch eine einzige Panikattacke erlebt hätte. Aber das ist auf so ein Minimum zusammengeschrumpft, dass ich sagen würde: Ich bin halt gesund. Und darum geht es eigentlich. Dass ich niemals wieder in diese Situation rutschen möchte. Und das heißt, dass ich da mein eigener Herr bin und selber erkennen muss, wann es an der Zeit ist, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Und damit ist die Sache eigentlich schon erklärt.
    Ziehn: Ist das so die perfekte Kombination: Die Hymnen und diese Texte dazu, die eben sehr intim sind?
    Müller: Ja, es steht natürlich manchmal in krassem Gegensatz. Das eben Hymnenhaftes mit ganz Introspektivem und ganz persönlichen Dingen verbunden werden, wo man eigentlich was Universelleres erwartet und gar nicht so was, was so aus meinem Leben gegriffen ist, textseitig. Auf der anderen Seite haben wir aber auch einige Songs auf der Platte wie zum Beispiel ‚Die Sache mit dem toten Clown', was eben eine Ode an die großen depressiven Komiker ist, sei es Heinz Erhardt oder sei es, da zu diesem Zeitpunkt aktuell, Robin Williams, die innerlich sehr dunkel, sehr traurig waren. Und das Ganze wird aber begleitet von einer Melodie, die so stolpert und poltert und zwischendrin noch Zirkustöne hat – und eigentlich fast der tanzbarste Song auf der Platte ist. Und da geht es um einen Clown, der sich im Alkoholismus verliert und dann irgendwann völlig kapituliert. Aber ob er jetzt gestorben ist oder nicht, das weiß selbst ich nicht. Ja, dieses Spiel mit den Gegensätzen und den Grenzen, das ist schon unsere Sache.
    Ziehn: Ist das, was Sie erzählen, eigentlich eher abstrakt, erfunden - oder schon so sehr direkt eins zu eins aus Ihrem Leben gegriffen und aus "reinstem Herzen" zu Papier gebracht?
    Müller: Also, ich habe in meinem Leben erst einen Text geschrieben, der nicht autobiografisch ist. Das ist schon lange lange her. Und alle anderen Songs haben immer einen autobiografischen Anstrich. Was ich aber gerne mache, ist, um dem Ganzen vielleicht noch ein bisschen mehr Drall zu geben und vor allen Dingen um auch diesen Seelenstriptease zu vermeiden: Ich projiziere das halt auf Charaktere. Das muss dann auch nicht mein Alter Ego sein, sondern das sind Charaktere, die ich erfinde, die diese Geschichten erleben. Und da wird das dann gerne mal ein bisschen übersteigert, was ich eigentlich sagen will, um dem Ganzen mehr Nachdruck zu geben. Aber mit meinem eigenen Leben hat das eigentlich immer zu tun. Also das kann ich auch ganz schlecht, einen Text zu schreiben, der völlig abstrakt ist. Ich werde niemals einen Fantasy-Text schreiben können, weil: Dafür bin ich viel zu sehr mit der Welt verhaftet, das mag ich auch ganz gerne.
    "Man ist gegenseitig Übersetzer für den anderen"
    Ziehn: Tobias Schmitz, wie ist das für Sie, wenn diese sehr direkten Texte auf die Hymnen drauf kommen, die Sie komponiert haben?
    Schmitz: Das ist für mich eine sehr spannende Arbeit, weil wir halt versuchen, an der Stelle auch eng miteinander zu arbeiten. Wir haben ja gesagt: Man ist gegenseitig Übersetzer für den anderen. Man versucht, diese Texte wiederum in musikalische Emotionen zu übersetzen, oder manchmal ist es auch umgedreht, dass Musik zuerst da ist und Nicholas dann aufnimmt: Was für eine Emotion passiert da? Was würde für ein Text dazu passen? Das finde ich, ist eine der Stärken dieses Albums geworden. Und das werden wir auch versuchen, weiter zu führen und vielleicht sogar noch zu intensivieren, in der Zukunft.