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Von Burgen und Drachen

"Iwein Löwenritter", das erste Jugendbuch der in Berlin lebenden Autorin Felicitas Hoppe beruht auf einer mittelhochdeutschen Variante der Artus-Sage. Auch wenn es sich im Grunde um einen Ritterroman handelt, finden die Kämpfe gegen Drachen, Riesen oder doppelte Ritter ohne großes Waffenarsenal statt. Viel bewegender sind die menschlichen Beziehungen und Konflikte zwischen den Figuren.

Von Karin Hahn |
    Ritter gehören zum Personal der Weltliteratur. Felicitas Hoppe hat eine besondere Affinität zu den kühnen Männern, die sich im Idealtypus durch Treue, Besonnenheit und Tapferkeit auszeichnen. Auch in ihrem Roman "Paradiese, Übersee" ist der Ritter ein zentrale Figur. Nicht umsonst wird der Mythos von König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde seit beinahe 1000 Jahren immer wieder in der Literatur aufgegriffen. Die Berliner Autorin steht mit ihrer Neuerzählung des "Iwein" für Kinder in dieser Tradition und auf einem ziemlich einsamen Posten.

    " Ich habe mit einer ausgezeichneten Übersetzung gearbeitet, ich hab verschiedene verglichen, das ist die Prosaübersetzung von Max Wehrli, und die ist ganz toll. D.h. ich erzähle nicht nur Hartmann nach, ich erzähle auch den Übersetzer aus dem Mittelhochdeutschen gewissermaßen nach, weil er zum Teil wunderbare, und wie ich finde, komödiantische Begriffe so übersetzt hat. Das hat eine gewisse Einfachheit und es hat eine große Leichtigkeit. "

    Felicitas Hoppe hält sich im großen und ganzen an die Chronologie der mittelhochdeutschen Vorlage, erfindet Szenen und sogar Figuren neu, hat aber auch Passagen im Urtext gekürzt, die für Kinder schwer verständlich sind. Ihr erhabener, stellenweise melodischer Erzählton, bei dem doch etwas von den mittelhochdeutschen Versen durchschimmert, erinnert an den Klang von Sagen und Märchen. Ein Gedanke baut sich auf den anderen auf, die Zeit ist da für Wiederholungen, Ortsbesichtigungen und kurze Rückblicke. Durch ihre bildreiche Sprache eröffnet die Autorin Raum für eigene Vorstellungen und verhehlt nicht, wie sehr ihr dieser Iwein gefällt.

    " Iwein finde ich deshalb großartig, weil er nicht einfach ein so oberflächlicher Ritter ist, der ein Abenteuer an das nächste reiht, sondern weil er selber eine Entwicklung durchmacht, die viele Menschen durchmachen müssen. Es passieren ihm Dinge, die nicht gerade schön sind. Es fängt alles ziemlich gut an, so mit jugendlichem Eifer und Schwung, und dann gehen ganz viele Sachen einfach in die Hose. Und er wird am Ende sogar wahnsinnig und muss durch diesen Wahnsinn durch und danach wird er dann ein anderer Mensch. "


    Kennt ihr die Geschichte von Iwein, der eines Tages aus lauter Langeweile auszog, um Abenteuer zu suchen und sein Herz dabei gegen ein anderes tauschte und deshalb seinen Verstand verlor? Dann hört mir gut zu, denn besser als ich erzählt die Geschichte euch keiner, ich war nämlich dabei.

    Der mit allem vertraute Erzähler verrät seine Identität kurz vor Ende des Romans. Man fragt sich ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr, wer er eigentlich ist, sondern lauscht seiner eindringlichen Stimme. Als kompetenter Vermittler baut er eine Brücke zwischen Ritterwelt und Gegenwart.

    Die Handlung setzt mit dem klassischen Kampf zwischen dem weißen Ritter Iwein und dem hungrigen Immerwalddrachen ein. Durch den überragenden Sieg gewinnt Iwein die Freundschaft des Löwen. Nach diesem spannenden Auftakt wechselt der Schauplatz und Iweins Vorgeschichte wird erzählt, die am Hofe von König Artus beginnt. Der Oberhofmeister Keie erzählt Iwein vom Land Nebenan und einem geheimnisvollen Ungeheuer. Iwein, der sich am Hofe langweilt und endlich ein richtiges Abenteuer erleben will, reitet ins Nachbarland. Um nicht unnötig abzulenken, stellt Felicitas Hoppe ihre Helden in die Nähe des Alltäglichen.

    In ihrer Prosa für Erwachsene verlässt sie jedoch ganz gern Zeit und Raum. Sie fordert den Leser heraus und macht es ihm ganz und gar nicht einfach. So kombiniert sie Legenden mit Fakten und vermischt die Ebenen und Perspektiven. Dabei begibt sich die Autorin z.B. in ihrem Roman "Johanna" auf verschlungene Wege, um zum Ziel zu gelangen. Sie liebt es assoziativ und temporeich zugleich. Beim Nacherzählen von "Iwein Löwenritter" wählt die Autorin aber eine durchschaubare und verständliche Sprachstruktur. Felicitas Hoppes besonderes Interesse an weiblichen Figuren macht sie wiederum als die Johanna-Autorin erkennbar:

    " Ich hab mich an manchen Stellen gefragt, ist das jetzt stimmig. Es gibt Szenen, vor allem die Frauen in dem Buch, die habe ich stark umgestaltet, nicht so sehr die große Liebe von Iwein zu Laudine, vor allem ihre Dienerin Lunete, die für mich dann eigentlich eine Hauptfigur dieses Buches geworden ist. Ich habe ihr vor allem eine Fähigkeit zugewiesen, sie ist eine Schachspielerin und sie spielt so gut, dass am Ende niemand mehr gegen sie antreten möchte, so gut, dass sie am Ende nur gegen sich selber spielen muss. "

    Die Dienerin Lunete aus dem Land Nebenan ordnet sich den höfischen Regeln nicht unter. Mit ihrem scharfen Verstand und einem Ring, der Iwein unsichtbar macht, immerhin hat er den Burgherrn des Landes Nebenan erschlagen, schützt sie ihn vor seinen Widersachern. Und dann verliebt sich Iwein ausgerechnet in die trauernde Witwe Laudine.

    Das nennen die Menschen die große Liebe, sie ist Glück und ihr Unglück zugleich. Denn die Liebe ist blind, genau wie die Gewalt. Und sie kennt keine Gerechtigkeit. Wie kann man erst einen Mann erschlagen und sich danach in seine Frau verlieben? Ob das an der Vergesslichkeit liegt?

    Mit großer Empathie steht der Erzähler an Iweins Seite, auch wenn er ab und zu einen lässig, auflockernden Spruch loswerden muss. Aber der Erzähler fühlt sich auch in Lunete oder Laudine hinein und versucht ihre Empfindungen zu verstehen. Diese gewollten Brüche und Unebenheiten wirken sehr modern und stehen im Widerstreit zur mittelalterlichen Handlung. Hier wagt Felicitas Hoppe einen Spagat:

    " In diesem Buch wird unglaublich viel argumentiert, hier wird gesprochen. Das Buch ist überhaupt nicht romantisch, die Leute entscheiden immer nach praktischen Maßgaben, und das ist Hartmann, das ist Mittelalter. Allein die Tatsache, das man eine Frau davon überzeugen kann, den Mörder ihres Mannes zu heiraten, das ist grandios und zwar durch Argument. "

    Auch wenn Felicitas Hoppe einen Ritterroman geschrieben hat, finden die heldenhaften Kämpfe gegen Drachen, Riesen oder doppelte Ritter ohne großes Waffenarsenal statt. Viel bewegender sind die menschlichen Beziehungen und Konflikte, die sich zwischen den Figuren abspielen. Da befindet sich Felicitas Hoppe auf einer Linie mit Hartmann von Aue. Auch er thematisiert den schwierigen Weg der Erkenntnis, den Iwein als verantwortungsloser Burgherr und Ehemann bestreiten muss. Iweins engster Freund Gawein lockt den frisch gebackenen Ehemann in die weite Welt. Iwein vergisst, dass er Laudine seine Rückkehr versprochen hat. Als er den Zeitpunkt verpasst, zieht sie sich erzürnt zurück. Iwein verliert den Verstand.

    Er wollte allein sein mit seinem Schmerz. Aber er war nicht allein mit seinem Schmerz. Seinem Schmerz folgte die Schuld, seiner Schuld folgte die Angst und seiner Angst die Verzweiflung.

    Die Geschichte von "Iwein Löwenritter" entfaltet "auf dem Weg in die Träume" auch als Vorlesebuch seine ganz eigene suggestive Kraft, eine der vielen Qualitäten dieses zeitlosen Romans für alle Leser.

    Felicitas Hoppe: Iwein Löwenritter - Erzählt nach dem Roman von Hartmann von Aue, Mit Illustrationen von Michael Sowa, Fischer Schatzinsel, 256 Seiten, Fischer Schatzinsel, 16, 90 Euro