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Von den Historikern kaum beachtet

Ihre Familiensaga "Das Geisterhaus", geschrieben auf der Höhe des Booms des magischen Realismus lateinamerikanischer Prägung, trug der Chilenin Isabel Allende 1984 Weltruhm ein. Auch ihr zwei Jahre später erschienener, zweiter Roman, "Von Liebe und Schatten", überzeugte, nicht zuletzt, weil er die Menschenrechtsverletzungen des damals herrschenden chilenischen Militärregimes anprangerte.

Von Eva Karnofsky | 23.10.2007
    Seitdem schrieb die Nichte des von Diktator Augusto Pinochet aus dem Amt geputschten Präsidenten Salvador Allende ein Dutzend weitere Romane. Zwar blieben die Käufer der Autorin höchst gewogen, doch die Kritik reagierte verhalten bis ablehnend. Isabel Allende hatte sich auf leichte Unterhaltung verlegt, nur selten vermochten ihre Themen noch zu bewegen.

    Mit "Inés meines Herzens" hat sie nun einen historischen Roman geschrieben, der hilft, eine Lücke zu füllen, als er das Leben einer Frau schildert, die entscheidenden Anteil an der Eroberung Chiles durch die Spanier hatte: Inés Suárez. Wie so viele bedeutende Frauen in der Geschichte Lateinamerikas, wurde Inés Suárez von den Historikern bis heute kaum beachtet.

    "Aus meiner Schulzeit in Chile, aus dem Geschichtsunterricht, wusste ich bereits ein wenig über diese Frau, weil Inés Suárez in den Dokumenten über die Eroberung zwischen den Zeilen vorkommt. Sie war die einzige spanische Frau, die mit den 110 Eroberern im Gefolge von Pedro de Valdivia nach Chile kam. Und weil sie mit keinem der Eroberer verheiratet, sondern Pedro de Valdivias Geliebte war, hat nicht einmal Valdivia selbst sie in seinen Briefen an den spanischen König erwähnt. Und die Chronisten schrieben auch nicht über sie. So gibt es nur wenige Dokumente über Inés, lediglich über die Männer in ihrer Begleitung und über die Epoche der Eroberung Chiles. Dieses Material habe ich untersucht und das Profil dieser außergewöhnlichen Frau herausgefiltert."

    Inés Suárez stammt aus dem zentralspanischen Plasencia. Sie heiratet, doch ihr Mann verlässt sie bald, um in die Neue Welt aufzubrechen. Des Wartens müde, schifft auch sie sich schließlich in Begleitung einer Nichte ein, um ihren Ehemann zu suchen. Die beschwerliche Reise führt sie zunächst ins heutige Venezuela, und dann nach Cusco, an den Hof des Eroberers und Generalkapitäns von Peru, Francisco Pizarro. Dort lernt sie Pedro de Valdivia kennen, mit dem sie schließlich nach Chile aufbricht.

    "Sie war außergewöhnlich stark, ihr gesamtes Leben beweist dies. Zu einer Zeit, in der Frauen nicht allein vor die Tür gehen durften, gelang es ihr unter großen Schwierigkeiten - sie verfügte schließlich über keinerlei Erziehung -, eine Erlaubnis des Königs und der Kirche zu bekommen, in die Neue Welt zu reisen. Sie war nur eine arme Näherin, von ihrem Mann durch sein Auswandern praktisch zur Witwe gemacht. Doch anstatt schwarz gekleidet in ihrem Dorf zu bleiben, reist sie in eine Welt, von der sie nicht einmal weiß, wo sie liegt und wie groß sie ist, um ihren Mann zu suchen. Und als sie in Cusco entdeckt, dass sie tatsächlich Witwe ist, kehrt sie nicht etwa zurück, sondern bleibt und beginnt zu arbeiten. Sie verliebt sich in Pedro de Valdivia, und als der Eroberungsfeldzug bevorsteht, legt sie sich eine Rüstung an, steigt auf ein Pferd und zieht mit den Männern."

    Ohne Inés Suárez wäre Valdivias Truppe in der Atacama-Wüste elend verdurstet, doch sie verstand es, mit der Wünschelrute umzugehen und rettete das Unternehmen. Gemeinsam mit Valdivia gründet sie dann Santiago de Chile, bis heute die Hauptstadt des Andenlandes. Inés Suárez hat entscheidenden Anteil am Aufbau der Stadt und bewahrt diese in Abwesenheit Valdivias vor der Zerstörung.

    "Beim ersten Angriff der indianischen Ureinwohner auf die kaum gegründete Stadt rettete sie diese, als sie sich entschließt, sieben indianische Kaziken, die als Geiseln festgehalten wurden, eigenhändig zu enthaupten. Das zeugt von Brutalität, nicht wahr? Aber auch von der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen - und von Stärke. Und diese Episode habe ich nicht etwa erfunden."

    Isabel Allende wehrt sich gegen die Kritik, sie habe sich zu sehr für Inés` Liebesgeschichten interessiert, und die von den Spaniern an den Mapuche, den Ureinwohnern, begangenen Massaker hätten sie kalt gelassen:

    "Als Chilenin fühle ich mich als Teil beider Kulturen. Aber ich wollte die Geschichte von Inés erzählen. Und die angemessenste Form dafür erschien mir, dies mit ihrer Stimme zu tun, in der ersten Person. Und sie bezieht logischerweise für ihre Landsleute Position. Aber es kommt auch ein großer Respekt für die indigene Seite zum Tragen, auch diese Seite wird dargestellt. Sämtliche Grausamkeiten, die die Spanier begangen haben, sind im Buch beschrieben, ich habe nichts ausgelassen, nicht die Schlachten, nicht die Folter, nicht die Massaker, nicht die unglaubliche Art, ihre Gefangenen zu töten."

    Sie geraten ihr gar ein wenig lang, diese Schlachten, die belegen, welch' kluge Strategen ihre indigenen Vorfahren waren, denen es schließlich gelang, Pedro de Valdivia gefangen zu nehmen und zu töten. Und hätte es die Liebesgeschichten nicht gegeben, wäre Inés Súarez weder in die Neue Welt aufgebrochen, noch hätte sie an der Eroberung Chiles maßgeblich teilgenommen.

    Bereits in reifem Alter heiratet Inés Valdivias Gefährten Rodrigo de Quiroga, nicht aus Liebe zunächst, sondern weil die damalige Gesellschaft es nicht tolerierte, dass eine Frau ein Haus und Land besaß und obendrein mit einem verheirateten Mann liiert war. Für die von Inés adoptierte Tochter Quirogas - und lediglich dies hat Isabel Allende erfunden, weil es ihr die Ich-Form erlaubt - schreibt sie schließlich, bereits siebzigjährig, die Geschichte ihres Lebens auf.

    Isabel Allende verstand sich von je her aufs Schreiben, und auch "Inés meines Herzens" kommt eingängig und flüssig daher. Zwar hat sich die Autorin nach eigenen Worten bemüht, sich sprachlich auf das 16. Jahrhundert einzustellen, doch durchgängig gelungen ist dies zumindest in der deutschen Übersetzung nicht, als sich gelegentlich moderne, umgangssprachliche Wendungen einschleichen. Dennoch: Isabel Allende hat sich mit einem soliden Roman zurückgemeldet, dem es weder an Informations- noch an Unterhaltungswert mangelt.