"Ich bin selber nicht traumatisiert, dunkles Thema."
Ein solches "dunkles Thema" war in "lines" die Drogensucht. "lines" ist ein schonungslos offener Bericht über die Nachtseiten des Lebens. Weggeworfene Babys, durchdrehende Drogenmütter, alkoholabhängige Väter. In einer geschickt angelegten Erzählperspektive schuf Bettina Gundermann Lebenslinien, lines, die sich überschneiden. In einer äußerst lakonischen Sprache. "Anne tot, Dealer sauer", so lautete an einer Stelle die größte Verknappung. Armes Leben, "arme" Sprache, so könnte man meinen. Doch ist die Lakonie der Sprache nicht eindeutig. Bettina Gundermann:
" Sprache zeigt auch helle Seiten."
Gleich mit dem ersten Satz des neuen Romans sind wir wieder im Milieu von "lines": Eine Mutter hat ihr Kind allein zur Welt gebracht, irgendwo, drei Tage lang ernährt sie es nicht, will es nicht haben, und zündet es schließlich an. Das Kind überlebt, stark verbrannt. Die Mutter verschwindet, und Lysander, so heißt der Kleine, wächst in Heimen auf. Jeder ekelt sich vor ihm, dem Verbrannten, am liebsten wäre er tot. Er ist sechs. Nur in einem Löffel sieht er sich an beim Essen, im Spiegel mag er sich nicht sehen. Fast ein Wolfskind. Aber wie in "lines" auch sind Bettina Gundermanns traumatisierte Figuren wache, sensible Charaktere. Die mehr sehen und fühlen als andere.
Lysander findet in einem der vielen Heime, die er durchläuft, einen Freund, Riccardo. Ein Ausgestoßener ist auch er, traumatisiert. Riccardo musste in einem Versteck mitansehen, wie seine Mutter vergewaltigt und getötet wurde. Ein Schreck, der nie vergeht. Lysander und Riccardo werden Freunde. Und ziehen zusammen in eine Wohnung, als sie das Heim verlassen. Riccardo wird ein erfolgreicher Versicherungsmakler, Lysander ein Autist. Er schließt sich in sein Zimmer ein, spielt nur noch Klavier, herzzerreißend traurige Melodien. Nie geht er aus, ins Leben will er nicht. Als Riccardo ein Mädchen kennenlernt, Kira (ganz klar, eine Traumatisierte auch sie) kommt es zum Bruch. Lysanders Eifersucht zerstört das fragile Gleichgewicht der drei Ausgestoßenen, am Ende scheitert alles, Freundschaft wie Liebe.
Bettina Gundermann erzählt dies auf 150 Seiten. Die Abgründe und Verwerfungen der schwierigen Beziehungen, die schwierigen Momente, die Belastungsproben, die Brüche, das Ende. Sie erzählt in Vor- und Rückblenden, in Sprüngen, Montagen, diskontinuierlich, die Schicksale der drei Figuren ineinander verwebend, sachlich, neutral. Zu Ungeheurem sind diese Figuren bereit, Ungeheuerliches haben sie erlebt. Die Sprache ist jedoch anders als in "lines". Bettina Gundermann erzählt weitläufiger, ihre Sätze sind ausladender geworden, sie führt das Geschehen und die Gefühle der Figuren stärker aus. Die Lakonie, die große Stärke von "lines", sie fehlt hier. Und das hat Auswirkungen auf das Klima des gesamten Romans. Es ist nicht so unerbittlich wie im Erstling, nicht so streng, nicht so hart. Die Schicksalsschläge sind zwar die gleichen, aber im breiteren Erzählfluss wirken sie anders. Weniger überraschend, weniger pointiert, statt dessen gelöster, entspannter, und damit weniger schockierend. Eine Schwäche gegenüber dem großartigen Erstling! Die Autorin sieht das jedoch anders.
Ein solches "dunkles Thema" war in "lines" die Drogensucht. "lines" ist ein schonungslos offener Bericht über die Nachtseiten des Lebens. Weggeworfene Babys, durchdrehende Drogenmütter, alkoholabhängige Väter. In einer geschickt angelegten Erzählperspektive schuf Bettina Gundermann Lebenslinien, lines, die sich überschneiden. In einer äußerst lakonischen Sprache. "Anne tot, Dealer sauer", so lautete an einer Stelle die größte Verknappung. Armes Leben, "arme" Sprache, so könnte man meinen. Doch ist die Lakonie der Sprache nicht eindeutig. Bettina Gundermann:
" Sprache zeigt auch helle Seiten."
Gleich mit dem ersten Satz des neuen Romans sind wir wieder im Milieu von "lines": Eine Mutter hat ihr Kind allein zur Welt gebracht, irgendwo, drei Tage lang ernährt sie es nicht, will es nicht haben, und zündet es schließlich an. Das Kind überlebt, stark verbrannt. Die Mutter verschwindet, und Lysander, so heißt der Kleine, wächst in Heimen auf. Jeder ekelt sich vor ihm, dem Verbrannten, am liebsten wäre er tot. Er ist sechs. Nur in einem Löffel sieht er sich an beim Essen, im Spiegel mag er sich nicht sehen. Fast ein Wolfskind. Aber wie in "lines" auch sind Bettina Gundermanns traumatisierte Figuren wache, sensible Charaktere. Die mehr sehen und fühlen als andere.
Lysander findet in einem der vielen Heime, die er durchläuft, einen Freund, Riccardo. Ein Ausgestoßener ist auch er, traumatisiert. Riccardo musste in einem Versteck mitansehen, wie seine Mutter vergewaltigt und getötet wurde. Ein Schreck, der nie vergeht. Lysander und Riccardo werden Freunde. Und ziehen zusammen in eine Wohnung, als sie das Heim verlassen. Riccardo wird ein erfolgreicher Versicherungsmakler, Lysander ein Autist. Er schließt sich in sein Zimmer ein, spielt nur noch Klavier, herzzerreißend traurige Melodien. Nie geht er aus, ins Leben will er nicht. Als Riccardo ein Mädchen kennenlernt, Kira (ganz klar, eine Traumatisierte auch sie) kommt es zum Bruch. Lysanders Eifersucht zerstört das fragile Gleichgewicht der drei Ausgestoßenen, am Ende scheitert alles, Freundschaft wie Liebe.
Bettina Gundermann erzählt dies auf 150 Seiten. Die Abgründe und Verwerfungen der schwierigen Beziehungen, die schwierigen Momente, die Belastungsproben, die Brüche, das Ende. Sie erzählt in Vor- und Rückblenden, in Sprüngen, Montagen, diskontinuierlich, die Schicksale der drei Figuren ineinander verwebend, sachlich, neutral. Zu Ungeheurem sind diese Figuren bereit, Ungeheuerliches haben sie erlebt. Die Sprache ist jedoch anders als in "lines". Bettina Gundermann erzählt weitläufiger, ihre Sätze sind ausladender geworden, sie führt das Geschehen und die Gefühle der Figuren stärker aus. Die Lakonie, die große Stärke von "lines", sie fehlt hier. Und das hat Auswirkungen auf das Klima des gesamten Romans. Es ist nicht so unerbittlich wie im Erstling, nicht so streng, nicht so hart. Die Schicksalsschläge sind zwar die gleichen, aber im breiteren Erzählfluss wirken sie anders. Weniger überraschend, weniger pointiert, statt dessen gelöster, entspannter, und damit weniger schockierend. Eine Schwäche gegenüber dem großartigen Erstling! Die Autorin sieht das jedoch anders.