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Von der Abschlussprüfung zur ARGE

Statistisch gesehen sind Akademiker seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Beschäftigte in Ausbildungsberufen. Umgekehrt bedeutet es allerdings bei weitem nicht, dass ein Studienabschluss ein Garantieschein für einen Job ist.

Von Andrea Groß | 23.01.2010
    Beate Köster (Name geändert) ist erst vor ein paar Tagen in ihre kleine Dachwohnung eingezogen. Einige der Kartons sind noch gar nicht ausgepackt. Die alte Wohnung, erzählt Beate Köster, habe sie nicht mehr halten können. Sie ist 48 Jahre alt und lebt allein. In den 80er-Jahren hat sie eine Ausbildung zur Landschaftsgärtnerin gemacht und danach Ökotrophologie studiert.

    "Ökotrophologie bedeutet Haushalts- und Ernährungstechnik. Warum ich das studiert habe? Das Thema Ernährung war schon immer ein Thema, das mich interessiert. Auch aufgrund meiner Ausbildung als Gärtnerin."

    Während Beate Köster studiert, boomt die Computerbranche. Die angehende Diplom-Ökotrophologin lernt nicht nur etwas über die Heilkraft von Pflanzen, sondern kann schließlich auch gut mit Computern umgehen. Nach ihrem Studium arbeitet sie für einen IT-Dienstleister – bis dieser Konkurs anmelden musste. Kein Problem, denkt sich Beate Köster und macht sich selbstständig: als Ernährungsberaterin und als IT-Fachfrau. Und als weiteres Standbein erweitert sie ihren Bauchladen noch um den Posten Online-Redakteurin in der Werbebranche.

    "Da ging es mir vier Jahre sehr gut."

    Nach den fetten Jahren bricht jedoch der Internet-Hype zusammen und damit fehlen die Auftraggeber. Erst in der Werbebranche und dann in der Computerbranche selbst. Ende 2005 meldet sich Beate Köster zum ersten Mal arbeitslos. Es folgen Bewerbungen, Gelegenheitsjobs, davon fünf Monate bei einem Landschaftsbauunternehmen in der Schweiz, Weiterbildungen. Seit Mai vergangenen Jahres lebt Beate Köster von Harz IV.

    "Ich lass den Kopf mit Sicherheit nicht hängen. Zum einen bin ich seit zwei Jahren im Tierheim tätig als ehrenamtliche Spaziergängerin und das werde ich so ein bisschen mit nutzen wollen, was meine eigene Selbstständigkeit angeht."

    Beate Köster möchte sich im Bereich ökologischer Gartenbau selbstständig machen und neben Nützlingen für den Garten auch Heilkräuter für Mensch und Tier ziehen. Name, Logo, Flyer, Internetauftritt, Marketing – in ihrem Kopf ist alles fertig. Ihre Tierheimleiterin hat sie schon überzeugt. Was noch fehlt, ist ein Job, um das Zubehör zu finanzieren. Und den sucht Beate Köster in jeder Minute, die sie sich von ihren Vierbeinern losreißen kann.

    Auch Fiona Seidel (Name geändert) wohnt in einer Dachgeschosswohnung. Hoch über den Dächern von Bochum lebt die 30-Jährige wie in einem Vogelnest. Zu Silvester, erzählt sie, laden sich gerne Freunde bei ihr ein um das Feuerwerk zu sehen. Fiona Seidel wollte Lehrerin werden und eigentlich will sie das immer noch. Sie schrieb sich ein für Germanistik und Philosophie.

    "Es hieß auch damals, ja gut, Lehrer werden wieder eingestellt, Lehrer werden gesucht. Das habe ich sieben Semester lang gemacht. Eigentlich auch sehr erfolgreich, zwischen gut und sehr gut waren meine Noten."

    Parallel arbeitet Fiona Seidel in einem Nachhilfezentrum und es macht ihr Spaß. Sie mag die Schüler und die Schüler mögen sie. Doch dann bricht sie das Studium ab, weil ihr gesagt wird, dass sie mit der Fächerkombination keine Chance hat. Sie erwägt eine Ausbildung als Veranstaltungstechnikerin, muss aber feststellen, dass kräftige männliche Hauptschulabsolventen den Vorzug erhalten vor ihr, der zierlichen Hochschulabbrecherin. Also beginnt sie ein neues Studium.

    "Nämlich Geografie. Und zwar als Bachelor. Das war damals in Bochum relativ neu und wurde beworben. Dass die Aussichten auf Stellen hinterher sehr gut wären."

    Vielleicht doch mit Kindern arbeiten und zwar im Bereich der Umweltpädagogik. Dieser Gedanke hat Fiona Seidel angetrieben. Aber schon bei einem Praktikum wird sie belehrt, dass Stellen für Umweltpädagogen abgebaut werden. Sie schließt trotzdem in der Mindeststudienzeit ab. Das muss sie, weil sie sich wegen der Studiengebühren keine Verzögerung leisten kann. Bei anschließenden Bewerbungen stellt sie fest, dass Geografie vielleicht ein gutes Fach ist, der Bachelor aber nicht das richtige System.

    "Es hatte sich herausgestellt, was ich am Anfang meines Studiums einfach noch nicht wissen konnte, dass der Bachelor einfach noch nicht akzeptiert wird. Er wird nicht anerkannt. In den Köpfen der Leute herrscht vor, dass ein Diplomabschluss immer noch was wert ist. Dieses neue System mit Bachelor und Master, das hat einfach noch nicht Fuß fassen können in den Köpfen der Leute."

    Da hilft es auch wenig, dass Fiona Seidel nach ihrem Studienabschluss eine Weiterbildung im IT-Bereich gemacht hat, in der Hoffnung, als Geografin möglicherweise als Programmiererin für Navigationssysteme arbeiten zu können. Diplom-Absolventen erhalten – so ihre Erfahrung – immer den Vorrang. Seit knapp einem Monat wird sie von der ARGE Bochum betreut und es geht ihr schwer auf das Gemüt. Es ist nicht nur der chronische Geldmangel, der einen Kinobesuch oder einen Kneipenbummel unmöglich macht. Sie sieht ihre ehemaligen Schulkameraden Familien gründen und verzweifelt angesichts der Tatsache, dass sie nicht voran kommt. Der Umstand, dass es viele wie sie gibt, hat sie dazu bewogen, dem Radiointerview zuzustimmen.

    "Auf die Dauer ist das keinem jungen Menschen zuzumuten. Es ist wirklich bedrückend, es ist belastend, man hat quasi umsonst studiert, das Selbstvertrauen geht irgendwann den Bach runter und im Endeffekt fragt man sich:Wofür ist man all die Jahre lernen gegangen, wenn das jetzt nicht irgendwann auch mal einen Sinn macht?"