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Von der Aufforstung in Finnland bis zur Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt

Die belgische Hauptstadt Brüssel hat in dieser Woche vorübergehend 5000 Einwohner mehr. Denn seit dem heutigen Montag sind ebenso viele Vertreter aus den europäischen Regionen zu den so genannten "Open Days" angekommen. Die Tagung, die bis Ende der Woche dauert, ist die größte Veranstaltung für und von Regionen in der Europäischen Union.

Von Ruth Reichstein |
    Für die EU-Kommissarin für Regionalpolitik Danuta Hübner geht es dabei vor allem um einen intensiven Gedankenaustausch:

    "In Europa haben wir über Jahrzehnte unglaublich viel Wissen und Erfahrungen angesammelt. Um das wirklich sinnvoll und effektiv zu nutzen, brauchen wir solche Veranstaltungen, bei denen die Regionen voneinander lernen können."
    Die europäischen Regionen sollen dabei vor allem lernen, wie sie die Strukturfonds - also die Gelder aus Brüssel für die Regionen - besser verwenden können. Außerdem geht es um Möglichkeiten der öffentlich-privaten Co-Finanzierung von Projekten. Die Wirtschaft habe sich bereits weitgehend auf den internationalen Wettbewerb eingestellt, sagt Gerhard Stahl, Generalsekretär des Ausschuss der Regionen bei der Europäischen Union.
    Das Programm ist dicht. 115 Workshops laufen gleichzeitig - 600 Experten sind als Ansprechpartner vor Ort. Und ganz nebenbei präsentieren viele Regionen ihre Spezialitäten und Programme. Dabei geht es zum Beispiel um Aufforstung im Norden Finnlands, Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt oder erneuerbare Energie in Nord-Irland. Eine Woche lang werden die EU-Regionen in Brüssel also die erste Geige spielen. Fast alle Kommissare der Europäischen Union kommen zu der Veranstaltung. Auch das Parlament und die Mitgliedsstaaten sind beteiligt.
    Aber die Arbeit der Regionen bei der Europäischen Union beschränkt sich nicht auf diese eine Woche. Seit Jahren sind sie in Brüssel mit ihren Vertretungen präsent und nehmen teilweise ganz direkt Einfluss auf die EU-Politik. Mittlerweile zählt die Europäische Kommission über 250 große und kleine Regionalvertretungen in Brüssel. Sie vertreten eben nicht das Interesse eines ganzen Staates - dafür gibt es die Botschaften der Mitgliedsstaaten - sondern ganz spezielle regionale Anliegen. Heinz Koller, stellvertretender Leiter der bayerischen Vertretung in Brüssel:

    "Es ist nicht nur in Sonntagsreden so, sondern es ist tatsächlich so, Europapolitik ist heutzutage Innenpolitik. Wir müssen uns also sehr genau darum kümmern, was hier in Brüssel passiert. 60 bis 80 Prozent der nationalen Gesetzgebung kommt aus Brüssel."
    Alle Regionen, die in Brüssel vertreten sind, versuchen, von den EU-Geldern ein möglichst großes Stück abzubekommen. Die Bayerische Landesvertretung hat sich zum Beispiel in den vergangenen Monaten ganz intensiv für die Förderung der Grenzregionen innerhalb der EU eingesetzt:

    "Da mussten wir feststellen, dass die Kommission in ihren ursprünglichen Vorschlägen die Förderung der Grenzregionen in Bayern, die bayerisch-tschechische Grenze, das betraf auch viele Österreicher, zunächst nichts als europäisches Problem gesehen hat und uns da nicht entsprechend fördern wollte. Das haben wir frühzeitig mitbekommen. Wir konnten die Kommissionsvorschläge und dann im weiteren das Verfahren bis hin zum Europäischen Rat, die dann auch Sondermittel von 75 Millionen Euro für die bayerischen Grenzregionen ausgewiesen haben."

    Aber es geht nicht immer nur ums reine Geld. Die regionalen Vertretungen versuchen auch, möglichst früh Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, um sie in ihrem Sinne zu gestalten. Bayern versucht gerade - gemeinsam mit einigen anderen Bundesländern - die Transparenz-Initiative der Europäischen Kommission zu verändern. Die Brüsseler Behörde hatte vorgeschlagen, in Zukunft die Empfänger der EU-Subventionen öffentlich zu machen. So wüssten die Bürger ganz genau, welcher Betrieb und welcher Bauernhof wie viel Geld aus Brüssel bekommt.
    Heinz Koller hält das zwar grundsätzlich für eine gute Idee, fürchtet aber einen zu großen Verwaltungsaufwand. Deshalb möchten die Bayern diesen Teil der Transparenzinitiative lieber streichen.
    Die Beeinflussung der Gesetzgebung ist die eine Seite. Ganz aktive Lobby-Arbeit für die eigene Region die andere. Für die französische Region Midi-Pyrénées, die unter anderem auch die Stadt Toulouse einschließt, ist zum Beispiel das europäische Navigations-Programm Galileo von großer Bedeutung, sagt der Leiter dieser Vertretung, Yannick Proto:

    "Galileo ist ein europäisches Programm, dass sich hier in Brüssel entscheidet. Ich kann die Informationen an die Region weitergeben, zum Beispiel wenn es darum geht, wo der Hauptsitz sein soll - jetzt vermutlich in Toulouse. Das konnten wir aktiv unterstützen."
    Die regionalen Vertreter kennen die Gegebenheiten in ihren Regionen besonders gut und können deshalb viel besser über ihre Anliegen mit den Vertretern von EU-Kommission und Parlament verhandeln als die nationalen Regierungen. Davon ist Monika Kapturska, Leiterin des Büros der polnischen Region Wielkopolska, überzeugt:

    "Die nationale Regierung achtet nur auf das Geld für die obere Ebene. Wir können uns ganz gezielt um unsere Region und unsere Projekte kümmern. Das kann die Regierung überhaupt nicht leisten."
    Noch keine einzige Region habe ihr Büro in Brüssel wieder geschlossen, meint Pascal Goergen, der die Großregion Brüssel bei der Europäischen Union vertritt. Das sei ein ganz eindeutiges Zeichen, dass sich die Regionen von ihren nationalen Regierungen nicht gut genug vertreten fühlen - und zwar ganz unabhängig von der politischen Farbe.

    "Ein gutes Beispiel ist, dass im Juni elf Präsidenten von französischen Regionen direkt bei Kommissarin Hübner vorgesprochen haben, weil sie nicht zufrieden waren mit den Vorschlägen zu den Strukturfonds. Wenn also elf Regionen nicht über ihre nationale Regierung gehen, sondern selbstständig handeln, dann gibt es da schon ein Problem."
    Gerade in eher zentralistisch organisierten Staaten wie Frankreich hatte bis vor kurzem die Regierung, meist das Außenministerium, das Monopol für die europäische Politik. Erst nach und nach bauen sich auch die französischen Regionen ihre Büros in Brüssel auf. Die Region Midi-Pyrénées aus dem Süd-Westen Frankreichs hat 2002 ein kleines Drei-Mann-Büro eröffnet. Ein Grund war und ist ganz eindeutig, von der Regierung in Paris unabhängiger zu werden, sagt der Leiter des Brüsseler Büros Yannick Proto:

    "Wenn es zum Beispiel um die Strukturfonds geht, legt man hier einen Rahmen fest. Aber dann ist es an den Nationalstaaten, das Geld an die Regionen weiterzugeben. Die Regierung in Paris verhandelt also mit den Regionen. Dafür ist es sehr wichtig, dass wir auch von der Kommission direkt Informationen erhalten. So können wir besser verhandeln. Wir befreien uns so von dieser Übermacht aus Paris und entwickeln mehr regionales Selbstbewusstsein."
    Und dabei gehe es nicht nur um wirtschaftliche Aspekte meint Danuta Hübner, EU-Kommissarin für Regionalpolitik:

    "Die Vertretungen der Regionen hier in Brüssel sind auch deshalb wichtig, weil sie die Sorgen der Menschen besser vorbringen können. Die Menschen wollen denjenigen zuhören, die näher an ihnen dran sind, die bei ihnen um die Ecke wohnen. Deshalb ist Europa auf regionaler und lokaler Ebene so wichtig - nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch damit die Menschen spüren, dass sie an den Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene beteiligt sind."
    Fast alle Regionen innerhalb der Europäischen Union seien mittlerweile in Brüssel vertreten, meint Danuta Hübner. Sie siedeln sich meist rund um die drei EU-Institutionen, also die Europäische Kommission, das Parlament und den Rat an, und versuchen dann, sich ein Netzwerk aus Kontakten aufzubauen. Meistens passiert das in englischer oder französischer Sprache. Und dann gehe es darum, dieses Netzwerk zu pflegen, meint Heinz Koller von der Bayerischen Vertretung:
    Fast alle zwei Wochen laden die Bayern zu einem Vortrag oder einem kulturellen Abend in ihre Vertretung ein. Dabei geht es genauso um die neue EU-Abfallrichtlinie wie um Chemikalienpolitik oder die kommunale Selbstverwaltung. Natürlich darf auch ein eigenes kleines Oktoberfest nicht fehlen.
    Die Bayerische Landesvertretung liegt direkt neben dem Europäischen Parlament, malerisch in einem Park. Knapp 30 Millionen Euro hat sich die Regierung von Edmund Stoiber vor gut zwei Jahren die Renovierung eines alten Forschungsinstituts kosten lassen. Über 30 Beamte arbeiten hier. Zum Vergleich: Die Region Midi-Pyrénées hat zwei Büroräume in einem Hochhaus gemietet. Neben dem Leiter Yannick Proto arbeiten dort noch eine Sekretärin und zwei Praktikanten.

    "Einige sehr große, vor allem die deutschen Länder, haben riesige Strukturen. Andere Regionen sind hier gar nicht präsent, und wieder andere nutzen die Büroräume anderer, größerer Länder, um auch hier arbeiten zu können. Da gibt es immer wieder Streit."
    ... sagt Wirtschafswissenschaftler Jorge Nunez vom Brüsseler Think Tank CEPS, der sich seit Jahren mit dem Einfluss der Regionen in Brüssel beschäftigt. Zu allererst liegt dieses Ungleichgewicht an den unterschiedlichen Strukturen in den Mitgliedsländern selbst. In Deutschland und anderen föderalen Staaten wie Österreich oder Belgien haben die Bundesländer auch auf der nationalen Ebene ein starkes Mitspracherecht. Das spiegelt sich auch in Brüssel wider.
    Die Bundesregierung in Berlin muss zum Beispiel die Bundesländer vor jeder europäischen Entscheidung konsultieren und deren Meinungen bei der deutschen Position in Brüssel berücksichtigen. In einigen Bereichen sitzen die Länder sogar direkt am Verhandlungstisch. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein sitzt zum Beispiel als Vorsitzender der Innenministerkonferenz gemeinsam mit dem Bundesminister Wolfgang Schäuble beim Rat der europäischen Innenminister und redet bei allen Entscheidungen, die auf EU-Ebene in diesem Bereich gefällt werden, mit.
    Deutschland ist dabei kein Ausnahmefall. Andere föderale Staaten haben ähnliche Mitspracherechte für ihre Regionen. Besonders ausgeprägt sind die zum Beispiel in Belgien, wo sich die Region Brüssel sowie die flämische, die deutsche und die französischsprachige Region die Ministerräte untereinander aufteilen. Pascal Goergen von der Region Brüssel:

    "Es gibt neun verschiedene Räte. In Belgien haben wir die in Kategorien unterteilt. Die Kategorie eins ist nur föderal - dazu gehört zum Beispiel der Wirtschafts- und Finanzrat. In der zweiten Kategorie haben wir gemischte Kompetenzen, aber es ist der föderale Minister, der uns beim Rat vertritt. Dazu gehört zum Beispiel Transport. Die dritte Kategorie ist auch gemischt - zum Beispiel Forschung - aber da vertritt die Interessen der regionale Minister und die vierte Kategorie sind dann eben rein regionale Kompetenzen."
    Dazu gehört zum Beispiel die Bildungspolitik, aber auch Forschung und Entwicklung. Bei der Vielzahl von Regionen ist es deshalb nicht immer einfach, sich im Vorfeld auf einen gesamtbelgischen Kompromiss zu einigen. Das war zum Beispiel bei der Abstimmung über die Dienstleistungsrichtlinie der Fall. Weil sich Flamen und Wallonen nicht einigen konnten, musste sich der belgische Minister bei der Abstimmung im Rat der Stimme enthalten.
    Aber nicht alle Regionen, die in Brüssel vertreten sind, haben solch weit reichende Kompetenzen wie die belgischen Regionen und die deutschen Bundesländer. Die französischen Regionen zum Beispiel haben bei keiner politischen Entscheidung ein Mitspracherecht. In einigen europäischen Staaten - vor allem den kleinen - gibt es teilweise gar keine extra ausgewiesenen Regionen. Auch für die polnische Region Wielkopolska sei es schwer, gegen die Großen zu bestehen, sagt Leiterin Monika Kapturska:

    "Es ist sehr schwer, wenn man hier so klein ist, weil wir nicht so großen Einfluss haben können wie die großen, zum Beispiel die deutschen, Regionen. Natürlich können wir auch mit drei Personen effektiv arbeiten. Aber größere Büros haben spezialisierte Mitarbeiter - zum Beispiel für Industriepolitik oder Umwelt- und Landwirtschaftspolitik. Sie können ihre Interessen natürlich viel besser durchsetzen als wir."
    Bei den weniger einflussreichen Regionen in Brüssel macht sich deshalb hin und wieder Unmut breit über die großen, deutschen Regionen:

    "Manche Länder machen hier richtig politische Arbeit. Wenn man sich das kleine Schloss von Bayern anschaut, ist klar, dass es nicht nur darum geht, technisch präsent zu sein. Natürlich hätte ich auch gerne den Einfluss der deutschen Länder. Aber bei Bayern geht es sicherlich auch darum zu zeigen, wie stark das Land ist. Und ob das hier in Brüssel sinnvoll ist, darüber kann man sicherlich streiten."
    Heinz Koller von der Bayerischen Landesvertretung wehrt sich gegen den Vorwurf, das bayerische Engagement in Brüssel sei übertrieben:

    "Grundsätzlich ist es so, dass Brüssel neben Washington die Hauptstadt des Lobbyismus ist. Deshalb müssen sie hier etwas bieten - sowohl in der Kraft der Argumente als auch im Auftreten, wenn sie in diesem Konzert gehört werden wollen. Europapolitik ist Innenpolitik, und in der Innenpolitik würde auch niemand auf die Idee kommen, den Ländern das Mitspracherecht in den sie betreffenden Angelegenheiten zu verwehren."
    Aber die Kosten für die teilweise riesigen Landevertretungen in Brüssel geraten immer wieder in die Kritik. Das weiß auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, der vor wenigen Wochen die neue Vertretung seines Landes in der ehemaligen DDR-Botschaft eingeweiht hat:

    "Wir haben das Gebäude saniert. Es ist größer als das, was wir an Büros bräuchten. Deshalb sind wir froh, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern und auch einige Unternehmen bei uns untergekommen sind. Das erleichtert die Re-Finanzierung wesentlich."
    Wie viel die Sanierung genau gekostet hat, wollte Böhmer dann gar nicht verraten. Und die EU-Kommissarin Danuta Hübner ist überzeugt, dass der Protz in Brüssel nicht immer ausschlaggebend ist für gute Arbeit:

    "Natürlich bedeuten schöne Gebäude nicht, dass die Arbeit dadurch besser wird. Ich kann mir auch vorstellen, dass man mit zwei Menschen in einem einzigen Raum sehr effektiv arbeiten kann."
    Ein anderes Beispiel für eine solch gelungene Zusammenarbeit nennt der Vertreter der Stadt Brüssel, Pascal Goergen:

    "Als die Strukturfonds für 2007 bis 2013 erarbeitet worden sind, haben wir mit dem Land Berlin und der Region Ile de France zusammengearbeitet, um ein Memorandum für die urbane Dimension in den Strukturfonds herauszugeben. Das haben wir dem zuständigen Kommissar gegeben, und es hat sehr gut funktioniert. Im Parlament haben wir das dann genauso gemacht."
    Unabhängig von solch einzelnen Projekten arbeiten alle EU-Regionen im so genannten Ausschuss der Regionen zusammen. Der Ausschuss wurde im Vertrag von Maastricht gegründet und nahm Mitte der 90er Jahre in Brüssel seine Arbeit auf. Mitglieder sind nicht nur die Regionen, sondern teilweise auch Städte und Gemeinden. Bisher hat der Ausschuss allerdings keine Entscheidungsmacht bei der europäischen Gesetzgebung.
    Das Mitspracherecht gehe aber durchaus über reine Informationsbeschaffung hinaus, meint der Generalsekretär des Gremiums, Gerhard Stahl:

    "Wir haben viele Beispiele, wo man feststellen kann, dass die Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen in die Gesetzgebung Einfluss genommen haben. Das gilt zum Beispiel für die Regionalpolitik. Da ist es so, dass der Ausschuss traditionell sehr engagiert ist, weil unsere Mitglieder ja teilweise selbst die Programme umsetzen. Da ist es so, dass die Kommission den Ausschuss regelmäßig vorab fragt, bevor sie die Programme macht."
    Der Einfluss der Regionen ist also bisher nicht exakt messbar, aber immerhin vorhanden. Und die zahlreichen Vertretungen in Brüssel können manchmal auch einfach ganz unbürokratische Hilfe leisten - etwa für kleine und mittelständische Unternehmen, die sich kein eigenes Büro in Brüssel leisten können.