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Von der Buchstabensuppe zum Ohrenschmaus

Mit der Erfindung des Buchdrucks revolutionierte Gutenberg die Wissensvermittlung. Sein Buchherstellungsverfahren steigerte die Qualität der Informations- und Unterhaltungsliteratur und wurde sogar zum Gegenstand einer Oper, die derzeit in Straßburg zu sehen ist.

    "Als Gutenberg den Druck erfand", so heißt es in einem alten volkstümlichen Reim, "der Herrgott ihm zur Rechten stand; jedoch, ohn’ allen Zweyfel, zur Linken stand der Teufel." Der Drucker Johannes Gensfleisch vom Mainzer Hof zum Gutenberg, war ein Pionier des Buchdrucks, der auf die Idee des Einsatzes von beweglichen Metallbuchstaben kam. Er entwickelte eine effiziente Legierung für die Lettern, ein Handgießinstrument und eine Druckerpresse.

    Mit der Erfindung des Buchdrucks revolutionierte Gutenberg die Wissensvermittlung. Sein Buchherstellungsverfahren steigerte die Qualität der Informations- und Unterhaltungsliteratur und wurde sogar zum Gegenstand einer Oper, die derzeit in Straßburg zu sehen ist.

    Sein Buchherstellungsverfahren war Voraussetzung für größere Auflagen und damit für eine grundsätzlich neue Qualität der Informations- und Unterhaltungsmöglichkeiten, der Wissenschaften und des Bildungswesens. Diese zweite "Medienrevolution" nach Einführung der Schrift im dritten Jahrtausend vor Christus und die rasche Ausbreitung des Buchdrucks in Europa werden als Schlüsselelement der Renaissance betrachtet. Fürwahr ein großes Thema.

    Yoshi Oidas Inszenierung von "Gutenbergs Nacht" in Straßburg beginnt mit einem Tanz der Buchstaben in der Dunkelheit – wie beim aufmerksamen Löffeln einer Buchstabensuppe werden da Lettern sortiert und zu Kombinationen gefügt. Es folgt eine Rückblende: Vier ältere Herren, den Bärten nach mutmaßlich Sumerer, führen die Vorzüge der Schriftaufzeichnung auf zerbrechlichen Tontafeln vor Augen und Ohren.

    Indem der Bassist Nicolas Cavallier als Titelheld auf den Plan tritt und von seinen Erfindungen berichtet, navigiert Milovanoffs und Manourys Szenenfolge in ideologisches Fahrwasser: seine Bemühungen, so singt ihr Held, erfolgten um der "Verbreitung der Wahrheit" willen. Zur Erinnerung: Sie sollten und konnten von Anfang an, mit Gott als Beistand zur Rechten, Mephisto zur Linken, verschiedenen und mehrdeutigen Zwecken dienen – der Verbreitung des Lesens, des Wissens, der Erkenntnis, und das bedeutet ggf. des Widerspruchs und des als "Böse" Geächteten.

    Bis die Gutenbergsche Technik einsatzfähig war, dauerte es geraume Zeit, in der keine Rendite zu erzielen war. Die neue Kammeroper widmet dem Prozess, den der Geldgeber Fust aus Frust anstrengte, ebenso kurze Szenen wie der Hostess, die Vorzüge der freizügigen modernen Lebenswelt und Informationsflüsse preist, später auch die notwendigen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen. Mélanie Boisvert tut dies mit einer einprägsam schrillen hohen Stimme.

    Polyglott wird Weltliteratur aus verschiedenen Ländern aufgerufen und es erscheint die aus der Barockoper entlehnte Folia. Mit warmer Stimme zitiert die Mezzosopranistin Ève-Maud Hubeaux ein Gedicht von Mallarmé und tröstet den Erfinder, der inzwischen offensichtlich obdachlos wurde. Gestützt auf elektronische Einspielung werden eine brennende Barock-Bibliothek und die Scheiterhaufen der Nazis für unliebsame Bücher gezeigt, dann eine Orgie von Kriegsbildern, die heute wohl jedes Kind mit seinem Joystick in Gang setzen kann. Dahin also hat es, so wird in Erinnerung gerufen, Gutenbergs Errungenschaft mit dem auf "Wahrheit" gerichteten Geist der Aufklärung gebracht.

    Wohl weil das Thema so überbordend groß erschien, führte es zu einer ausgesprochen kleingliedrigen, feinmaschigen, aber mitunter nachgerade kurzatmigen Lösung. Daniel Klajner dirigierte den Soundtrack zu Gutenbergs postmoderner Bilderwelt, der zusätzlich von Ircam-Technikern elektronisch bestückt wurde: Unter der weithin sangbaren Lineatur der Singstimmen und einem an der Oberfläche dominierenden Konversations-Ton, scharrt und rappelt es pittoresk in der instrumentalen Tiefe. Indem schließlich noch ein Kinderchor als Hoffnungsträger für den Fortschritt und die Bewahrung des guten alten Buchs aufgeboten wurde, ist das Maß der guten Absichten rasch voll. Gutenberg darf auf einer Parkbank entschlafen.

    Linktipp:
    Mehr zur Oper "Gutenbergs Nacht" finden Sie auf der Homepage des Straßburger Festival Musica.