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Von der Entwicklung überholt

Ernährung. - Zuckerkranke können den Verlauf ihres Leidens maßgeblich über den Speiseplan beeinflussen. Um ihnen die Orientierung zu erleichtern, erlaubt die deutsche Diätverordnung seit 1956 bestimmte Lebensmittel als "für Diabetiker geeignet" zu bewerben. Ausgerechnet die Deutsche Diabetikergesellschaft will damit Schluss machen. Denn die Vorstellung was gesund für Zuckerkranke ist, hat sich gewandelt.

Von Volkart Wildermuth |
    Beim Bäcker gibt es spezielle Kuchen für Diabetiker, im Reformhaus steht die Diabetikermarmelade und selbst im Supermarkt findet sich ein kleines Regal mit Produkten speziell für Zuckerkranke. Laut Diätverordnung dürfen ihnen weder Haushaltszucker noch Glukose, der Blutzucker zugesetzt sein. Diabetiker müssen ihren Zuckerspiegel genau kontrollieren, da klingt es logisch, um den Zucker auf dem Teller einen großen Bogen zu machen. Ein überholter Ansatz meint Professor Hans-Georg Joost, Direktor des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung in Potsdam Rehbrücke.

    "Diese Vorstellung kommt aus den Zeiten wo wir die Diät, die Nahrung des Diabetikers an seine Insulinversorgung, an seinen Insulinspiegel angepasst haben. Und da war es klar, dass man, um Blutzuckerspitzen zu vermeiden, weniger Zucker und auch sparsamer mit den Kohlehydraten sein musste. Heute sieht man das ganz anders. Heute darf der Diabetiker sehr weitgehend auch Süßigkeiten essen, er muss allerdings dann sein Insulin an diese Kohlenhydrataufnahme anpassen und vor allem seinen Blutzucker mehrfach kontrollieren am Tag."

    Früher hat sich ein Zuckerkranker jeden Tag die gleiche Menge Insulin gespritzt. Er musste dann auch jeden Tag die gleiche Menge Kohlenhydrate zu sich nehmen, sonst geriet der Blutzuckerspiegel aus dem Gleichgewicht. Gerade der Haushaltszucker gefährdete die Balance. Heute dagegen schätzt ein Zuckerkranker ab, wie viel Kohlenhydrate sein Leibgericht hat, und berechnet danach die Insulinmenge. Dabei hilft ihm der Aufdruck: "Für Diabetiker geeignet" nicht weiter. Im Gegenteil, er lenkt ab von der viel wichtigeren Angabe der Inhaltsstoffe, und die haben es nach der Erfahrung der Deutschen Diabetes Gesellschaft in sich. Um die Speisen auch ohne Zucker wohlschmeckend zu machen, werden Diabetikerprodukten oft großzügig Fette zugegeben. Problematisch, mehr noch als andere müssen Diabetiker auf ihr Gewicht achten, denn jedes Kilo mehr verschlechtert ihre Blutzuckerkontrolle. Auch die Zuckeraustauschstoffe betrachtet Hans-Georg Joost inzwischen kritisch.

    "Unter der früheren konventionellen Insulintherapie hatten diese Substanzen schon einen Vorteil. Sie sind eben heute obsolet weil man ja die Insulindosis an die Kohlenhydratdosis anpasst."

    Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung haben sich die Wissenschaftler besonders mit der Fructose beschäftigt. Der Fruchtzucker schmeckt süß, beeinflusst aber den Blutzuckerspiegel kaum, aus diesem Grund findet er sich in vielen Diabetikerlebensmitteln. Das Problem: Fructose macht weniger satt, gleichzeitig wird der Zucker von der Leber in Fett umgewandelt. Unterm Strich verschiebt sich der Gesamtstoffwechsel in eine ungünstige Richtung. Das zeigt sich auch in Mäuseexperimente, dort hat Fructose die Blutfettwerte verschlechtert. Eine Beobachtung die inzwischen auch am Menschen bestätigt werden konnte. Derzeit wird auf europäischer Ebene über eine Vereinheitlichung der Kennzeichnung von Diabetiker-Lebensmitteln diskutiert. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft fordert, ganz auf Bezeichnungen wie "Für Diabetiker geeignet" zu verzichten. Die damit beworbenen Produkte sind meist teurer, ohne einen Gesundheitsnutzen für die Zuckerkranken zu bringen. Beim Einkaufen benötigt ein Diabetiker andere Informationen betont Hans-Georg Joost.

    "Er braucht zum einen unbedingt die Angabe, wie viel Kalorien in den Nahrungsmitteln enthalten sind um sein Gewichtskontrolle zu ermöglichen und er braucht eine Angabe, wie viel Kohlenhydrate in Lebensmitteln enthalten sind um entsprechend sein Insulin anpassen zu können."

    Eine klare Kennzeichnung der Inhaltstoffe an allen Lebensmitteln würde den Zuckerkranken helfen und den Gesunden ebenso. Dagegen sind speziell zugeschnittene Speisen unter der Bezeichnung "Für Diabetiker geeignet" aus Sicht der Wissenschaft durch die Entwicklung der modernen Insulintherapie überflüssig geworden. Viele, vor allem ältere Zuckerkranke fühlen sich allerdings von der aufwändigen Therapie überfordert. Sie schätzen nach wie vor die einfache Orientierung, die der Aufdruck "für Diabetiker geeignet" bietet.