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Von der Gefährlichkeit der Literatur

In Frankreich hat ein Buch wirtschaftliche, politische und juristische Folgen. Denn die Signatur des Autors hat einen "bandenmäßig organisierten Betrug" auffliegen lassen. Im Zentrum stehen Bernard Tapie und sein Anwalt, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Es mag sein, dass Bernard Tapie als Buchautor noch nicht so ruhmreich ist wie als Politiker, als Geschäftsmann, als Bankrotteur und als Multimillionär. Die bisherigen Höhepunkte seiner Karriere waren: ein Ministerposten zurzeit von François Mitterrand, ein Mandat im Europaparlament, eine Hauptrolle in einem Film von Claude Lelouch, der Besitz der Firma Adidas, der Besitz des Fußballklubs Olympique de Marseille sowie mehrere Gefängnisaufenthalte. Das hat, selbst nach französischen Maßstäben, etwas Schillerndes. Selbst die Franzosen staunen, wie sich der inzwischen 70-jährige Ex-Schlagersänger und Ex-Staubsaugervertreter seit vier Jahrzehnten immer wieder aus den unmöglichsten Abstürzen und Abgründen zu retten vermochte, wie er dank seiner hypnotischen Beredsamkeit jedes Mal, wenn alle das Gefühl hatten, er sei nun wirklich am Ende, die Lage wendete und mit altem Mut und neuem Geld wieder auf der Bildfläche erschien.

    Seine Meisterleistung auf dem Gebiet der finanziellen Entfesselungskunst liegt fünf Jahre zurück. Damals bekam er aus der Staatskasse einen dreistelligen Millionenbetrag, die Angaben schwanken zwischen 200 und 400 Millionen Euro, als Entschädigung für von der damaligen Staatsbank Crédit Lyonnais in den 90er-Jahren erlittenes Unrecht beim Verkauf von Adidas. Die Affäre und ihre rechtlichen Ramifikationen sind unendlich kompliziert, für die Erzählung der Novelle aber auch unerheblich. Es genügt, sich bewusst zu machen, dass 200 bis 400 Millionen Euro relativ viel Geld sind, und dass juristische Streitigkeiten um Beträge in solcher Höhe immer sehr lange dauern und ganze Feuerwerke von Verfahrenstricks umfassen.

    Meist laufen sie auf einen außergerichtlichen Vergleich hinaus. In diesem Fall wurde der Vergleich von einem Schiedsgericht erarbeitet, das zwar seiner Natur nach privat war, aber aus drei hochrangigen Vertretern der Justiz bestand, darunter dem Präsidenten der "Cour d'Appel de Versailles", was man einigermaßen zutreffend als Oberlandesgerichtspräsident übersetzen könnte. Es versteht sich, dass die Mitglieder eines solchen Schiedsgerichts nicht im Verdacht der Befangenheit stehen dürfen. Dementsprechend hat Bernard Tapie stets bestritten, die Schiedsrichter irgendwie gekannt und irgendwelche persönlichen Verbindungen zu ihnen gehabt zu haben.

    Solange keine Beweise für das Gegenteil auftauchen, muss man das natürlich glauben. Wie könnten solche Beweise aussehen? Kompromittierende Fotos? Zeugenaussagen? Heimliche Briefwechsel? Das alles gibt es nicht, auch, nachdem die Polizei eine Haussuchung bei dem Präsidenten der Cour d'Appel de Versailles, Pierre Estoup, Alter: 86 Jahre, vorgenommen hat. Dennoch sind die Kommissare bei dem renommierten Juristen auf ein Beweisstück gestoßen, das ihn zum Beschuldigten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung machte und der ganzen romanhaften Affäre definitiv einen literarischen Charakter verleiht.

    In der Bibliothek von Pierre Estoup befand sich ein Buch von Bernard Tapie. An sich bedeutet das nichts, denn dieses 1998 erschienene Buch mit dem Titel "Librement" war ein Bestseller. Nicht zuletzt in Justizkreisen, denn Tapie hatte es während eines zehnmonatigen Gefängnisaufenthalts wegen Steuerbetrugs verfasst. Als die Polizisten das Buch aufschlugen, entdeckten sie allerdings eine persönliche Widmung: an den "Präsidenten Estoup" mit "unendlichem Dank" für seinen "Mut" und "mit herzlicher Zuneigung".

    Widmungen sind heilige Handlungen für Schriftsteller. Sie sind nach der Mühsal des Schreibens genussvolle Augenblicke der Ruhmernte. Wenn das gedruckte Buch vorliegt und der Verfasser es mit einer handschriftlichen Note verziert, steigt nicht nur der Wert des Exemplars, sondern auch das Selbstwertgefühl des Schreibenden, der sich damit seines Gnadenstands der Autorschaft versichert. Selten hat dieser schöne Brauch so herbe Folgen für Urheber wie Empfänger des geschenkten Autografs gehabt.