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Von der Kanzel zur Arbeitsagentur

Wer Evangelische Theologie studiert und sein Studium mit dem Kirchlichen Examen abschließt, der hat in der Regel nur ein festes Ziel vor Augen: die Arbeit als Pfarrerin oder Pfarrer in einer Gemeinde. Umso erschreckender kam da die Nachricht für Hunderte von Theologen, die in den kommenden Jahren ihre sicher geglaubte Stelle verlieren werden. Eine Outplacement-Aktion soll ihnen den Weg in einen neuen Beruf erleichtern.

Von Svenja Üing |
    Was qualifiziert sie für die angestrebten Position? Und: Wie sehen ihre Gehaltsvorstellungen aus? Sechs Frauen und drei Männer bereiten sich im Rollenspiel in Leverkusen auf künftige Bewerbungsgespräche vor.
    Dabei haben sie alle längst ihren Traumberuf gefunden: Sie arbeiten als Pfarrerinnen und Pfarrer in Gemeinden, Krankenhäusern, Schulen. Und das zum Teil schon seit Jahren. Doch die Evangelische Kirche im Rheinland, eine der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, muss sparen - und zwar auch am Personal. Von derzeit 2000 Pfarrstellen sollen bis 2030 weniger als 1000 übrig bleiben. Viele Pfarrer sind zwar verbeamtet, aber nur für eine befristete Zeit. Bernd Kehren ist einer von ihnen:

    "Wenn mein Dienst endet, bekomme ich noch maximal drei Monate Übergangsgeld und dann habe ich gar nichts. Ich habe kein Anrecht auf Arbeitslosengeld, weil wir als kirchliche Beamte nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben und insofern muss ich da einfach Vorsorge treffen."
    Deshalb hat sich der 47-Jährige entschlossen, am so genannten Outplacement der Kirche teilzunehmen. Dazu zählen Bewerbungsworkshops wie dieser, ein Existenzgründungsseminar und individuelles Coaching. Bis Mitte Januar 2009 hat Bernd Kehren noch Zeit, sich hier auf ein Berufsleben außerhalb der Kirche vorzubereiten:

    "Dann muss etwas stehen, was tragfähig ist. Ich bin verheiratet, habe drei Kinder, das muss funktionieren."
    Für ihn und Hunderte anderer Theologen im Pfarrdienst ein großer Schritt: Jahrelang haben sie im Studium die alten Sprachen, Kirchengeschichte und Dogmatik gebüffelt. Nach dem ersten Examen folgte das zweijährige Vikariat, ein zweites Examen und der Anstellungsdienst. Jetzt müssen sie ihre sehr spezifischen Berufserfahrungen aus der Seelsorge oder aus Beerdigungen auf andere Berufe übertragen, erklärt Diplom-Psychologin und Strategie-Coach Vanessa Laszlo:

    "Und dann gilt es zu gucken, was genau ist es denn, was ich dabei gerne mache. Dass es eine Situation ist, wo ich eine Geschichte erzählen kann, also eine narrative Kompetenz benutze, indem ich mir durch Interviews mit Angehörigen eine Lebensgeschichte aneigne und die in einen schönen Text verpacke, der noch andere wesentliche Kommunikationsziele hat: Erinnerungskultur, einen Trost, ein Abschiedsritual finden. Und dann wird aus so einem Satz: "Ich mache gerne Beerdigungen" eine professionelle Standortbestimmung."
    Dabei hatten sich die meisten von ihnen in der Kirche in Sicherheit gewogen. Und ihr Beruf ist ja vor allem auch Berufung. Da war das Info-Schreiben des Düsseldorfer Landeskirchenamtes, dass damit jetzt Schluss sein soll, ein Schock, erzählt eine Teilnehmerin:

    "Da habe ich mich so im Stich gelassen gefühlt von meiner Kirche, der ich immerhin seit 25 Jahren sehr viel ehrenamtlich und hauptamtlich meine Kraft gegeben habe, dass sie mir so wenig bietet für den Übergang."
    Wenn die alleinerziehende Mutter bis September keine neue Anstellung findet, bekommt sie Harz IV. Dabei ist heutige finanzielle Situation der Rheinischen Landeskirche ist ein Ergebnis der Personalpolitik der 1980er und 1990er Jahre. Während andere Landeskirchen schon vorher die Reißleine gezogen und eine Anstellung von der Examensnote abhängig gemacht haben, hat die Rheinische Landeskirche geglaubt, alle übernehmen zu können, die sich für den Pfarrdienst in der Kirche entscheiden, sagt Henning Boecker vom Landeskirchenamt in Düsseldorf. Und damit habe man sich übernommen:

    "Es ist tatsächlich so. Also sie können das nicht irgendwie groß schönreden. Es ist so, dass die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre werden jetzt zu Lasten des Nachwuchses ausgetragen."
    Zwar will man in den nächsten Jahren auch neue Stellen schaffen, um Engpässe in den Gemeinden zu überbrücken, aber zu viele Hoffnungen machen sich die Teilnehmer in Leverkusen nicht darauf. Statt dessen wollen sie sich jetzt neu orientieren. Die wenigsten zieht es dabei in die freie Wirtschaft, sagt Henning Boecker:

    "Die meisten interessieren sich für ähnliche Berufe, zum Beispiel Betreuung in Altenheimen oder Fallmanager bei der Arge oder Übernahme von Betreuungen oder ähnliches."
    In ein paar Jahren sollen die Berufsaussichten für Pfarrerinnen und Pfarrerin trotz allem wieder besser werden. Und zwar deshalb, weil es derzeit relativ wenige Studierende gibt, die sich später auf die Stellen bewerben. Aber eine feste Zusage will man dafür heute lieber nicht geben.