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Von der Mitbeschulung zur Koedukation

Ende des 19. Jahrhunderts war es nur männlichen Schülern möglich, das Abitur abzulegen und damit ein Studium anzufangen. Mädchen hingegen wurden hauptsächlich für das häusliche Umfeld erzogen. Nach dem Krieg gab es in der Bundesrepublik zunächst weiterhin nur getrenntes Lernen. In der DDR lernten Jungen und Mädchen bereits wie heute in Gesamtdeutschland üblich gemeinsam.

Von Andrea Lueg | 15.03.2008
    Eigentlich stand der Begriff Koedukation ja für den gemeinsamen Unterricht von Schwarzen und Weißen in den USA. Erst später verwendete man ihn für die gemeinsame Bildung von Mädchen und Jungen. Dass Mädchen und Jungen gemeinsam in eine Klasse gingen, war an den Elementarschulen, also was wir heute Grundschule nennen, bis Ende des 19. Jahrhunderts ganz normal.

    Normalerweise gab es einen Dorfschullehrer für alle, auch Kinder unterschiedlichen Alters wurden gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Meist saßen die Jungen dann auf den Bänken in der Mitte und die Mädchen am Rand. Sie wurden, wie es damals hieß, "mitbeschult".

    Anders an den höheren Schulen: Für Jungen gab es das Gymnasium und das Realgymnasium. Für Mädchen das Lyzeum, dort lernte man vor allem Handarbeit, Hauswirtschaft und Religion. Das war wichtig, um eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. Mathe, Naturwissenschaften und Latein kamen eher am Rande vor. Bei zuviel Bildung, so die Sorge, würde "das weibliche Wesen Schaden nehmen".

    Wenn sie mit dem Lyzeum fertig waren, hatten Frauen keine Hochschulreife, ein Studium an der Universität war also nicht möglich. Schon in der Weimarer Republik gab es Ansätze zur Koedukation, aber unter den Nationalsozialisten gab es wieder Rückschritte.

    In der späteren DDR wurden Mädchen und Jungen schon ab 1945 gemeinsam unterrichtet. Im Westen kam die Koedukation erst mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 68er Zeit.

    Der getrennte Unterricht wurde als spießig und altmodisch wahrgenommen. Bis in die 70er Jahre hinein trat der koedukative Unterricht seinen Siegeszug an und wurde zum Standard.

    Die Erfahrungen und Ansichten der Schüler damals, klangen im Schulfunk des RIAS zum Beispiel so:

    (O-Ton Collage)

    Nach den ersten Diskussionen sprach lange Zeit eigentlich niemand mehr groß über das Thema Koedukation. Bis in die 80er Jahre. Die neue Frauenbewegung thematisierte zum ersten Mal, ob Mädchen eigentlich in diesem Konzept überhaupt die gleichen Chancen hätten wie Jungen. Jungen seien selbstbewusster, lauter, setzten sich besser durch. Und gerade in Fächern wie Mathematik, Physik, Chemie sei das gemeinsame Unterrichten für die Mädchen eher ein Nachteil. Außerdem profitierten die Jungen von den Mädchen als sozialem Schmierstoff, also davon, dass die Mädchen bessere Kompetenzen zum Beispiel zur Streitschlichtung hätten.

    "Das ist bereichsweise aus der Koedukation geworden. Ein Befriedungsprogramm für die Buben. Mädchen als Feuerwehr, damit in einem Klima der Hibbeligkeit und und Aggressivität überhaupt nochmal ein Buch aufgeschlagen wird."

    Meinte die Autorin Barbara Sichtermann 1998.

    Die Diskussion war heftig, aber die Koedukation blieb die übliche Schulform. Heute gibt es noch knapp 130 reine Mädchenschulen in Deutschland und fünf reine Jungenschulen, die meisten sind in kirchlicher Trägerschaft.

    Inzwischen unterstützen die meisten Erziehungswissenschaftler das Konzept der reflexiven Koedukation, das heisst Mädchen und Jungen können zeitweise getrennt oder gemeinsam unterrichtet werden. Und da seit einigen Jahren die Jungen als die Verlierer im Bildungssystem angesehen werden, denkt man verstärkt über speziellen, fördernden Unterricht nur für die männlichen Schüler nach.