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Von der Praxis zurück zur Theorie

In den medizinischen Fakultäten der Hochschulen hierzulande herrscht eine angespannte Stimmung, denn das Hammerexamen steht an. So haben die Studierenden die letzte Prüfung vor der ärztlichen Approbation genannt, die bundesweit einheitlich und zeitlich synchron stattfindet.

Von Michael Engel |
    Entspannte Atmosphäre - es ist geschafft. Die Medizinstudenten diskutieren noch vor dem Prüfungsgebäude J6 der Medizinischen Hochschule Hannover über das sogenannte Hammerexamen. 107 Fragen mussten darin beantwortet werden. Fragen aus der Anatomie, der Pharmakologie bis hin zum Medizinrecht. Das alles im Multiple-Choice-Verfahren - zum Ankreuzen - in nur fünf Stunden. Marie Rehme ist der Stress noch anzumerken:

    "Ja, ich bin ein bisschen aufgeregt und aufgelöst, aber ich glaube, das geht allen so. Man kann es schlecht einschätzen. Also mir geht es so, ich habe immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich rauskomme, heute war ich total aufgelöst während der Klausur auch. Aber mal gucken. Mal sehen."

    320 Fragen - jeweils in drei Portionen auf drei Tage verteilt - für die Studierenden der Medizin aller deutschen Fakultäten sieht so momentan das Hammerexamen aus. Schon am Abend des jeweiligen Prüfungstages können sie das Teilergebnis erfahren. Nur noch eine nachfolgende mündliche Prüfung trennt sie von der Approbation als Mediziner. Niklas Detels nimmt das Ganze ziemlich gelassen:

    "Ja, es geht. Ich habe gestern ganz gut abgeschnitten, da hatte ich 68 Prozent. Damit war ich zufrieden. Dafür, dass ich überhaupt nichts wusste, eigentlich. Und heute ist es, ja, muss man abwarten. Aber es ist wohl genauso."

    Ohne Vorbereitung geht nichts. Die meisten beginnen schon im Januar mit dem Lernen. Und damit in einer Zeit, in der die angehenden Mediziner noch im PJ - also im sogenannten "praktischen Jahr" stecken. Und das bedeutet, dass sie nebenbei eine 40-Stunden-Woche im Krankenhaus absolvieren. Für Susanne Kallauch eine harte Zeit:

    "Hammermäßig, ja insofern, dass der Zeitaufwand relativ groß war. Also ich habe mich einschließlich Ende Januar vorbereitet. Und habe also ganztägig mich vorbereitet. Ungefähr acht Stunden mit Unterbrechungen. Inclusive Wochenende. Obwohl man eigentlich sagt, man sollte einen Tag zwischendurch freimachen. Aber ich bin dann eigentlich eher so, dass ich dann durcharbeite."

    Durcharbeiten! Genau das ist das Problem. Nahezu alle verlegen ihren Urlaub im Praktischen Jahr auf das Ende, um früher in die Vorbereitung auf das Examen einzusteigen. Doch selbst diese Strategie hilft nur bedingt, weil zwischen Prüfung und Praktikum gerade mal vier Wochen liegen, kritisiert Constantin Janzen:

    "Das große Problem ist wirklich, um das Hammerexamen zu bestehen, diesen schriftlichen Teil mit den Multiple-Choice-Fragen, ungefähr drei Monate Vorbereitungszeit braucht. Am Stück. Da dies aber zwischen Ende des PJs und Anfang dieser Prüfung des Hammerexamens nicht gegeben ist, ist es so, dass die Studenten ihren kompletten Urlaub, den man im PJ hat, immer ans Ende schieben, um genug Zeit zum Lernen zu haben. Es ist teilweise schwierig, dann abends sich noch motiviert hinzusetzen und zu lernen. Das ist schwierig."

    Um die Prüfung überhaupt zu schaffen, beginnt die Lernphase oft noch während des Praktikums im Krankenhaus. Constantin Janzen absolviert zurzeit sein Praktikum im Siloah Krankenhaus in Hannover. Er ist der Vertreter der Studierenden im Hartmannbund - dem Berufsverband der deutschen Mediziner. Die derzeit laufenden Prüfungen nutzt er, um die Kritik an dem Prüfungsverfahren erneut zu bekräftigen:

    "Ich fordere ganz klar, dass man das Hammerexamen in zwei Prüfungen aussplittet, nämlich sinnvollerweise die theoretische Prüfung als Abschluss nach dem 5. Studienjahr und die praktisch mündliche Prüfung nach dem 6. Studienjahr - also nach dem praktischen Jahr. Das ist didaktisch deutlich sinnvoller. Sowohl für die Patienten als auch für die Versorgung und auch das Krankenhaus, in dem man dann auch arbeitet, im PJ, ist das deutlich besser."

    Viele Studierende unterstützen ihn: Die extreme Theorielastigkeit des Hammerexamens sei besser im direkten Anschluss an das Studium angesiedelt. Außerdem wären die angehenden Mediziner so dann auch besser für das Praktische Jahr vorbereitet. Beim stellvertretenden Studiendekan der Medizinischen Hochschule Hannover, dem Toxikologen Professor Ingo Just, stoßen die Forderungen auf taube Ohren:

    "Es ist die letzte Qualitätskontrolle, bevor aus dem Studenten der Arzt wird. Und insofern finde ich es auch sinnvoll, eine abgespeckte Version - das ist die des Hammerexamens ja in der Tat - und eine mündliche Prüfung am Ende des Studiums zu haben."

    Deshalb hat er kein Verständnis dafür, die Prüfungspraxis zu revidieren. Es wird sich so schnell vermutlich also nichts ändern. Schon gar nicht für Constantin Janzen, der dann im nächsten Jahr mit dem Hammerexamen dran ist. Zum Glück ist die Durchfallquote sehr gering, weil Studierende, die es bis zum Ende der Ausbildung geschafft haben, in der Regel wissen, wie schwierige Klausuren zu meistern sind.