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Von der Quadratur des Kreises

Der Raketenbeschuss an der libanesisch-israelischen Grenze hat die Angst vor einer Ausweitung der Kämpfe zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn geschürt. Auch die UN-Schutztruppe, UNIFIL, scheint die Angriffe der palästinensischen Splittergrüppchen im Libanon kaum unterbinden zu können. Die Lage bleibt angespannt.

Von Birgit Kaspar |
    Abu Hussam steht in abgewetzten Jeans und einem verschwitzten T-Shirt auf der Baustelle seines Hauses und blickt versonnen den Berg hinauf. Nur 300 Meter entfernt ist ein Checkpoint der libanesischen Armee. Dahinter führt die schmale Straße steil nach oben, direkt zu einem Lager der Volksfront zur Befreiung Palästinas-Generalkommando - kurz PFLP-GC. Der 42-jährige Mann aus Qoussaya im östlichen Bekaa-Tal seufzt:

    "Sie haben eine Militärbasis dort oben. Wir können hören, wie sie trainieren. Sie haben Raketen, Panzer und anderes. Es ist eine wichtige Militärbasis. Oben, im Lager verläuft die Grenze zu Syrien."

    Die libanesische Armee riegelt das Lager in respektvoller Distanz ab, nur mit Laisser-Passer darf man durch. Deshalb kommen die Milizionäre nun nur noch selten zum Einkaufen ins Dorf, sagt der ehemalige Schuldirektor Najib Kadi.

    "Wir haben gute Beziehungen zu ihnen, obwohl sie ihre Zelte auf unserem Land aufgeschlagen haben. Sie belästigen hier niemanden."

    Die radikale, marxistisch orientierte Palästinensergruppe wird seit 1968 von Ahmed Jibril geleitet. Sie gehört zur sogenannten palästinensischen Ablehnungsfront, das sind die Fraktionen, die den Osloer Friedensprozess mit Israel grundsätzlich ablehnen.

    Die Mitgliederzahl der PFLP-GC wird auf 500 bis 1000 geschätzt, aber so genau wisse das niemand, erklärt der Politologe Sami Baroudi von der Libanesisch-Amerikanischen Universität in Beirut:

    "Das einzige, was wir mit Sicherheit über diese Gruppen sagen können, ist, dass sie sehr eng mit Damaskus verbunden sind. In welchem Maße sie ihre eigene Agenda setzen, das wird bewusst offen gehalten."

    Die PFLP-GC war in der Vergangenheit für einige größere Kommandooperationen gegen Israel sowie den Waffenschmuggel in die Palästinensergebiete verantwortlich. Sie steht in Washington, Brüssel und Jerusalem auf der Terrorliste. Doch in letzter Zeit war es um Jibrils Kämpfer ruhiger geworden.

    Jibril, der selbst in Damaskus lebt und auch Beziehungen zu Teheran pflegt, verfügt im Libanon über mehrere Militärbasen. Die Miliz operiert kaum aus den zwölf offiziellen palästinensischen Flüchtlingslagern, in denen rund 400.000 Palästinenser leben. Dort sind noch zahlreiche andere radikale Gruppen zu Hause, darunter auch Jund al Sham oder Fatah al Islam, die El Kaida nahe stehen. Der libanesischen Regierung sind diese militanten palästinensischen Splittergruppen schon länger ein Dorn im Auge.

    Im Jahr 2006, vor dem israelisch-libanesischen Krieg, hatten sich die großen Fraktionen in Beirut auf die Entwaffnung der Palästinenser außerhalb der offiziellen Camps geeinigt. Jetzt wird das Thema wieder diskutiert. Wie die Entwaffnung allerdings praktisch aussehen soll, sei unklar, betont Baroudi:

    "Es ist sehr schwierig. Ich denke, es kann nur in sehr enger Zusammenarbeit zwischen der libanesischen und der syrischen Armee geschehen und es ist klar, dass die Syrer derzeit diese Trumpfkarten in den Verhandlungen mit Israel nicht aufgeben wollen."

    Als Ahmed Jibril vor einer Woche ankündigte, er wolle Israel angesichts des Gazakrieges eine neue Front aufzwingen, erregte das zunächst kaum Aufregung. Markige Worte sind von den palästinensischen Splittergruppen öfters zu hören. Die PFLP-GC hat sich zwar nicht zu dem Raketenbeschuss Nordisraels bekannt, sie hat sich aber auch nicht davon distanziert. Für Timor Göksel, einen ehemaligen Berater der UNIFIL-Friedenstruppen, jetzt Politologieprofessor an der Amerikanischen Universität, ist klar, dass Jibril dahinter steckt:

    "Nicht alle palästinensischen Grüppchen verfügen über diese Art Waffen oder können damit umgehen und nicht viele haben freundliche Beziehungen zu den vor Ort dominierenden Kräften, das begrenzt die Auswahl."

    Es gebe Kontakte zwischen der PFLP-GC und der radikal-schiitischen Hisbollah, die den Südlibanon dominiert. Das heiße aber nicht, dass die beiden gemeinsame Sache gemacht hätten, unterstreicht Göksel. Denn die Schiitenpartei habe sehr deutlich gemacht, dass sie die Stabilität im Zedernstaat nicht gefährden wolle.

    "Aber natürlich sagt Hisbollah, es gibt die umfangreiche UN-Truppe hier und die libanesische Armee, wir sind nicht für die Sicherheit im Südlibanon zuständig."

    Er nehme an, die Hisbollah habe auf lokaler Ebene einfach weggesehen, so Göksel. Die grauenvollen Bilder und Nachrichten aus Gaza rissen nicht ab,

    "und wenn man hier lebt und das sieht, wird man wütend. Das schlimmste, was man einem Hisbollah-Mann oder irgendjemandem hier im Süden vorwerfen kann, ist dass er Israel schützen wolle."

    Die Hisbollah-Führung stehe unter enormem Druck der eigenen Anhänger, etwas zu tun statt nur zu reden. Dem halte sie bislang stand.

    "Aber dieser Zwischenfall zeigt, dass auch ihr im Augenblick Grenzen gesetzt sind, wenn es um das Unterbinden solcher Attacken geht."

    Mehr als 400 Patrouillen unternimmt die UN-Friedenstruppe UNIFIL nach eigenen Angaben täglich, einige auch nachts. Neben den rund 13.000 internationalen Soldaten überwacht die libanesische Armee mit mehreren tausend Mann das Grenzgebiet. Dennoch könne man nicht überall gleichzeitig sein, erklärte UNIFIL-Sprecher Andrea Tenenti vor dem jüngsten Raketenbeschuss:

    "Als Beobachtertruppe kann man eine Menge überwachen, wir tun unser bestes, aber wir sind nicht immun gegen Zwischenfälle im Süden."

    Die UN-Blauhelme haben nun ihre Patrouillen verstärkt und auch die libanesische Armee wollte weitere Einheiten in den Süden verlegen. Doch Göksel ist der Ansicht, die Effizienz der Kontrolle hänge nicht nur davon ab:

    "Wenn man ein Gebiet wie dieses überwachen will, dann braucht man vor allem Informationszuträger. Die libanesische Armee hilft UNIFIL und umgekehrt. Aber was wirklich fehlt, ist das lokale Element, die Hisbollah. Wenn man gute Beziehungen zu den lokalen Hisbollahführern aufbaut, weiß man was los ist."

    Das habe UNIFIL heute nicht. Weder die Regierung noch die UN-Blauhelme könnten hundertprozentige Sicherheit an der Grenze garantieren, sagt Göksel. Die libanesische Regierung hat den Raketenbeschuss verurteilt und betont, man wolle Israel keinen neuen Vorwand für einen Krieg liefern. Informationsminister Tarek Mitri warnte aber:

    "Je länger die internationale Gemeinschaft braucht, angesichts der Lage in Gaza zu handeln, desto größer werden die Wut und die Radikalisierung. Und das könnte zu einem Überschwappen der Gewalt führen."

    Im Libanon kann deshalb niemand weitere Zwischenfälle ausschließen.