Doris Schäfer-Noske: Sie merkten, dass sie gemeinsam stärker waren als allein. Im Mittelalter entwickelten sich die ersten Zusammenschlüsse für einen gemeinsamen Zweck: die Genossenschaften. Zum Beispiel Beerdigungsgenossenschaften, die ihren Mitgliedern ein angemessenes Begräbnis ermöglichten, oder Genossenschaften, deren Ziel es war, einen Deich zu erhalten. Ende des 19. Jahrhunderts, als die Wohnsituation in den Städten katastrophal war, boten Genossenschaften Alternativen zu herkömmlichen Wohnungen an. Seit 1923 findet am ersten Samstag im Juli der Internationale Genossenschaftstag statt, der das Bewusstsein für Genossenschaften schärfen soll. Dieser Tag ist also heute, und ich habe den Soziologen und Stadtplaner Albrecht Göschel gefragt, ob das der Versuch ist, ein verstaubtes Image aufzupolieren?
Albrecht Göschel: Ja, das muss man so sagen, das ist es mit Sicherheit, wobei in vielen modernen Assoziationsformen, sage ich jetzt mal allgemein, die also in diesem Genossenschaftsbereich aufzutauchen scheinen, sich doch andere Motive andeuten, als sie die klassischen Genossenschaften der 20er-Jahre hatten, und das waren eindeutig Selbstversorgungsmodelle für materiell extrem Benachteiligte. Also es war eine Art Wohnungsbauprogramm in den Wohnungsbaugenossenschaften für Menschen, die sich sonst keine eigene Wohnungen hätten leisten können. Und ich habe den Eindruck, dass das ökonomische Argument im Augenblick nicht im Vordergrund steht. Was dort im Vordergrund steht, ist die neue Wohnform einer größeren Geselligkeit, also gegen Invalidisierung eher als gegen materielle Armut.
Schäfer-Noske: Welche Rolle spielt denn für Menschen, die in Genossenschaftswohnungen wohnen wollen, der Schutz vor Luxussanierungen?
Göschel: Die Wohnungsbestände, die einer Genossenschaft gehören, sind natürlich von dieser Möglichkeit einer aufgezwungenen Renovierung befreit. Sie können ja entscheiden, was Sie da tun. Und wenn Sie sagen, wir wollen eben keine neuen Bäder einbauen, dann tun Sie es eben nicht. Und das passiert in Berlin in ganz umfangreichem Maße, dass solche Genossenschaften eben Altbaubestände erwerben, bevor sie renoviert sind, also noch zu erträglichen Preisen, und damit sind sie allen Druck eines privaten Investors auf diesen Wohnungsbestand und damit auf Ihre Wohnungspreise los.
Schäfer-Noske: Nun gibt es ja auch Anforderungen der Arbeitswelt, man muss mobil sein zum Beispiel. Wenn sich jetzt Leute deswegen kein Eigentum anschaffen wollen, ist das auch ein Grund zum Beispiel, dann in eine Genossenschaftswohnung zu gehen, um so eine Art Quasi-Eigentum zu erwerben?
Göschel: Die Verbindung würde ich nicht sehen. Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wirkt im Grunde ungefähr so bindend wie das private Eigentum eines einzelnen in einer Wohnung. Wenn man aus der Genossenschaft aussteigt, muss man einen Nachfolger finden, man muss seinen Anteil an einen Nachfolger verkaufen können, der in diesen Anteil einsteigt etc., mit den ganzen Bindungen, die eine Genossenschaft bedeutet, und das kann schwieriger sein, als ein kleines Einzeleigentum sozusagen privat auf den Markt zu bringen.
Schäfer-Noske: Genossenschaftswohnungen hatten ja – Sie haben das gesagt – früher das Image, für Leute mit wenig Geld gebaut zu sein.
Göschel: Ja.
Schäfer-Noske: Nun investieren aber Genossenschaften durchaus auch in hochpreisige Wohnungen und das wird ihnen dann auch wieder vorgeworfen. Wie groß ist denn für die Genossenschaften auch das Problem, dass der Mittelstand immer weniger wird?
Göschel: Genossenschaften sind letzten Endes Wirtschaftsunternehmen. Das heißt, sie müssen sicherstellen, dass das Kapital, was sie in einen Wohnungsbestand stecken, sich auch amortisiert und sozusagen getragen werden kann. Dazu brauchen Sie unweigerlich in einem gewissen Maße zahlungskräftige Mitglieder. Zahlungskräftige Mitglieder heute erwarten einen gewissen Wohnungsstandard. Es gibt ein sehr hohes Niveau sozusagen von Wohnungsstandard-Erwartungen auch für die Innenstadtwohnung, wo quasi die Standards eines Ein-Familien-Hauses auf der Etage erwartet werden. Also eine Genossenschaft, die sich überhaupt nicht auf einigermaßen stabil zahlungsfähige Mitglieder einstellen würde, würde im heutigen Wohnungsbestand Schwierigkeiten haben.
Schäfer-Noske: Welches Zukunftspotenzial haben denn Genossenschaften Ihrer Meinung nach heute?
Göschel: Ich glaube, dass sie eine Zukunft haben. Sie werden vermutlich nicht zu einem Massenmodell werden, wie das Anfang des 20. Jahrhunderts war. Ich glaube doch, dass sozusagen das Privateigentum, das Einzeleigentum dominant bleiben wird. Zwischen dem und einem sozialen Wohnungsbaubestand werden, glaube ich, die Genossenschaften immer nur eine Art Lücke ausfüllen, aber diese Lücke, die jetzt noch sehr klein ist, die sie da ausfüllen, die kann durchaus größer werden.
Schäfer-Noske: Es gibt ja auch zunehmend diese Formen des generationsübergreifenden gemeinschaftlichen Wohnens.
Göschel: Ja. Das ist in der gedanklichen Konstruktion überzeugend und brillant. In der Tat sind es die jungen Familien, die unter Zeitstress stehen, also mit Beruf und Kindern, und es sind rüstige Ältere, die wir zunehmend haben, die nichts zu tun haben, die sozusagen dann eine Betreuung von Kindern oder auch Sorge für die Wohnung übernehmen könnten. Nach meiner Erfahrung in der Praxis funktioniert das bei Weitem nicht so gut, wie dieses elegante Modell nahezulegen scheint. Die einzelnen Altersgruppen suchen sich ihre Unterstützungsleistungen oder Kontakte in ihren Altersgruppen, weil dort sozusagen verabredet wird, wie man die für diese Altersgruppe spezifischen Probleme löst, also zum Beispiel der Kindererziehung. In dem Alltag eines, sagen wir mal, gehobenen Mehr-Familien-Hauses bestehen die Kontakte eher zwischen denen in den gleichen Lebenslagen und nicht in unterschiedlichen Lebenslagen.
Schäfer-Noske: Das war ein Gespräch mit dem Soziologen und Stadtplaner Albrecht Göschel zum heutigen Internationalen Genossenschaftstag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Albrecht Göschel: Ja, das muss man so sagen, das ist es mit Sicherheit, wobei in vielen modernen Assoziationsformen, sage ich jetzt mal allgemein, die also in diesem Genossenschaftsbereich aufzutauchen scheinen, sich doch andere Motive andeuten, als sie die klassischen Genossenschaften der 20er-Jahre hatten, und das waren eindeutig Selbstversorgungsmodelle für materiell extrem Benachteiligte. Also es war eine Art Wohnungsbauprogramm in den Wohnungsbaugenossenschaften für Menschen, die sich sonst keine eigene Wohnungen hätten leisten können. Und ich habe den Eindruck, dass das ökonomische Argument im Augenblick nicht im Vordergrund steht. Was dort im Vordergrund steht, ist die neue Wohnform einer größeren Geselligkeit, also gegen Invalidisierung eher als gegen materielle Armut.
Schäfer-Noske: Welche Rolle spielt denn für Menschen, die in Genossenschaftswohnungen wohnen wollen, der Schutz vor Luxussanierungen?
Göschel: Die Wohnungsbestände, die einer Genossenschaft gehören, sind natürlich von dieser Möglichkeit einer aufgezwungenen Renovierung befreit. Sie können ja entscheiden, was Sie da tun. Und wenn Sie sagen, wir wollen eben keine neuen Bäder einbauen, dann tun Sie es eben nicht. Und das passiert in Berlin in ganz umfangreichem Maße, dass solche Genossenschaften eben Altbaubestände erwerben, bevor sie renoviert sind, also noch zu erträglichen Preisen, und damit sind sie allen Druck eines privaten Investors auf diesen Wohnungsbestand und damit auf Ihre Wohnungspreise los.
Schäfer-Noske: Nun gibt es ja auch Anforderungen der Arbeitswelt, man muss mobil sein zum Beispiel. Wenn sich jetzt Leute deswegen kein Eigentum anschaffen wollen, ist das auch ein Grund zum Beispiel, dann in eine Genossenschaftswohnung zu gehen, um so eine Art Quasi-Eigentum zu erwerben?
Göschel: Die Verbindung würde ich nicht sehen. Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wirkt im Grunde ungefähr so bindend wie das private Eigentum eines einzelnen in einer Wohnung. Wenn man aus der Genossenschaft aussteigt, muss man einen Nachfolger finden, man muss seinen Anteil an einen Nachfolger verkaufen können, der in diesen Anteil einsteigt etc., mit den ganzen Bindungen, die eine Genossenschaft bedeutet, und das kann schwieriger sein, als ein kleines Einzeleigentum sozusagen privat auf den Markt zu bringen.
Schäfer-Noske: Genossenschaftswohnungen hatten ja – Sie haben das gesagt – früher das Image, für Leute mit wenig Geld gebaut zu sein.
Göschel: Ja.
Schäfer-Noske: Nun investieren aber Genossenschaften durchaus auch in hochpreisige Wohnungen und das wird ihnen dann auch wieder vorgeworfen. Wie groß ist denn für die Genossenschaften auch das Problem, dass der Mittelstand immer weniger wird?
Göschel: Genossenschaften sind letzten Endes Wirtschaftsunternehmen. Das heißt, sie müssen sicherstellen, dass das Kapital, was sie in einen Wohnungsbestand stecken, sich auch amortisiert und sozusagen getragen werden kann. Dazu brauchen Sie unweigerlich in einem gewissen Maße zahlungskräftige Mitglieder. Zahlungskräftige Mitglieder heute erwarten einen gewissen Wohnungsstandard. Es gibt ein sehr hohes Niveau sozusagen von Wohnungsstandard-Erwartungen auch für die Innenstadtwohnung, wo quasi die Standards eines Ein-Familien-Hauses auf der Etage erwartet werden. Also eine Genossenschaft, die sich überhaupt nicht auf einigermaßen stabil zahlungsfähige Mitglieder einstellen würde, würde im heutigen Wohnungsbestand Schwierigkeiten haben.
Schäfer-Noske: Welches Zukunftspotenzial haben denn Genossenschaften Ihrer Meinung nach heute?
Göschel: Ich glaube, dass sie eine Zukunft haben. Sie werden vermutlich nicht zu einem Massenmodell werden, wie das Anfang des 20. Jahrhunderts war. Ich glaube doch, dass sozusagen das Privateigentum, das Einzeleigentum dominant bleiben wird. Zwischen dem und einem sozialen Wohnungsbaubestand werden, glaube ich, die Genossenschaften immer nur eine Art Lücke ausfüllen, aber diese Lücke, die jetzt noch sehr klein ist, die sie da ausfüllen, die kann durchaus größer werden.
Schäfer-Noske: Es gibt ja auch zunehmend diese Formen des generationsübergreifenden gemeinschaftlichen Wohnens.
Göschel: Ja. Das ist in der gedanklichen Konstruktion überzeugend und brillant. In der Tat sind es die jungen Familien, die unter Zeitstress stehen, also mit Beruf und Kindern, und es sind rüstige Ältere, die wir zunehmend haben, die nichts zu tun haben, die sozusagen dann eine Betreuung von Kindern oder auch Sorge für die Wohnung übernehmen könnten. Nach meiner Erfahrung in der Praxis funktioniert das bei Weitem nicht so gut, wie dieses elegante Modell nahezulegen scheint. Die einzelnen Altersgruppen suchen sich ihre Unterstützungsleistungen oder Kontakte in ihren Altersgruppen, weil dort sozusagen verabredet wird, wie man die für diese Altersgruppe spezifischen Probleme löst, also zum Beispiel der Kindererziehung. In dem Alltag eines, sagen wir mal, gehobenen Mehr-Familien-Hauses bestehen die Kontakte eher zwischen denen in den gleichen Lebenslagen und nicht in unterschiedlichen Lebenslagen.
Schäfer-Noske: Das war ein Gespräch mit dem Soziologen und Stadtplaner Albrecht Göschel zum heutigen Internationalen Genossenschaftstag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.