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Von der Schönheit des Kampfes

Zum zweiten Mal nach "Ashes of Time" hat Wong einen Martial-Arts-Film gedreht - einen Film, so originell wie meisterlich. Der diesjährige Jury-Präsident der Berlinale erweist sich dabei als romantischer Filmemacher par excellence.

Von Rüdiger Suchsland |
    Es ist Nacht; es regnet in Strömen; ein Mann steht auf einer düsteren Straße. Er steht allein, umringt von einem Dutzend anderer in bedrohlicher Haltung. Es ist eindeutig, dass ein Kampf unmittelbar bevorsteht. Aus der Distanz beobachtet eine Gruppe älterer Männer das Geschehen. Die Kamera dehnt die Zeit, zeigt auf den Asphalt prasselnde Regentropfen in Großaufnahme, die Gesichter der Menschen, die Blicke, die sie sich zuwerfen, mit denen sie Maß nehmen für das Bevorstehende. Dann bricht es los: Schnelle Schlagfolgen finden ihre Entsprechung im plötzlich beschleunigten Schnitt, in einem Bilderwirbel, der doch dem Zuschauer nie die Orientierung raubt. Kleine Sekundenbruchteile, in denen das Bild stehenbleibt, die Perspektive auf einem Einzelteil, einer Hand, einem Blick, einer Pfütze verharrt; kurze Zeitlupen, erlauben ein Innehalten. Alles ist konkret, leiblich, und doch hochstilisiert: Glieder knacken, Menschen werden gestoßen, Körper fliegen durch den Raum.

    Am Ende steht nur noch einer. Er, durch die Kameraführung von Beginn an unzweideutig als Held ausgewiesen, hat die Gruppe besiegt. Und die alten Herren murmeln anerkennend etwas von der "neuen Hoffnung des Südens".

    Diese allererste Szene setzt den Grundton: Eine Übung in visueller Coolness, in zurückgenommener, hochdisziplinierter Ästhetisierung, in gebändigtem Exzess - Wong Kar-Wai, der Regie-Großmeister ist nach Hongkong, ins räumliche wie emotionale Zentrum seines Filmemachens zurückgekehrt ist. Zum zweiten Mal nach "Ashes of Time" (1994/2008) hat Wong einen Martial Arts-Film gedreht.

    Doch wie er es in "Days of Beeing Wild" (1990) oder "Fallen Angels" (1995) mit dem Gangster- bzw. Killermotiv tat, transzendiert Wong auch hier nahezu alle Genreregeln zugunsten eines Autorenfilms in seiner eigenen, unverwechselbaren Handschrift.

    Der Handlungsfaden folgt dem Leben einer historischen Person: Yip Man (geboren 1893, gestorben 1972), Kampfkunstmeister, Lehrer der Ikone Bruce Lee, und bereits zu Lebzeiten Legende des modernen China.

    "The Grandmaster" setzt Mitte der 30er-Jahre ein und schildert anschaulich die damalige Kampfkunstszene mit ihrer Nähe zur Unterwelt, der Rivalität der verschiedenen regionalen Schulen und den Treffen in Edelbordellen, die sowohl Ort sinnlicher Freuden wie erbitterter Rededuelle, wie auch eine Arena für Kämpfe waren. Der Aufstieg von Yip Man als Kampfkünstler korrespondiert mit dem Zusammenbruch der chinesischen Republik unter der japanischen Invasion und der Zerstörung von Yip Mans persönlicher Welt: Einsam landet er schließlich im Hongkonger Exil, wo er sich bis zu seinem Tod als Kampfkunstlehrer verdingt.

    Wongs Narration ist generell chronologisch und linear, verknüpft aber verschiedenste Ebenen: Biografische Fakten, historische Ereignisse und Gefühlsgeschichte einiger zentraler Figuren. "The Grandmaster" ist eine Passage durch die chinesische Geschichte von 1930 bis 1972, und spricht politisch delikate Aspekte an: Separatismus und Kollaboration.

    Im zweiten Teil tritt Gong Er, Tochter eines alten Kung-Fu-Meisters zunehmend in den Vordergrund. Ihr ist Ip Man auf komplizierte Weise verbunden: Ein Kampf zwischen ihnen - einer der emotionalen Höhepunkte des Films - wird zum erotisch eingefärbten Duell; ähnelt mehr einem Tanz, als einem Kampf. Optisch wie emotional ein Liebesakt - poetisches Zeugnis einer "platonisch" sublimierten Liebe. Zhang Ziyi und Tony Leung spielen dieses Paar auf Distanz mit großer Intensität.

    Das untergründig immer präsente Zentralmotiv ist die Frage der politischen wie kulturellen Einheit Chinas, der chinesischen Identität in der Diaspora - für Wong Kar-Wai, der in Hongkong als Kind Shanghaier Einwanderer aufwuchs, seit je ein wichtiges Sujet. Dazu kommen andere Motive: Die Unwiederbringlichkeit von Erinnerungen, das ungelebte Leben, die imaginäre Liebe. An einer zentralen Stelle setzt Wong hierfür ein eindeutiges Zeichen: Im Off ist "Deborah's Theme" aus Sergio Leones "Once Upon a Time in America" (1984) zu hören - eine emotionale Anrufung, in der sich Melancholie mit Nostalgie vermischt; ein Augenblick filmischer Intensität, in dem sich der Zuschauer an Ereignisse erinnert, die er nicht erlebt hat, Menschen liebt, die allein im Kino existieren - ureigene Erfahrung großer Filmkunst.

    "The Grandmaster" ist so originell wie meisterlich. Wong gelingen großartige Momente. Der glänzende Stil ist nie Selbstzweck, aber die Form ist bei Wong Kar-Wai der Inhalt, der Stil die Botschaft: Wenn Wong sich der Mittel der Beschleunigung oder Verlangsamung bedient, oder den Zeitverlauf ganz anhält, wenn er bestimmte Momente des Geschehens herausgreift und überhöht, dann erweist er sich als romantischer Filmemacher par excellence, dem es um Anmut und Grazie, um das Herstellen ekstatischer Momente zu tun ist, um Kunst als Evidenz im Augenblick.