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Von der Schulbank in die Uni-Lehre

Doch die Direktoren des Centrums für Europäische Rechtspraxis der Uni Bielefeld gehen gerne neue Wege. Im Visier der europäisch denkenden Professoren steht die Verbesserung der Lehre. Dafür werben sie an Gymnasien um die besten Absolventen für ihre Lehrstühle. Die Gegenleistung ist eine studentische Hilfskraftstelle - und zwar bereits am ersten Studientag.

Von Ingo Müntz |
    Morgendliche Besprechung. Hans Schulte-Nölke und seine Mitarbeiter drängen sich um einen Tisch. Bereits einen Monat vor Semesterbeginn steht im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Europäisches Privatrecht ein ungewöhnlicher Punkt auf der Tagesordnung.

    " Erster Punkt, für Sie vermutlich von besonderem Interesse, unser neues Programm, das wir das Begabtenprogramm nennen. Wir haben in der letzen Woche aus den zahlreich eingegangenen Bewerbungen eine Auswahl getroffen. "

    Gesucht wurden Abiturienten mit überdurchschnittlichen Noten, Fremdsprachenkenntnissen, möglichst einer Berufsausbildung und sozialer Kompetenz. Geboten wird eine studentische Hilfskraftstelle ab dem ersten Studientag. Gefunden wurde Lucia Schwochow, 18 Jahre alt, Abinote 1,1. Die Gütersloher Abiturientin ist die erste von fünf künftigen, man kann fast sagen: Werksstudenten der Uni Bielefeld. Die morgendliche Runde plant bereits die Einbindung, die Unterstützung der neuen Kollegin.

    " Wenn Sie da Vorstellungen haben, die über die Mitnahme zum Mittagessen herausgehen (Lachen) - wo sollen wir die denn hin stecken? "

    Studentin: " Vielleicht bei uns im Consumer Colloquium, da ist Frau Trabant ausgefallen, da könnten wir sicher noch jemand gebrauchen, der Daten mit eingibt.

    " Professor: " Ja, da bräuchten wir jemand mit Französisch- und Spanischkenntnissen."

    Die Ziele des Bielefelder Begabtenprogramms sind sehr unterschiedlich. Ein wichtiger Augenmerk gilt jedoch einer weiteren Verbesserung der Lehre. Professor Hans Schulte-Nölke:

    " Einer der Hauptvorteile ist natürlich, dass wir dann zum ersten Mal im eigenen Team, wo ja auch die Lehre vorbereitet wird, Studierende auch aus dem ersten und zweiten Semester haben und damit eine Doppelwirkung haben. Zum einen bekommen wir eine sofortige Resonanz und können bei der Vorbereitung der Lehre, deren Erwartungen und Verständnishorizonte etwas besser einplanen. Vor allem finde ich es wichtig, dass Studierende, die an einer Lehrveranstaltung teilnehmen, an der Vorbereitung zu beteiligen. "

    Das Programm ermögliche Studierenden aller Altersgruppen im Lehrstuhlteam vertreten zu sein. Hans Schulte-Nölke hofft auf Nachwuchs aus dem eigenen Haus. Engagierte und gute Studenten früh an einen Lehrstuhl zu binden, ermögliche eine lange Laufzeit der Mitarbeiter, sagt der 42-Jährige.

    Dennoch - die Befürchtung drängt sich auf, dass diese frühe Förderung Einzelner eine Zweiklassengesellschaft begründen könnte:

    " Das ist natürlich ein hartes Wort. Es gibt keine Zweiklassengesellschaft, sondern eine Unzahl von Abstufungen. Die weitaus meisten Abstufungen werden auch wohl nicht künstlich seitens der Universität geschaffen, sondern die schaffen sich die Studenten selbst - nämlich durch ihren Einsatz."

    Das ungewöhnliche Angebot zeigte Wirkung, auch bei Lucia Schwochow. Die Möglichkeit, bereits am ersten Tag dem Lehrstuhlteam anzugehören, beeinflusste ihre Entscheidung maßgeblich:

    " Eigentlich ist das Interessante, dass dieser Job mich dazu bewogen hat, mich für Jura zu entscheiden. Ich war mir da sehr unsicher, aber es hat mir da eine Motivation gegeben, weil ich total interessiert bin an internationalem Recht und auch an Europa, und da habe ich gedacht, wenn ich dann da schon sehen kann, wie man später vielleicht arbeiten kann, baut das Motivation auf, das Grundstudium hinter sich zu bringen."

    Und der monatliche Verdienst von 180 Euro tat sicherlich ein übriges. Finanziert werden die Stellen übrigens zum Teil aus den Mitteln für Forschungsaufträge der EU.

    Lucia Schwochow sieht in diesem Experiment Chancen für künftige Veränderungen in der Lehre. Eine Zweiklassengesellschaft befürchtet sie nicht:

    " Ich glaube im Gegenteil, dass so eine Art und Weise ein guter Schritt ist, eine Verbindung herzustellen, zwischen der Studentenschaft und den lehrenden Leuten da. Ich finde das auch an den Schulen, im Vergleich zum Ausland immer traurig, dass so oft so eine schlechte Kommunikation herrscht."

    Ein wichtiger Grund, warum auch die künftigen Kollegen der jungen Abiturientin das Begabtenprogramm grundsätzlich begrüßen. Ihre Einschätzungen:

    " Ich halte das Projekt grundsätzlich für sinnvoll, gerade im Hinblick darauf , dass die zukünftigen Studenten unmittelbar in die Wissenschaft und Forschung eingeführt werden. Bedenklich allerdings finde ich das Auswahlverfahren, wonach vorgeblich Begabte ausschließlich ausgewählt werden. Denn meines Erachtens nach kann man nicht immer von der Abinote auf die tatsächliche Leistung und schon gar nicht auf die juristische Leistung schließen. "

    Frau:" Ich denke, es ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, überhaupt was von der Forschungstätigkeit zu sehen. Man bekommt Kontakt zu Leuten, die promovieren und kann sehen, was die machen. Ich hätte Bedenken, ob es möglicherweise da ganz einfach ist einzusteigen, weil vielleicht doch ein bisschen Wissen vorausgesetzt wird".

    Mann: " Ich denke, dass das Projekt für beide Seiten Vorteile bringt, sowohl für die Lehre, als auch für die Studierenden. Nicht nur dass die Studierenden von Anfang an die Hand genommen werden, sondern dass mit ihnen in die Lehre frische Ideen kommen, neue Fragen, auf die die Lehre dann auch neue Antworten finden muss."