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Von der Straße in die Halle

Wie rutscht man spektakulär ein Treppengeländer hinunter oder eine Rolltreppe hinauf? Das schaut sich ein meist junges Publikum auf der Street-Artistik-Show Urbanatix an und ab. Die dritte Auflage der Bochumer Revue für Jugendbewegung widmet sich unter dem Motto "sub:City" dem Unterbau moderner Städte: den U-Bahnen und Subkulturen.

Von Peter Backof | 14.11.2013
    Man merkt es allen an: Das hier ist cool, das hier ist sexy. Voller Stolz und mit geradezu weihevollem Ernst gehen sie es schon bei den Proben an: das Gesamtkunstwerk Urbanatix 2013. Daniel Scherer aus Witten zum Beispiel ist schon zum dritten Mal bei der Truppe von rund fünfzig Teenagern aus 24 Ruhrgebietsstädten. Daniel wischt sich eine kesse Emo-Strähne unter den stylishen Hut und erklärt uns das Prinzip Urbanatix:

    "Es sind ja auch immer mehr Leute, die in ihren Sportarten versuchen, Urban Style zu praktizieren, irgendwo unterwegs in der Stadt. Man sieht es an den Leuten, die sich irgendwo hinstellen, mitten an irgendeine komische Stelle, Fotos davon machen, es geht immer mehr in die Richtung: in die Stadt zurück."

    Unterkühlte Musik, Licht in Neonspektralfarben, das von außen mit gewaltigen Richtstrahlern in die Bochumer Jahrhunderthalle gelenkt wird und die rund fünfzig Teenager mit Bewegungstalent. Die Cirques du Soleil und Flic Flac, die Hochglanz-Artistik-Shows, damit kokettieren sie, aber den besonderen Charme der Urbanatix-Show macht dann auch eine gewisse Erdung aus: Wie könnte man möglichst innovativ einem Einkaufswagen ausweichen, der einem in die Kniekehlen du donnern droht. Manches Slapstick, anderes Profiartistik. Urbanatix zeigt: Wir sind viele, wir sind jung. Ein Bühnenbild aus Rampen, Balustraden, Treppen und Geländern. Hier übt Kevin auf einem BMX-Rad seinen Part. Der heißt: "No Hand Time Machine."

    Was wir früher eine Pirouette auf einem Fahrrad, freihändig, genannt hätten. Bemerkenswert, dass gerade diese Tricknamen wie "No Hand Time Machine" ausgerechnet von hundert Jahre alten Romanen und ihren fünfzig Jahre alten Verfilmungen inspiriert sind: genauso schwindelerregend kreiselnd wie Kevin hat sich in H. G. Wells' "Zeitmaschine" dasselbige Gerät mit dem Zeitreisenden darauf in die andere Dimension verflüchtigt. Das Ambiente der Jahrhunderthalle, ehemals Schauplatz beinharter Maloche, bezeichnen die Teenager, die eher durch Facebook und Co. als durch den Bergbau sozialisiert sind, einhellig als: "coole Deko" für die Show.

    "Nö, also ich bin ja im Moment jetzt jüngster Profi weltweit. Und so was spricht sich natürlich rum."

    Kevin Nikulski, 19 Jahre alt, ganzkörpertätowiert, hat sechs Jahre lang geübt für die "No Hand Time Machine". Totale Hingabe für den neuen Leistungssport, genaue Berufsbezeichnung: "BMX Flatlander".

    "Ich fahr im Moment für Relentless, also Coca Cola ist mein Hauptsponsor. Und die pumpen monatlich dann halt auch: Fahrergehalt. Ich bekomme 'ne Liste, wo ich hin muss, kann, soll. Das klapper ich dann ab, da travel ich hin. Und fahr!"

    Daniel dagegen "travelt" nicht, ist eher der Typ Jungintellektueller: Man müsste ausbrechen aus vorgegebenen Bahnen.

    "Man geht durch die Stadt und fängt an, andere Wege zu sehen. Wenn ich zum Beispiel ein Geländer sehe, dann denke ich nicht: O.K., ich muss jetzt am Geländer vorbei gehen, mich nach den Wegen richten."

    Sondern er hüpft drüber oder windet sich spektakulär irgendwie hindurch. Inzwischen rekrutieren auch Action-Kino-Produktionen wie "James Bond" ihre Darsteller aus kleinen Videos auf YouTube und co. Urbanatix, das ist ein Sinnbild für Jugend. Alle wissen, dass man nur ein paar Jahre lang Profi-BMX-Flatlander oder Parkour Runner sein kann. Urbanatix-Initiator und Regisseur Christian Eggert:

    "Das ist auch der Grund, warum wir uns jetzt noch mal erweitern: um eine große Halle, die ein Open Space sein wird: dass wir das ganze Jahr über einen Ort haben, wo die Biker ihre Rampen reinstellen, wo die Parkourleute Obstacles, also Hindernisse, haben."

    Wo Profiartisten erklären, dass ein Geländer mitunter doch ein Geländer ist und eher einen Beinbruch erzeugt als einen Superman. Davon soll dann auch die Urbanatix-Show profitieren: Denn die hat den unbedingten Anspruch, immer die gerade angesagten Tricks und Trends zu zeigen.