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Von Drachen und Druiden

"Die neue Platte" geht an diesem Sonntag auf eine Zeitreise, die uns ins bretonische Mittelalter führt. Drachentötenden Königen, geraubten Kindern, Druiden und Heiligen begegnen wir dort - denn von ihnen erzählen die alten Volkslieder aus der Bretagne, die der Franzose Charles Koechlin seinem Opus 115 zugrunde legte: 20 "Chansons bretonnes" bearbeitete er für Violoncello und Klavier.

Von Maja Ellmenreich |
    Der Cellist Peter Bruns und die Pianistin Roglit Ishay haben als erste alle 20, auch die bislang unveröffentlichten, für ihre neue CD aufgenommen.

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - 'Saint-Efflam et le Roi Arthur' aus Chansons bretonnes, op. 115 "

    Das Volkslied "Saint-Efflam et le Roi Arthur" umfasst im bretonischen Original sage und schreibe 37 Strophen. In seiner Bearbeitung lässt Charles Koechlin die Melodie bloß zwei Mal vom Cello singen: Ganz schlicht und schmucklos trägt es die eingängige Weise vor. Und es ist die Aufgabe der Klavierstimme, für ein wenig Dekoration zu sorgen. Zart und zurückhaltend allerdings.

    Wer es nicht weiß, ahnt nicht, dass es im Text der Vorlage ums Ganze geht: um König Artus, der voller Verzweiflung mit einem Drachen kämpft, schon ganz erschöpft ist, und erst in letzter Minute von Efflam zur Stärkung mit Wasser versorgt wird.

    Von dieser Dramatik ist im Chanson nichts zu spüren; und auch Charles Koechlin verwendet Anfang der 1930er Jahre seinen Ehrgeiz nicht darauf, die uralten Geschichten musikalisch nachzuerzählen. Charles Koechlin konzentriert sich darauf, die Melodien der Lieder in neuem Licht zu präsentieren. Dafür lässt er ihnen Raum, überfrachtet sie nicht mit einem wuchtigen Klavierpart, sondern setzt auf stimmungsvolle Begleitung - im wahrsten Sinne des Wortes.

    Bei Koechlins Bearbeitung des Volksliedes "Le Faucon", zu deutsch: Der Falke - da schweigt die Klavierstimme sogar die gesamte erste Strophe über.

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - 'Le Faucon' aus Chansons bretonnes, op.115 "

    "Le Faucon" erzählt vom geknechteten, unterdrückten Volk der Bretonen. Nicht selten ist die Leidensgeschichte der Bevölkerung Thema von Volksliedern. Doch die zwanzig "Chansons", die Koechlin aus der bekannten Liedersammlung des Vicomte Hersart de la Villemarqué auswählte, sie berichten ebenso von Einzeltätern und ihren Opfern, von grausamen, barbarischen Verbrechen.

    So richtig lustig geht es selten zu in den Liedern, die nach jahrhundertelangem Dornröschenschlaf Mitte des 19. Jahrhunderts wieder an Popularität gewannen. Villemarqué gab mit seiner Volksliedsammlung 1839 eine Art Startschuss ab und setzte eine regelrechte Sammelwelle in Gang.

    Als sich Charles Koechlin 1931 an seine "Chansons bretonnes" machte, war besagte Welle eigentlich schon wieder abgeebbt. Doch um Moden und Trends kümmerte sich Koechlin ohnehin herzlich wenig: Er hatte bei Massenet und Fauré in Paris studiert, aber seinen ganz eigenen Weg gesucht. Zu einem Kompositionschamäleon hatte er sich entwickelt: Für Koechlin bestand die Herausforderung darin, sich immer wieder in neue Techniken einzuarbeiten. Mal widmete er sich hoch-differenzierten Orchesterklängen, mal betörend-schlichten Mittelalterballaden. Und meist ließ er sich dabei von der Literatur inspirieren. Kiplings "Dschungelbücher" zum Beispiel dienten ihm gleich mehrfach als Vorlage.

    An den Volksliedern aus der Bretagne übte Koechlin wohl den Umgang mit der kleinsten musikalischen Einheit. Die meisten seiner Bearbeitungen dauern keine zwei Minuten; und doch hatte es sich Koechlin zum Ziel gesetzt, ganz unterschiedliche Klangfarben zum Leuchten, ganz unterschiedliche Stimmen darin zum Klingen zu bringen.

    Bei drei Chansons am Stück - da kommt der Abwechslungsreichtum erst so richtig zur Geltung.

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - 'L'Épouse du croisé' - 'Le Rossignol modulant' -
    'Le Page de Louis XIII' aus Chansons bretonnes, op.115 "

    Diese drei kurzen Volksliedbearbeitungen stammen aus dem dritten Band von Koechlins opus 115. Band I und II der "Chansons bretonnes" sind schon 1934 in Druck erschienen - Band III aber ist bislang unveröffentlicht geblieben. Der Cellist Peter Bruns und die Pianistin Roglit Ishay legen mit der neuen CD, die bei hänssler CLASSIC erschienen ist, die erste Gesamtaufnahme der zwanzig kleinen Stücke vor. Allein dafür verdienen sie schon mal Anerkennung!

    Charles Koechlins selten gehörte "Chansons bretonnes" werden durch diese Einspielung wahrscheinlich nicht gleich den Sprung ins etablierte Kammermusikrepertoire schaffen, aber sie werden einem größeren Publikum vorgestellt, das den ohnehin nicht allzu bekannten Charles Koechlin noch einmal von einer anderen Seite kennen lernen darf:

    Als Puristen, der sich auf das Wesentliche zu beschränken weiß und die vergangene mit der zeitgenössischen Musiksprache verbindet.
    Peter Bruns und Roglit Ishay gebührt aber noch mehr Anerkennung: Sie haben die kleinen folkloristischen Edelsteine schließlich nicht nur ausgegraben, sondern auch auf Hochglanz poliert. Ihr jahrelang erprobtes Duospiel zahlt sich auf dieser neuen CD einmal mehr aus. Beide stellen ihr Spiel ganz in den Dienst der Musik. Und das heißt bei Koechlins opus 115, dass das Cello singt und das Klavier begleitet.

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - 'Merlin au berceau' aus Chansons bretonnes, op.115 "


    So einfühlsam, so feinsinnig geht Roglit Ishay dabei ans Werk, dass ihre Klavierstimme gelegentlich wie ein hauchdünner Schleier wirkt, der über den robusten Volksliedern ausgebreitet wird. Mit einer Zurückhaltung, die Peter Bruns aber zum Glück nicht dazu verleitet, den sprichwörtlichen Bogen zu überspannen.

    Peter Bruns tut das, was er auf seinem Tononi-Cello von 1730 ohnehin am liebsten tut: Er deklamiert. So wie Pablo Casals, in dessen Besitz das Instrument auch eine Zeitlang gewesen war. Die Nähe zu Casals bestätigte Peter Bruns einmal mit den Worten: "Ich versuche auch, auf dem Instrument zu sprechen".

    Und das kommt der neuen CD spürbar zugute. Peter Bruns gestaltet jede Phrase - und wird sie noch so häufig wiederholt - jedes Mal ein wenig anders. So wie es ein Sänger zwangsläufig machen würde. Bei jeder Wiederholung hat er einen anderen Text zu singen, und allein das lässt die Musik schon anders klingen.

    Außerdem verfügt Peter Bruns über einen ungeheuren Vorrat an Spielweisen. Er versteht sich darauf, die Volksmusikinstrumente der Bretagne zu imitieren: den Dudelsack namens Biniou, die oboenähnliche Bombarde oder die Leier mit ihren Bordunsaiten.

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - 'Les Trois Moines rouges' aus Chansons bretonnes, op.115 "

    "Vingt chansons bretonnes" - Charles Koechlins opus 115 füllt noch nicht einmal 30 Minuten. Da war noch Platz auf der CD, und den wussten Peter Bruns und Roglit Ishay zu füllen. Sie fügten einen Claude Debussys Cellosonate hinzu und Koechlins Cellosonate aus dem Jahr 1917; und schon war dessen durchaus überschaubares Gesamtwerk für Violoncello und Klavier komplett. Während die einzelnen Volksliedbearbeitungen - für sich genommen - immer in einer Stimmung bleiben, bietet Koechlins Cellosonate eine willkommene Abwechslung. Nach den ersten sechs "Chansons" auf der CD wird eine Mittelalterpause eingelegt, und ein spätromantisch-französisches Wechselbad geboten: Spannung und Entspannung kommen ins Spiel, ganz andere Klangfarben tauchen auf, und unterschiedliche Tonarten überlagern einander.

    Mit der Sonate für Violoncello und Klavier, opus 66, begegnet uns plötzlich ein ganz anderer Charles Koechlin. Wie gesagt: ein Kompositionschamäleon!

    " Musikbeispiel: Charles Koechlin - Final: Allegro non troppo aus Sonate für Violoncello und Klavier, op. 66 "

    Der Cellist Peter Bruns und die Pianistin Roglit Ishay haben sich um Charles Koechlins Gesamtwerk für Violoncello und Klavier verdient gemacht: Ihre neue CD mit den "Chansons bretonnes", opus 115, und der Cellosonate, opus 66, von Charles Koechlin sowie der Cellosonate von Claude Debussy ist kürzlich bei hänssler CLASSIC erschienen. Die Angaben zu dieser neuen CD können Sie auch noch einmal nachlesen auf den Deutschlandfunk-Seiten im Internet.

    Titel: Werke für Violoncello und Klavier von Koechlin und Debussy
    Solisten: Peter Bruns, Violoncello
    Roglit Ishay, Klavier
    Label: hänssler CLASSIC
    Labelcode: LC 06047
    Bestell-Nr.: 98.258