Man könnte meinen, dieses Buch hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können: Die ICE-Achsen marode, die Preise schon wieder gestiegen und die Berliner S-Bahn liegt immer noch darnieder. Züge sind unpünktlich – und schuld daran hat laut Bahn der Mitten im Januar eingebrochene Winter, der auch noch weiß ist. Für ein "Schwarzbuch Deutsche Bahn" Stoff genug.
Fünf Millionen Kunden täglich sind nicht nur eine Menge potenzieller Leser des Werks, sie sind auch Experten für ein Massentransportmittel und dessen Probleme mit dem Service – und da setzt dieses Buch an:
Es scheint, als würde die Bahn viel Arbeit und Zeit investieren, um sich ihre Kunden vom Hals zu halten, sofern sie Anregungen, Fragen, Beschwerden oder besondere Bedürfnisse haben. Als Monopolist kann sie sich das leider erlauben. Ein kleines Unternehmen, das auch nur ansatzweise so mit seinen Klienten umspringen würde, wäre binnnen weniger Wochen pleite.
Und so kommen reihenweise Bahnkunden zu Wort, mit denen man richtig schön mitleiden kann: Fahrradfahrer, Behinderte oder auch der Erste-Klasse-Fahrer. "Höllenmaschine Ticketautomat", "Wie die Bahn uns zu Schwarzfahrer macht" oder schlicht das "Servicechaos bei der Bahn", heißen die Kapitel. Auch wenn ein paar Seiten weniger davon nicht geschadet hätten: Das ist detailreich, bunt und präzise aufgeschrieben.
Nun würde der Leser gern wissen, warum das alles so ist. Schließlich sind die Gründe ebenso vielschichtig wie die Schilderungen der Passagiere: Technische Defekte, Selbstmörder auf den Gleisen oder einfach übel gelaunte Schaffner. Hier und da wird aber nur ein Zwischenhalt bei den üblichen Verdächtigen wie Sparkurs, Personalabbau und Renditehunger gemacht. Und beim Stichwort Börsengang.
Weiter geht's mit ganz anderen Themen: Der Hochgeschwindigkeits-Wahn der Bahn oder Schlamperei bei Bauarbeiten. Dann kommt auch schon der Feldzug von Ex-Bahnchef Mehdorn gegen die Ausstellung "Zug der Erinnerung" dran, in der das Leid jüdischer Kinder auf der Fahrt mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager geschildert wird. Der Anschlusszug jagt den Leser dann wieder mit Hochgeschwindigkeit in die Zukunft zum Projekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs.
Jedes Kapitel beleuchtet meist weitgehend korrekt und anschaulich, was bei der Bahn schiefläuft. Im Nebel bleibt aber ein roter Faden, der die Geschichte zusammenhalten könnte. Klar erkennbar scheint für die Autoren nur, wer an allem keine Schuld trägt:
Es sind die rund 240.00 Mitarbeiter der Bahn, die jeden Tag im Zug, in den Werkstätten, in den Reisezentren und auf den Bahnhöfen den Kopf für die Entscheidungen des Managements hinhalten, die nicht nur den Ärger und Spott der Kunden abkriegen, sondern die zunehmend auch körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und teilweise bis zur totalen Erschöpfung schuften – für ein Gehalt, für das das Bahnmanagment wohl morgens nicht aus dem Bett steigen würde.
Eine solche Generalamnestie für Eisenbahner, in Deutschland fast alle mit Arbeitsplatzgarantie, klingt dann doch stark, wie von der Gewerkschaft diktiert. Beim Kampf des Schaffners etwa gegen den Schwarzfahrer denkt man an die ersten Kapitel des Buches zurück. Vielleicht hat eben dieser Passagier dort bereits sein Leid ausgebreitet, wie ihn der Ticketautomat zum Schwarzfahrer machte oder der mufflige Verkäufer falsch informierte. Und wenn ein Mitarbeiter klagt, er müsse auch noch die Kunden am Platz bedienen – so kann die Servicewüste so trocken nicht sein.
Dennoch sind die Schilderungen des Zugchefs nach einem Selbstmord auf der Schiene oder der Schaffnerin im Kampf gegen Fußballrowdies auf nächtlicher Heimfahrt, die eindrucksvollsten des Buches. Sympathisch altmodisch klingt auch der Kundenberater in einem der verbliebenen Reisezentren, der unter Druck steht, seinen Kunden vor allem 1. Klasse Tickets anzudrehen.
Unklar aber, warum die Autoren immer wieder selbst mit seufzen:
Ach, die gute alte Zeit! Da fuhr man von A nach B, stieg in den Zug, und alles war gut. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen Bahnkunden von großer Nostalgie heimgesucht werden.
Ironie und Sarkasmus: Stilistische Marotten, die den Text an vielen Stellen unnötig befrachten, da Fakten und Betroffene selbst deutlich genug sind. Es wäre hier aber Gelegenheit auch einmal einen ernsthaften Blick zurück in diese "gute alte Zeit" zu werfen. Dass sich die Bundesbahn ändern musste, da sie mit völlig veralteten Zügen immer größere Milliardenverluste einfuhr und Schalterbeamte hinter dickem Glas Dienst nach Vorschrift machten – darüber herrschte vor 20 Jahren Einigkeit. Und dass bei der Bahn, vor allem nach Zusammenlegung mit der DDR-Reichsbahn, Hunderttausende Mitarbeiter zu viel an Bord waren, hätte auch erwähnt werden können – ohne den Status Quo damit zu beschönigen. Dafür müssten sich die ZDF-Journalisten mit den politischen Hintergründen und Planungen auseinandersetzen. Das machen die Autoren - außer dem Nein zu einer Privatisierung - höchstens ansatzweise. Etwa, wenn sie für eine Herauslösung des Schienennetzes aus dem Konzern plädieren:
Der Bund könnte dann selbst bestimmen, ob er lieber in Hochgeschwindigkeitstrassen oder in ein flächendeckendes, dafür vielleicht nicht ganz so schnelles Netzangebot investiert. Er könnte über die Trassenvergabe für richtigen Wettbewerb auf der Schiene sorgen, und er könnte Bahnhöfe wieder zu dem machen, was sie sein sollten: Visitenkarte der Städte, Eintrittstore zum Schienennetz.
Fairer Wettbewerb gut, Privatisierung schlecht – das verträgt sich nicht: Die Konkurrenten der Deutschen Bahn gehören schließlich meist selbst zu börsennotierten Unternehmen. Sogar der rot-rote Berliner Senat möchte seine S-Bahn lieber von ihnen betreiben lassen. Indirekt werden die Privatbahnen im Buch auch durchaus gelobt. Lokführer bekämen bei ihnen sogar mehr Geld. Warum wollen die Autoren sie also im Kampf um besseren Service für weniger Steuergeld gegen eine staatliche Großbahn antreten lassen? Und was wird aus der weltweiten Logistik und der Güterbahn der DB, die mehr als die Hälfte des Umsatzes machen? Bei der Antwort auf diese Kernfragen entgleisen die Autoren.
So ist dieses Buch eine durchaus seriös zusammengetragene Sammlung der größeren und kleineren Katastrophen bei der Deutschen Bahn. Warum sie so ist, wie sie ist, was die Verkehrspolitik mit unserem Staats-Unternehmen machen könnte, wie eine bessere Bahn aussähe – das bleibt weitgehend offen. So ist dies am Ende ein unpolitisches Buch.
Christian Esser/Astrid Randerath: "Schwarzbuch Deutsche Bahn", C. Bertelsmann Verlag, 304 Seiten, 19,95 Euro (ISBN: 978-3-570-10036-3)
Fünf Millionen Kunden täglich sind nicht nur eine Menge potenzieller Leser des Werks, sie sind auch Experten für ein Massentransportmittel und dessen Probleme mit dem Service – und da setzt dieses Buch an:
Es scheint, als würde die Bahn viel Arbeit und Zeit investieren, um sich ihre Kunden vom Hals zu halten, sofern sie Anregungen, Fragen, Beschwerden oder besondere Bedürfnisse haben. Als Monopolist kann sie sich das leider erlauben. Ein kleines Unternehmen, das auch nur ansatzweise so mit seinen Klienten umspringen würde, wäre binnnen weniger Wochen pleite.
Und so kommen reihenweise Bahnkunden zu Wort, mit denen man richtig schön mitleiden kann: Fahrradfahrer, Behinderte oder auch der Erste-Klasse-Fahrer. "Höllenmaschine Ticketautomat", "Wie die Bahn uns zu Schwarzfahrer macht" oder schlicht das "Servicechaos bei der Bahn", heißen die Kapitel. Auch wenn ein paar Seiten weniger davon nicht geschadet hätten: Das ist detailreich, bunt und präzise aufgeschrieben.
Nun würde der Leser gern wissen, warum das alles so ist. Schließlich sind die Gründe ebenso vielschichtig wie die Schilderungen der Passagiere: Technische Defekte, Selbstmörder auf den Gleisen oder einfach übel gelaunte Schaffner. Hier und da wird aber nur ein Zwischenhalt bei den üblichen Verdächtigen wie Sparkurs, Personalabbau und Renditehunger gemacht. Und beim Stichwort Börsengang.
Weiter geht's mit ganz anderen Themen: Der Hochgeschwindigkeits-Wahn der Bahn oder Schlamperei bei Bauarbeiten. Dann kommt auch schon der Feldzug von Ex-Bahnchef Mehdorn gegen die Ausstellung "Zug der Erinnerung" dran, in der das Leid jüdischer Kinder auf der Fahrt mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager geschildert wird. Der Anschlusszug jagt den Leser dann wieder mit Hochgeschwindigkeit in die Zukunft zum Projekt des Stuttgarter Hauptbahnhofs.
Jedes Kapitel beleuchtet meist weitgehend korrekt und anschaulich, was bei der Bahn schiefläuft. Im Nebel bleibt aber ein roter Faden, der die Geschichte zusammenhalten könnte. Klar erkennbar scheint für die Autoren nur, wer an allem keine Schuld trägt:
Es sind die rund 240.00 Mitarbeiter der Bahn, die jeden Tag im Zug, in den Werkstätten, in den Reisezentren und auf den Bahnhöfen den Kopf für die Entscheidungen des Managements hinhalten, die nicht nur den Ärger und Spott der Kunden abkriegen, sondern die zunehmend auch körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und teilweise bis zur totalen Erschöpfung schuften – für ein Gehalt, für das das Bahnmanagment wohl morgens nicht aus dem Bett steigen würde.
Eine solche Generalamnestie für Eisenbahner, in Deutschland fast alle mit Arbeitsplatzgarantie, klingt dann doch stark, wie von der Gewerkschaft diktiert. Beim Kampf des Schaffners etwa gegen den Schwarzfahrer denkt man an die ersten Kapitel des Buches zurück. Vielleicht hat eben dieser Passagier dort bereits sein Leid ausgebreitet, wie ihn der Ticketautomat zum Schwarzfahrer machte oder der mufflige Verkäufer falsch informierte. Und wenn ein Mitarbeiter klagt, er müsse auch noch die Kunden am Platz bedienen – so kann die Servicewüste so trocken nicht sein.
Dennoch sind die Schilderungen des Zugchefs nach einem Selbstmord auf der Schiene oder der Schaffnerin im Kampf gegen Fußballrowdies auf nächtlicher Heimfahrt, die eindrucksvollsten des Buches. Sympathisch altmodisch klingt auch der Kundenberater in einem der verbliebenen Reisezentren, der unter Druck steht, seinen Kunden vor allem 1. Klasse Tickets anzudrehen.
Unklar aber, warum die Autoren immer wieder selbst mit seufzen:
Ach, die gute alte Zeit! Da fuhr man von A nach B, stieg in den Zug, und alles war gut. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen Bahnkunden von großer Nostalgie heimgesucht werden.
Ironie und Sarkasmus: Stilistische Marotten, die den Text an vielen Stellen unnötig befrachten, da Fakten und Betroffene selbst deutlich genug sind. Es wäre hier aber Gelegenheit auch einmal einen ernsthaften Blick zurück in diese "gute alte Zeit" zu werfen. Dass sich die Bundesbahn ändern musste, da sie mit völlig veralteten Zügen immer größere Milliardenverluste einfuhr und Schalterbeamte hinter dickem Glas Dienst nach Vorschrift machten – darüber herrschte vor 20 Jahren Einigkeit. Und dass bei der Bahn, vor allem nach Zusammenlegung mit der DDR-Reichsbahn, Hunderttausende Mitarbeiter zu viel an Bord waren, hätte auch erwähnt werden können – ohne den Status Quo damit zu beschönigen. Dafür müssten sich die ZDF-Journalisten mit den politischen Hintergründen und Planungen auseinandersetzen. Das machen die Autoren - außer dem Nein zu einer Privatisierung - höchstens ansatzweise. Etwa, wenn sie für eine Herauslösung des Schienennetzes aus dem Konzern plädieren:
Der Bund könnte dann selbst bestimmen, ob er lieber in Hochgeschwindigkeitstrassen oder in ein flächendeckendes, dafür vielleicht nicht ganz so schnelles Netzangebot investiert. Er könnte über die Trassenvergabe für richtigen Wettbewerb auf der Schiene sorgen, und er könnte Bahnhöfe wieder zu dem machen, was sie sein sollten: Visitenkarte der Städte, Eintrittstore zum Schienennetz.
Fairer Wettbewerb gut, Privatisierung schlecht – das verträgt sich nicht: Die Konkurrenten der Deutschen Bahn gehören schließlich meist selbst zu börsennotierten Unternehmen. Sogar der rot-rote Berliner Senat möchte seine S-Bahn lieber von ihnen betreiben lassen. Indirekt werden die Privatbahnen im Buch auch durchaus gelobt. Lokführer bekämen bei ihnen sogar mehr Geld. Warum wollen die Autoren sie also im Kampf um besseren Service für weniger Steuergeld gegen eine staatliche Großbahn antreten lassen? Und was wird aus der weltweiten Logistik und der Güterbahn der DB, die mehr als die Hälfte des Umsatzes machen? Bei der Antwort auf diese Kernfragen entgleisen die Autoren.
So ist dieses Buch eine durchaus seriös zusammengetragene Sammlung der größeren und kleineren Katastrophen bei der Deutschen Bahn. Warum sie so ist, wie sie ist, was die Verkehrspolitik mit unserem Staats-Unternehmen machen könnte, wie eine bessere Bahn aussähe – das bleibt weitgehend offen. So ist dies am Ende ein unpolitisches Buch.
Christian Esser/Astrid Randerath: "Schwarzbuch Deutsche Bahn", C. Bertelsmann Verlag, 304 Seiten, 19,95 Euro (ISBN: 978-3-570-10036-3)