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Von EU gefördert
Schlagabtausch wegen "Islamophobie-Bericht"

Seit Wochen wird mit harten Bandagen gekämpft. Wissenschaftler, liberale Muslime und Islamkritiker fühlen sich denunziert - und zwar in einem "Islamophobie-Report", gefördert von Brüssel. In einem Offenen Brief wandten sie sich an die EU-Kommission - und warten auf Antwort.

Von Rebecca Hillauer | 21.01.2020
Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
Die EU steht in der Kritik (dpa / Daniel Kalker)
"Meine Kollegin Nina Scholz und ich haben die Machart dieses Reports schon in den letzten Jahren immer kritisiert. Aber dieses Jahr ist es uns dann aufgestoßen, dass ein EU-Topf diesen Report mit fast 127.000 Euro gefördert hat. Darin haben wir eine Zweckentfremdung auch von EU-Steuergeldern gesehen und dann die anderen Betroffenen, die in dem Report genannt werden, kontaktiert und gemeinsam beschlossen, dass wir mit einem Offenen Brief an die EU-Kommission drauf reagieren wollen."
So erklärt der Historiker Heiko Heinisch aus Wien die Entstehung des Offenen Briefs, den er und ein Dutzend anderer Wissenschaftler und Buchautoren Mitte Dezember an Kommissionschefin Ursula von der Leyen richteten. Sie kritisieren darin den jüngsten Europäischen Islamophobie-Bericht aufs Heftigste:
"Im Bericht steht, wir sind Islamophobe. Wir empfinden das als Denunziation, weil wir damit quasi gebrandmarkt werden als islamfeindlich. Und wir haben das Gefühl, dass sich das vor allem als Instrument entpuppt, berechtigte Islamkritik zu unterbinden und jede Islamkritik so darzustellen, als wäre es eine Islamfeindlichkeit. Dass Kritiker eingeschüchtert werden, damit sie schweigen."
Sagt die Schweizer Islamexpertin Saïda Keller-Messahli, die im Österreich-Teil des Berichts erwähnt wird, weil sie für den staatlichen Österreichischen Integrationsfonds einen Essay über den "Islam auf dem Balkan" geschrieben hat, den ihre Kritiker als "böse Propaganda" bezeichnen. So wie sie fühlen sich auch deutsche Islam-Expertinnen und Autoren diskreditiert und haben den Offenen Brief unterzeichnet: etwa der Reformtheologe Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, die Ethnologie-Professorin Susanne Schröter oder die Anwältin und Moschee-Gründerin Seyran Ates. Und auch der Psychologe Ahmad Mansour:
Porträtfoto von Saïda Keller-Messahli
Saïda Keller-Messahli (Annick Ramp / NZZ)
"Was mir Bauchschmerzen macht: dass eine gewisse Streitkultur durch solche Reports verhindert wird. Indem er sagt: Die Beschäftigung mit diesen Themen ist rassistisch. Und dann frage ich mich, wie soll dann eine Gesellschaft sich mit dem Thema auseinandersetzen?"
"Schmieren-Kampagne bestimmter Zirkel"
Die Herausgeber des Islamophobie-Berichts werfen ihren Kritikern im Gegenzug das gleiche vor, nämlich eine Debatte verhindern zu wollen. Auf ihrer Projektwebseite schreiben sie von einer "Schmieren-Kampagne bestimmter Zirkel". Statt sich mit den Inhalten des Islamophobie-Berichts auseinanderzusetzen, werde der Bericht pauschal verurteilt, um vom "anti-muslimischen Rassismus" abzulenken. In einer Replik in der Österreichischen Tageszeitung "Der Standard" wird Farid Hafez, der an der Universität Salzburg forscht und lehrt, deutlich:
"Das Problem mit der Verwendung des Begriffs des politischen Islams durch die UnterzeichnerInnen liegt eher darin, dass sie diesen verwenden, um MuslimInnen zu kriminalisieren."
Und einige Zeilen weiter:
"Einmal werden andere als sie finanziert, sehen sie die Meinungsfreiheit in Gefahr. Dahinter steht ein Verständnis von Meinungsfreiheit, das nur ihre Meinung schützt."
Farid Hafez hat den Länderteil Österreich im Islamophobie-Bericht selbst geschrieben. Darin zählt er Ereignisse auf, ohne im Detail zu begründen, worin die unterstellte Islamophobie besteht. So seien in Österreich, wo das Burka-Tragen seit 2017 verboten ist, im Jahr 2018 weitere islamophobe Gesetze erlassen worden, schreibt er: das Kopftuchverbot in Kindergärten etwa - oder die Schließung von Moscheen als Maßnahme gegen den "politischen Islam". Zudem sei ein Fasten-Verbot in Schulen gefordert worden. Auf den Vorwurf, der Bericht entspreche nicht wissenschaftlichen Kriterien, entgegnet Hafez im "Standard", dass es sich um ein "Policy Paper" handele, ein Strategiepapier. Darauf Heiko Heinisch:
"Auch ein 'Policy Paper', also eben doch eigentlich eine Studie, die an politische Entscheidungsträger weitergeleitet werden soll, um deren Entscheidungen zu beeinflussen, sollte auch wissenschaftlichen Kriterien genügen – vor allem, wenn er von Wissenschaftlern gemacht wurde. Es geht eben genau darum, darauf hinzuwirken, dass Gesetze geschaffen werden gegen den sogenannten 'anti-muslimischen Rassismus', in diesem Diskursfeld Macht zu generieren und sich die gesetzlich untermauern zu lassen."
"Das ist dieser Trend vom alten weißen Mann"
Die Herausgeber des Berichts verwenden den Begriff des "anti-muslimischen Rassismus" als Synonym für Islamophobie. Die Unterzeichnenden des Offenen Briefs stellen den Begriff "Islamophobie" grundsätzlich in Frage. Es gebe keine wissenschaftliche Definition. Eine Phobie sei eine krankhaft übertriebene Angst und könne nicht auf Religionskritik übertragen werden.
Saïda Keller-Messahli: "Ich habe das Gefühl, dass dieser Begriff wie gezüchtet wurde, um ein Gegenüber zu haben zum Begriff 'Antisemitismus'. Was man quasi den Juden angetan hat damals, das tut man heute den Muslimen an. Da wird ganz bewusst etwas, zwei ungleiche Sachen historisch verglichen, um diesen Opferdiskurs zu kultivieren."
Psychologe und Autor Ahmad Mansour während der zentralen Einbürgerungsfeier im Abgeordnetenhaus in Berlin
Ahmad Mansour äußert sich häufig kritisch gegenüber dem Politischen Islam (Imago)
Ahmad Mansour: "Das ist dieser Trend von Postkolonialismus und dem 'alten weißen Mann', der in vielen Universitäten inzwischen schon sehr verbreitet ist: dass die Menschen im Nahen Osten nur Opfer sind. Die können keine Verantwortung übernehmen, sind nicht mündig über ihr Leben. Alles, was ihnen passiert, alle negativen Entwicklungen hat immer mit irgendwelchen westlichen Mächten zu tun - und die Menschen können nichts dafür. Das ist für mich absolut rassistisch. Weil ich nehme diese Menschen nicht ernst."
Die EU verweist auf Ankara
In ihrem Offenen Brief an Ursula von der Leyen weisen die Kritiker auch darauf hin, dass der Bericht unter der Schirmherrschaft der Erdogan-nahen SETA-Stiftung entstanden sei. Sie habe mehrfach Berichte herausgegeben, in denen Journalisten und Aktivisten denunziert worden seien. Macht sich die EU-Kommission also die Position von Islamisten zu eigen?
Eine Sprecherin weist gegenüber dem Deutschlandfunk jegliche Verantwortung für den Inhalt des Berichts zurück. Verantwortlich sei allein der Empfänger der Fördergelder, also das türkische Außenministerium. Wobei sich die Kritiker des Islamophobie-Berichts grundsätzlich fragen, wie es sein konnte, dass die EU Steuergelder vergibt - und eine Nicht-EU-Regierung frei darüber verfügen kann. Zwar hat die Kommission bislang nur diesen einen Islamophobie-Bericht gefördert. Damit hätte sie aber schon großen Schaden angerichtet, meint Heiko Heinisch:
"Wenn man sich den Report - eben das Deckblatt - anguckt, sind dort jetzt die türkische Fahne und die EU-Fahne mit obendrauf. Und das verleiht diesem Report natürlich Legitimität. Wenn es möglich ist, dass so ein Report aus diesen Geldern heraus finanziert wird, das liegt dann schon wieder in der Verantwortung der EU-Kommission."
Und er ist zuversichtlich, dass der Offene Brief an die Kommission Wirkung zeigen wird:
"Wir erwarten eine Antwort. Und wir erwarten auch, dass in den kommenden Jahren Reporte wie dieser nicht mehr mit EU-Mitteln finanziert werden."
Die Herausgeber des Islamophobie-Berichts sind ebenso entschlossen. Auf ihrer Webseite heißt es, sie wollten auch in den kommenden Jahren ihre Berichte veröffentlichen.