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Von "Eulen" und "Lerchen"

Bei immer mehreren Menschen wird der Schlaf- und Wachrhythmus heute durcheinandergebracht - nicht zuletzt beruflich bedingt. Doch Medikamente sind für Schichtdienstler allenfalls bedingt eine Lösung. Sie können abhängig machen.

Von Justin Westhoff | 16.03.2010
    Für die Einen normal, für andere viel zu früh. Es ist keine Einbildung, es gibt sie wirklich, die Tag- und die Nachtmenschen. Wissenschaftler haben poetische Namen dafür: "Lerchen" sind am frühen Morgen fit, "Eulen" kommen erst später in Fahrt. Die ganz persönliche Biouhr wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus, wann jemand besonders leistungsfähig ist etwa, umgekehrt die Unfallgefahr besonders groß ist, zum Beispiel aber auch, wann man Lust auf Sex hat. Allerdings:

    "Circa zwei Drittel aller Menschen sind weder Eule noch Lerche, nur ein Drittel sind entweder Frühaufsteher oder Spätinsbettgeher, das ist relativ wenig."

    Insgesamt aber ist das Leben von naturgegebenen Rhythmen bestimmt, sagt Dr. Ingo Fietze vom Schlafmedizinschen Zentrum der Charité:

    "So wie das Herz im Rhythmus schlägt oder wie wir im Rhythmus atmen, so betrifft das auch die Tätigkeit der Leber oder der Nieren und letztendlich auch den Tagesgang, und diesen letzteren Rhythmus, den langen, den nennen wir circadianen, circa 24-Stunden-Rhythmus, dass wir nämlich am Tage wach sind und leistungsfähig und in der Nacht eben müde sind."

    Fachleute sprechen von Chronobiologie und vermeiden den Ausdruck "Biorhythmus", mit dem allerlei Schindluder getrieben wird. Das "Biowetter" zum Beispiel halten sie schlicht für Blödsinn.

    Unsere Innere Uhr wird im Wesentlichen vom Wechsel zwischen Helligkeit und Dunkel geprägt. Und dieser natürliche Ablauf ist in der Industriegesellschaft durcheinander geraten.

    "Weil wir halt in den heutigen Zeiten immer mehr versucht werden, unseren eigenen Körperrhythmus in einen nicht normalen Licht-Dunkelrhythmus zu zwängen, aktiv diesen Schlaf-Wach-Rhythmus aus der Bahn zu werfen."

    Gelegentliche Rhythmuswechsel machen noch nicht gleich krank, sagt Schlafmediziner Fietze:

    "Wir wissen ja heute alle vom Jetlag, dass ich kurzfristig mich auf eine neue Umgebung einstellen kann, und es gibt so die Faustformel, eine Stunde Zeitverschiebung macht einen Tag Gewöhnung an den neuen Rhythmus."

    Deutlich schlechter aber sieht es in der Arbeitswelt aus.

    "Weil Schichtarbeiter ja alle zwei, drei Tage den Rhythmus wechseln. Und deswegen gehen wir davon aus, dass die gesundheitlichen Schäden bei Schichtarbeitern zunehmen werden, vier Prozent aller Schichtarbeiter bekommen im Moment ein sogenanntes Schichtarbeiter-Syndrom. Das heißt, der Körper reagiert halt mit Schlafstörungen, mit Herz-Kreislauf-Problemen oder Magen-Darm-Problemen."

    Tag und Nacht, morgens oder abends – die Zeitschaltung der Körperfunktionen kann auch bei der Einnahme von Medikamenten wichtig sein. Mit solchen Fragen befasst sich die Chronopharmakologie. Zwar ist es gerade für chronisch Kranke am leichtesten, ihre Pillen nur einmal am Tag, am besten nach dem Aufstehen einnehmen zu müssen. Es gibt aber viele Ausnahmen davon, etwa bei Mitteln zur Senkung der Blutfettwerte.

    "Das hat was zu tun mit der Cholesterinsynthese im Körper, der Verstoffwechselung in der Leber, und dann findet das hauptsächlich in der Nacht statt, so dass der Effekt des Medikamentes stärker ist, wenn ich das Medikament abends einnehme im Vergleich zur morgendlichen Einnahme."

    So der Rat von Professor Reinhold Kreutz, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie an der Charité. Umgekehrt sollte ein Diuretikum gegen Bluthochdruck, also ein harntreibendes Mittel, selbstverständlich nicht abends eingenommen werden. Überhaupt schwankt der Blutdruck im Tagesrhythmus erheblich, nachts sinkt er normalerweise.

    "Jetzt gibt es aber Patienten, wo der Blutdruck nachts vielleicht sogar ansteigt, Patienten, die eine schwere Hypertonie haben, oder Organerkrankungen, dann würde man Medikamente abends einnehmen, oder morgens und abends."

    Oft müssen Ärzte und Patienten gemeinsam herausfinden, was wann am besten hilft. Rheumatikern etwa wird mitunter geraten, ihre Mittel abends einzunehmen, um den morgendlichen Gelenkschmerzen vorzubeugen. Auch die Nebenwirkungen können – wegen der beschleunigten Stoffwechselprozesse – nachts geringer ausfallen. Meist aber – so Reinhold Kreutz – sollten diese Medikamente nach einem festen Plan über den ganzen Tag verteilt werden.

    "Um halt zu vermeiden, dass die Wirkspiegel der Schmerzmittel absinken können und damit Schmerzen wieder auftreten."

    Ganz ähnlich sieht es bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen mit Antibiotika aus. Was aber generell tun, wenn der biologische Rhythmus durcheinander gerät, wie es eben besonders im Schichtdienst der Fall ist? Wer tagsüber schlafen muss, sollte möglichst für Ruhe sorgen und vor allem das Zimmer verdunkeln, um dem Körper wenigstens die Illusion zu geben, es sei Nacht. Synthetische Schlafmittel sind hierfür auf Dauer schon wegen ihres Abhängigkeitspotenzials nicht geeignet. Gegebenenfalls helfen aber pflanzliche Präparate, sagt der Schlafmediziner Ingo Fietze.

    "Baldrian, Hopfen, Melisse, oder aber eine Steigerung wäre Tryptophan, ein körpereigenes Eiweiß, was den Schlaf fördert, und als letztes, wenn man nicht nur den Schlaf fördern will, sondern auch den Schlafzeitpunkt, dann macht gelegentlich auch die Einnahme von Melatonin Sinn."

    Diesen Stoff schlucken viele Menschen, die nach Überseeflügen die Zeitverschiebung, ihren Jetlag schneller überwinden wollen. Gegen eine kurzzeitige Anwendung spricht wenig.

    "Wovor wir aber warnen ist, dass in den amerikanischen Ländern freiverkäufliche Melatonin regelmäßig zu nutzen. Langzeiteinnahme ist eher mit Nebenwirkungen behaftet, und das gibt es auch in Deutschland mittlerweile, ist aber auch nur für die Kurzzeitanwendung zugelassen und deswegen auch nur ein Präparat, was man gelegentlich einnehmen kann."

    Um sich im Schichtdienst nachts wach zu halten, ist es besonders wichtig, dass der Arbeitsplatz hell beleuchtet ist. Für jene Menschen, die besonders stark am Schichtarbeiter-Syndrom leiden, ist ein Arzneimittel namens "Modafinil" zugelassen. Es wirkt ausschließlich im Zentralen Nervensystem und hat deswegen sogar weniger unerwünschte Wirkungen als andere "Wachmacher", einschließlich übermäßiger Kaffeegenuss.

    "Deswegen haben wir als Mediziner auch keine Scheu, bei Bedarf tatsächlich so ein Medikament zu verordnen, aber das machen wir in der Regel nur bei den wirklich Betroffenen, die eine Behandlung benötigen, ansonsten versucht man schon mit Verhaltensregeln die Folgen zu minimieren."

    Und das ist extrem wichtig. Denn wer auf Dauer gegen die innere Uhr lebt oder leben muss, kann davon krank werden. Zur "Zeithygiene" gehört es auch, der inneren Uhr zu gehorchen, wann immer dies möglich ist. Zu früh aufzustehen hat zumindest für "Eulen" Nachteile, so dass einige Mediziner zum Beispiel fordern, den Schulunterricht eine Stunde später als bei uns üblich zu beginnen. Und sie plädieren für den Kurzschlaf zur Mittagszeit, auch am Arbeitsplatz, um aus dem ganz normalen Leistungstief des Tages etwas Fruchtbares zu machen.