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Von Fall zu Fall

Informationstechnologie. - Der Wettkampf zwischen Mensch und Maschine ist in vielen Disziplinen noch weitgehend offen. Wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen, dann fehlt Computern vor allem eines: Erfahrung. Informatiker entwickeln jedoch Systeme, die Erfahrungen sammeln und nutzen können sollen.

Von Thomas Reintjes | 03.09.2008
    Informatiker haben es oft schwer, der Welt zu erklären, was sie eigentlich tun. Die Informatiker, die sich in dieser Woche in Trier treffen, beschäftigen sich mit "Fallbasiertem Schließen". Weil das furchtbar abstrakt klingt, hat sich Mirjam Minor von der Universität Trier etwas ausgedacht. Sie rief zu einem Kochwettbewerb für Computer auf. Computer sollen dabei anhand eines Datensatzes - Blumenkohl, Seelachs, Kartoffeln - ein passendes Rezept finden. Wie ein Koch sollen sie improvisieren können und erkennen: Brokkoli ist ähnlich wie Blumenkohl; ein Rezept mit Brokkoli, Seelachs und Kartoffeln wäre also genauso passend, wenn man den Brokkoli gegen Blumenkohl austauscht. Mirjam Minor:

    " Da gab es mal einige Ansätze schon in der Theorie, aber so richtig in die Praxis gebracht wurde diese Anpassung, diese Adaption, eigentlich noch nicht. Und da eignet sich gerade dieses Feld des Kochens mit diesen klar abgegrenzten Zutaten gut, um da mal neue Verfahren auszuprobieren. Und da sind auch wirklich neue Sachen erfunden worden. Wie man durch Bäume von Begriffen navigieren kann, zum Beispiel, um dann rauszufinden, wie man ein Gemüse am besten durch ein anderes, ähnliches ersetzt. "

    Erfahrungen nutzen und Ähnlichkeiten erkennen - darum geht es beim Fallbasierten Schließen. Das Koch-Projekt ist weitgehend Spielerei, für den ernsthaften Einsatz konzentrieren sich die Informatiker vor allem auf den medizinischen Sektor. Wirtschaftsinformatiker Ralph Bergmann, Organisator der Konferenz in Trier:

    " Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie haben ein medizinisches Problem. Und genau wie der Arzt eben in der Lage ist, aus der früheren Erfahrung der Behandlung von Patienten zu lernen, sind heute eben auch Computerprogramme in der Lage, Erfahrungen zu machen, diese zu speichern und eben auch komplexe Situationen als gleichartig wiederzuerkennen und beispielsweise Therapievorschläge von einem früheren Patienten für eine neue Situation zu übertragen und anzupassen. "

    Im Prinzip arbeitet die Software dabei genau wie der Arzt - sie kann jedoch über die Masse an Erfahrungen punkten, die sie auswerten kann. Der Ansatz unterscheidet sich dabei grundsätzlich von der heute verbreiteten Statistik, erklärt Isabelle Bichindaritz von der Universität von Washington.

    " Mit Statistik fasst man Daten zusammen, arbeitet Trends heraus oder erstellt charakteristische Profile einer Krankheit. Es wird generalisiert. Aber beim Fallbasierten Schließen konzentrieren wir uns auf das einzelne Datum, einzelne Datenpunkte. Jeder einzelne Patient bleibt erhalten und wir suchen nach Ähnlichkeiten. Statistik und Fallbasiertes Schließen ergänzen sich sehr gut und werden in Zukunft gemeinsam genutzt werden. "

    Statistik kann etwa durchschnittliches Krankheitsbild liefern und die typischen Symptome aufzeigen. Wenn es aber darum geht, einen Patienten individuell auf ein Medikament einzustellen - beispielsweise Insulin - hilft ein Durchschnittswert kaum weiter. Stattdessen kann ein Computer ähnliche Patienten im Archiv suchen und dem Arzt auf dieser Basis eine Dosierung vorschlagen. In Trier vorgestellt wurden ein Programm zur Erstellung einer Leukämie-Prognose und ein System, das einen Trainingsplan für Biofeedback zum Stressabbau erstellt. Vieles war aber reine Theorie, denn die Forscher haben ein Problem: Ihnen fehlen die Daten, mit denen sie ihre Programme füttern können.

    " Krankenhäuser und Ärzte geben ihre Daten nicht gerne heraus. Das verhindert manchmal, dass wir Testläufe in großem Maßstab machen können. Ich denke, Patientendaten gehören den Patienten und niemandem sonst. Aber meiner Erfahrung nach haben Patienten gar nichts dagegen, wenn man sie fragt, mit ihren Daten zum Fortschritt der Wissenschaft beizutragen. Man sollte also nicht übervorsichtig sein. "

    Die Einführung elektronischer Gesundheitsakten sehen einige Wissenschaftler als große Chance. Wenn Patienten ihre Daten online verwalten, könnte das die Nutzung für die Forschung vereinfachen.