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Von Geist und Bewusstsein

Daniel C. Dennett widmet sich in "Süße Träume" der "Erforschung des Bewusstseins und dem Schlaf der Philosophie". Die lose Aufsatzsammlung schlägt zwar treffsicher und ironisch auf "Süße Träume" beim Schlaf der Vernunft ein, weicht aber anderen Fragen aus.

Von Eike Gebhardt | 18.10.2007
    Letzte Fragen sind wieder in, das Feuilleton bezeugt es, und das alte Aufklärungsthema "Selbststimmung oder Fremdbestimmung" ist längst kein Tabu mehr auf den Cocktailparties der Spaßkultur, es spukt in den Hirnen der Hirnforscher und lässt große Opernhäuser zweifeln, ob sie diese Frage künstlerisch verbrämt stellen dürfen oder ob sie damit religiöse Gefühle verletzen.

    Erkenntnistheoretisch ungeschulte Neurologen orten unsere Bestimmung neuerdings in Hirnstrukturen. Schließlich reagieren diese bei einfachen Reizen oft, bevor uns die eigene Reaktion bewusst wird. Jenseits jedoch von Göttern und Neuronen: Bleibt da ein eigenständiges Bewusstsein, das uns jenes ureigene Erleben einer äußeren Welt beschert, das über die sachlich feststellbaren Eigenschaften dieser Welt hinausreicht zu jenen, die eine Philosophen-Schule "phänomenale Qualitäten" beziehungsweise "Qualia" nennt? Man sollte es nicht glauben: Um dieses Thema tobt ein neuer Dschihad in den Wissenschaften, win veritabler Glaubenskrieg.

    Und einer ihrer Feldherren ist Daniel Dennett. Der Neurophilosoph lehrt an einem der Tempel der neuen Aufklärung, dem legendären Zentrum für Kognitionsstudien in Stanford. Hier glaubt man zwar nicht an einen neuronalen Determinismus, wohl aber, dass sich Geist, Bewusstsein und ähnlich nebulöse Begriffe schon heute weithin aus der Funktionsweise des Gehirns erklären lassen, wo noch nicht, da sei keineswegs ein essenzieller Rest zu unterstellen, den es gegen den Zugriff Wissenschaft zu verteidigen gelte, die mit ihren kalten Kategorien den Reichtum menschlicher Erfahrungen doch nicht erschöpfe. Dieser "größere Reichtum" sei ja gerade nachzuweisen statt einfach vorauszusetzen, fordert Dennett. Aber wo immer er ihm nachspürte, habe sich dieser angebliche Reichtum als Heißluftballon, als Hochstapelei herausgestellt. Er sei nirgendwo dingfest zu machen.

    1991 veröffentlichte Dennett ein Buch, das heute als erstes Manifest dieser neuen Aufklärung gilt: "Die Erklärung des Bewusstseins" hieß es so schlicht wie anspruchsvoll. Nicht zufrieden, das angeblich autarke Bewusstsein zugunsten einer Funktionsbeschreibung des Gehirns genüsslich zu zerpflücken - gerade so wie die Aufklärer Argumente für die Existenz Gottes demontierten -, bestreitet Dennett auch gleich die Existenz jener angeblich unmittelbarer, also nicht durch den Verstand vermittelter Erlebnisformen. Der alte Authentizitätswahn?

    Alles "selbstgezüchtete Intuitionen" veränderungsresistenter Kulturkonservativer, spottet Dennett, die sie überdies für das Eigentliche am menschlichen Bewusstsein halten, auch wenn sie es eben nur negativ erklären können als das, was nach dem rationalen Zugang eben übrig bleibe, seufzt Dennett über so viel quasi-religiöse Glaubensbereitschaft.

    "In genau welchem Ausmaß muss ein Aspekt 'introspektiv zugänglich' sein, um als Quale [Einzahl von Qualia] zu zählen?", fragt Dennett scheinheilig. "Welche Aspekte unserer Wahrnehmung und unseres Erlebens sind die "phänomenalen Aspekte" und welche nicht? Ist beispielsweise der Genuss, mit dem wir ein gutes Essen einnehmen, selbst ein phänomenaler Aspekt dieses Erlebnisses, oder ist er ein Effekt von oder eine Reaktion auf einen phänomenalen Aspekt, sagen wir einmal der Köstlichkeit? Wenn der Genuss auf irgendeine Weise abstumpfte, läge die Köstlichkeit dann weiterhin vor und würde nur leider nicht gewürdigt? Kann es Schmerzen geben, die man nicht empfindet, und wenn ja, haben sie - oder sind sie - Qualia, oder sind diese Schmerzen nur die gewöhnlichen Ursachen von Qualia?

    Aber um nicht in solchen Haarspaltereien zu versacken, haben die Kontrahenten sich auf Farbe geeinigt, schon weil es da ein berühmtes Gedanken-Experiment gibt: eine Neurowissenschaftlerin namens Mary, die in einem Schwarz-Weiß-Raum lebt, aber sämtliches Wissen über Farben zur Verfügung hat, einschließlich der Erlebnisberichte der Menschen draußen in der Farbenwelt. Könnte etwas sie überraschen, wenn sie plötzlich Farben sähe? Würde sie etwas Neues sehen oder gar erleben, das ihr Hirn noch nicht kannte? Schließlich hat sie alle Farb-Assoziationen, die Menschen je zu Protokoll gegeben haben, gleichfalls gespeichert. Die Frage erinnert an Schillers Gedankenexperiment: Wie würden wir reagieren, wenn wir eine perfekt nachgebaute Nachtigall hörten, deren Klang nicht von der Natur zu unterscheiden wäre? Und dann erfahren wir, es war nur eine mechanische Nachtigall.

    Warum "nur"? Hatten wir nun den Klang als schön empfunden oder das Paket kultureller Assoziationen, all die Poesie und Kosmologie, die wir mit dem Begriff "Natur" verbinden? Schließlich wissen wir, dass manche Menschen die Atmosphäre eines Restaurants mehr genießen als das Essen, genauer: Sie genießen das Essen wegen der Atmosphäre unabhängig von der Qualität der Speisen. Womit wir wieder bei Dennetts Beispiel wären.

    Er leugnet ja nicht etwa die Eigendynamik menschlichen Bewusstseins, sondern nur sein cartesianisches Getto: "Wir Wesen mit Bewusstsein besitzen Fähigkeiten, die den einfacheren Akteuren fehlen. Wir nehmen Dinge nicht nur wahr und reagieren auf sie, wir nehmen wahr, dass wir Dinge wahrnehmen."

    Doch das, so Dennett, sei eine Frage der Komplexität und kein Beweis einer eigenständigen Agentur. Auf dieser höheren Wahrnehmungsstufe können wir wiederum untergeordnete Vorgänge unseres Hirns beurteilen und steuern, so dass wir durchaus so etwas wie Wahl- und Willensfreiheit beanspruchen dürften: Diese "diskriminativen ... besitzen die Kraft, in uns Präferenzen hervorzurufen. Wenn wir zwischen verschiedenen Zuständen wählen können, verhalten wir uns nicht gleichgültig, aber diese Präferenzen sind ihrerseits subtil, variabel und stark von anderen Bedingungen abhängig. ... Es ist uns wichtig, in welchen Zuständen wir uns befinden. Und dass uns das wichtig ist, spiegelt sich in unseren Dispositionen wider, Zustände zu verändern."

    Die kulturhistorische Fragen, die er damit aufwirft, interessieren Dennett nicht weiter - jene Fragen, die für ähnlich kompromisslose Aufklärer wie zum Beispiel Nietzsche - auch lebenspraktisch - die wichtigsten waren: Nicht was Menschen glauben, sondern warum sie dies oder das meinen glauben zu müssen sei die zentrale Frage einer epistemologischen Anthropologie. Woher also kommt zum Beispiel das Gefühl, dass in uns ein wahres, wesentliches, eigentlich Ich stecke, dass sich etwas bewusst mache, etwas empfinde, ahne, erkenne, wünsche, beabsichtige und vor allem das Gefühl der Einmaligkeit seiner Erlebniswelt entwickelt? Dennetts Erklärung, es handle sich hier um ein Glaubensbekenntnis, ist ebensolche petitio principii, wie er sie bei seinen Gegnern so gerne aufspießt. Warum dieser und kein anderer Glaube?

    Denn gerade wenn solche "selbstgezüchteten Intuitionen" ein Eigenleben entfalten, ist es ein Rätsel, wie sie sich vom Rest des Hirns, vor allem von den übergeordneten Wachhunden der Vernunft, derart wirksam abkoppeln können, dass viele Spitzenwissenschaftler eine geradezu naive Religiosität beibehalten konnten - Einstein war nur das bekannteste Beispiel.

    Die lose Aufsatzsammlung schlägt zwar treffsicher und ironisch auf jene "Süßen Träume" beim Schlaf der Vernunft ein, weicht aber solchen Fragen aus. Schade, denn gerade ihre Funktion zu benennen würde womöglich mehr zur Aufklärung beitragen als Dennetts tapferer Ikonoklasmus.


    Daniel C. Dennett: Süße Träume - Die Erforschung des Bewusstseins und der Schlaf der Philosophie
    Suhrkamp, 216 Seiten, 24,80 Euro