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Von Gerechtigkeit keine Spur

Den russischen Behörden wurde lange vorgeworfen, die Aufklärung des Mordes an Anna Politkowskaja zu verschleppen. Dass nun zumindest ein Beteiligter verurteilt wurde, ist auch den Recherchen und der Hartnäckigkeit der Zeitung "Novaja Gazeta" zu verdanken. Mit dem Urteilsspruch wollen sich ihre Kollegen aber nicht zufriedengeben.

Von Thomas Franke | 15.12.2012
    Dmitri Pawlutschenkow wurde gestern wegen Beihilfe zum Mord zu elf Jahren Haft verurteilt. Der Polizist hatte die Überwachung Anna Politkowskajas vor ihrer Ermordung 2006 organisiert. Und er hatte den Killern, mutmaßlich drei Brüdern, die Waffe besorgt.
    Daran, dass es überhaupt zu der Verurteilung kam, hatten die Journalisten der "Nowaja Gazeta" wesentlichen Anteil. Über Jahre hat ihrer Rechercheabteilung gemeinsam mit den Ermittlern in dem Mord an der Kollegin recherchiert. Chefredakteur Dmitri Muratow:

    "Im Ergebnis dieser sehr langen Arbeit konnten wir neue Zeugen finden. Und erst deren Aussagen haben dazu geführt, dass Pawlutschenkow nicht mehr als Zeuge, sondern als Organisator des Verbrechens betrachtet wurde. Wir haben die Zeugen und die Beweise dafür gefunden."

    Und die Anwältin der Kläger, Anna Stawitzkaja, erläutert:

    "Die Recherchen der Nowaja Gazeta haben aufgezeigt, was in dem früheren Prozess gar nicht vorkam: dass es einen zweiten Beobachterring um Anna Politkowskaja gab. Und diesen zweiten Ring hat Herr Pawlutschenkow organisiert. Die Nowaja Gazeta hat gezeigt: Bei uns helfen Polizisten für Geld Killern, ein Verbrechen in Ruhe ausüben zu können."

    Das Gericht blieb mit elf Jahren Haft nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von zwölf Jahren, dennoch waren die Redakteure der "Nowaja Gazeta" gestern unzufrieden. Der Grund: Noch immer sei der Auftraggeber des Mordes an Anna Politkowskaja unbekannt.

    Chefredakteur Dmitri Muratow:

    "Es ist offensichtlich ein politisches Tabu, den Auftraggeber zu ermitteln. Wir sind aber erst dann zufrieden, wenn der Auftraggeber die Strafe bekommt, die er verdient."

    Pawlutschenkow hatte während des Prozesses zwar Namen genannt, jedoch, wie Muratow vermutet, nicht die richtigen. Er nannte Boris Beresowski, einen Oligarchen mit Wohnsitz in London und einer der Putingegner, und er nannte Achmet Sakajew, Premierminister der tschetschenischen Exilregierung, ebenfalls mit Wohnsitz in London. Auch er einer der Lieblingsfeinde Putins. Die Angehörigen Politkowskajas und die Zeitung haben angekündigt, das Urteil anzufechten. Anna Stawitzkaja, die Anwältin:

    "Wir gehen davon aus, dass Pawlutschenkow seine Rolle in dem Verbrechen geschmälert hat. Wir denken, er hat eine viel größere Rolle gespielt, als er den Ermittlern gesagt hat. Außerdem hat er sich nicht an die Absprachen gehalten. Die mutmaßlichen Auftraggeber, die er genannt hat, sind politische Feinde des Systems. Wir gehen davon aus, dass Pawlutschenkow den wahren Auftraggeber kennt und den Namen nennen muss, den wirklichen Auftraggeber, und nicht Beresowski und Zakajew. Beresowski ist ja bei uns bekanntermaßen sowieso an allem Schuld, was in Russland passiert."

    In Russland regiert eine Clique von Geheimdienstlern mit Unterstützung der Kirche und einiger Milliardäre. Kritische Presse kommt da ungelegen. In den vergangenen Jahren sind die Morde an Journalisten weniger geworden als noch in den 90er-Jahren. Doch Anfang Dezember wurde erneut ein Journalist ermordet, im russischen Nordkaukasus.

    Seine Killer richteten ihn regelrecht hin. Wer hinter den Morden an Journalisten steckt, blieb meist unklar. Und nach Ansicht der "Nowaja Gazeta" deutet alles darauf hin, dass das auch im Fall Politkowskaja so bleibt.

    Sergej Sokolow hat die Recherchen der Zeitung zum Mord an den Kollegen geleitet. Er befürchtet, dass die Ermittler nach dem gestrigen Urteil gegen Pawlutschenkow einen Schlusspunkt unter die Suche nach dem wahren Auftraggeber setzen.

    "Mir scheint, die Behörden bemühen sich nicht besonders, die Sache vollständig aufzuklären. Und daraus kann man schließen, dass der Auftraggeber vermutlich kein ganz normaler Bürger ist."

    Doch Sokolow und seine Kollegen sind hartnäckig. Sie werden nicht locker lassen und wollen ihre Recherchen fortsetzen.