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Von Glasnost ist keine Rede mehr

Die Machtübernahme Gorbatschows Mitte der 80er war auch für Journalisten ein großer Umbruch. Die Politik von Perestroika und Glasnost brachten Pressefreiheit in die Sowjetunion, von der die Medien regen Gebrauch machten. Eines der wichtigsten Themen damals: Die Aufarbeitung der 70jährigen sowjetischen Vergangenheit. Dieses Thema existiert heute überhaupt nicht mehr in den russischen Medien. Auch von "Glasnost", zu deutsch: Offenheit, ist schon lange nicht mehr die Rede. Und auch in vielen anderen Republiken der GUS steht es schlecht um die Pressefreiheit.

Von Vera Linß |
    Wer von Demokratie in Russland redet, spricht von einem potemkinschen Dorf. Denn eine ganz zentrale Größe fehlt: Die Pressefreiheit. Dominierend sind die elektronischen Medien und die sind auf Kreml-Kurs. Freiheit im Fernsehen ist in Russland ein Tabu. Die vom Kreml kontrollierten Sender gestatten Putin eine Diktatur ohne Terror, weil sie die Menschen uninformiert lassen.

    Es gibt es nur einige Zeitungen in der Hauptstadt und den Provinzen, die sich trauen, dagegen anzuschreiben. Zu groß ist die Angst vor der Obrigkeit. Anna Politkowskaja von der unabhängigen Moskauer Zeitung "Novaya Gaseta" gehört zu den wenigen, die im Frühjahr dieses Jahres kritisch über den Krieg in Tschetschenien geschrieben haben. Anfang April fanden dort große Kampfhandlungen statt. Die Folge war auch ein Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung. Anna Politkowskaja.

    Am 8. April wurde ein kleines Dorf bombardiert. Eine Bombe fiel auf ein Haus, in dem sich fünf Kinder und ihre Mutter aufhielten. Alle kamen ums Leben. Was hier passiert ist, ist Kindesmord, das schlimmste Verbrechen, dass es überhaupt geben kann. Zufälligerweise wurde ein Splitter der Bombe gefunden, auf dem eine Nummer verzeichnet war. Ich berichtete ausführlich darüber und dachte, am Morgen danach wird der Verteidigungsminister umgehend seinen Rücktritt einreichen und andere Zeitungen werden das Thema aufgreifen und Nachforschungen anstellen, wo diese Bombe herkam und welches Flugzeug sie abgeworfen hat. Es passierte aber nichts. Niemand hat darüber geschrieben.

    Wer sich in Russland als Journalist zu weit vor traut, gefährdet seine Existenz. Unter dem Schlagwort "gelenkte Demokratie" schüchtern lokale Autoritäten oppositionelle und unabhängige Medien ein, ohne das jemand einschreitet. Im vergangenen Jahr wurden 18 Journalisten körperlich angegriffen, 12 wurden verhaftet. Sie hatten zu Korruption und Verbrechen recherchiert und über Umweltthemen berichtet.

    Auch in anderen Republiken der GUS sieht es nicht viel besser aus. Während es in Tadschikistan seit einiger Zeit zwei unabhängige Zeitungen gibt und sich langsam eine Art Pressefreiheit entwickelt, sind in Usbekistan und Turkmenistan die einheimischen Medien vollständig in staatlicher Hand - ganz in sowjetischer und noch älterer Tradition. Wer nicht auf Linie ist, riskiert seinen Arbeitsplatz.

    Allerdings könnte sich in den kleinen zentralasiatischen Staaten, die stark auf Wirtschaftshilfe angewiesen sind, etwas ändern - durch Druck aus dem Westen, glaubt Bensmann.

    Die Hoffnung, dass es in Russland in absehbarer Zeit Pressefreiheit geben könnte, haben dagegen wenige. Zumal das Ausland oft schweigend zuschaut. Der Journalist Dirk Sager, der viele Jahre aus Moskau für das ZDF berichtete, hat festgestellt, dass man im Westen lieber ein geordnetes Russland unter Putin habe, als ein Russland im Chaos. Eine Meinung, die aus Sagers Sicht verständlich ist.

    Darum sollten westliche Politiker mehr auf kritische Distanz gehen und einen Blick hinter die Potemkinschen Dörfer werfen. Denn dass Russland´s angebliche Demokratie nicht mehr als ein schlechtes Schauspiel, ist auch für Sager längst eine ausgemachte Sache.