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Von Havel und Elbe umflossen

Zum UNESCO-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe gehört Havelberg. Das Inselstädtchen liegt im ehemaligen Grenzland im Norden von Sachsen-Anhalt. Von Havel und Elbe umflossen, hat sich der kleine Ort zu einem Wassertouristikzentrum entwickelt und lässt sich per Boot erkunden.

Von Lottemi Doormann | 28.08.2011
    "Haben Sie’s verstanden? – Irgendwas mit Gesundheit. – Dann machen wir’s mit einem schönen Gedicht, damit Sie mich besser verstehen."

    Der Mann, der auf Mittelhochdeutsch singt und deklamiert, trägt ein bordeauxrotes Gewand; seinen weichen, gewellten Hut hat er tief ins Gesicht gezogen. Als er mit dem Gedicht zu Ende ist, stellt er sich vor.

    "Also Hagen von Allemann - ich bin Hansekaufmann, über 700 Jahre alt - steht oder sitzt vor Ihnen. Denn 1358 stand bereits geschrieben, dass Havelberg von Anfang an dabei war bei den Hansestädten. Über 200 Jahre lang gehörten wir mit dazu. Und da seit den 80er-Jahren die Hansestädte der Neuzeit mehr und mehr zusammenfinden und seit 1998 der Altmärkische Hansebund wieder existiert, 10 Jahre später, 2008, gab’s dann das internationale Hansefest in Salzwedel, da haben wir gesagt, wollen wir alle wieder Hansestädte heißen. Und so sind Sie jetzt in der Hansestadt Havelberg."

    Havelberg ist ein entzückendes Inselstädtchen im einstigen Grenzland, der Altmark, im Norden von Sachsen-Anhalt. Von Havel und Elbe umflossen, hat sich der kleine Ort mit großer Vergangenheit zu einem Wassertouristikzentrum entwickelt und lässt sich auf beschauliche Weise per Boot erkunden. Am Hafen besteigen wir mit Hagen von Allemann, unserem Stadtführer im historischen Kostüm, der im wirklichen Leben Detlef Tusk heißt, einen 14 Meter langen Katamaran. Zwölf Personen passen auf das nagelneue Hausboot PonTOM aus Holz und Aluminium, mit Glasschiebedach und freier Sicht nach allen Seiten. Und los geht es zu einer Vier-Insel-Wasser-Stadtrundfahrt.

    "Die Inseln haben wir fast alle hier im Blick. Die älteste und größte Insel ist die Altstadtinsel hier, etwas über zwölf Hektar groß, von der Rückseite gesehen, ringförmig bebaut, eine Mischung von Giebel- und Traufhäusern, von Fachwerkhäusern des 17. und 18. Jahrhunderts und klassizistischen Gebäuden, die wir nachher alle sehr schön sehen. Während gegenüber die zweitgrößte Insel künstlich entstanden ist, deshalb heißt sie auch Spülinsel. Heutzutage haben wir ja drei künstliche Zuflüsse der Havel in die Elbe, auch um das Hochwasser besser im Griff zu behalten. Das angespülte Erdreich beim Ausbaggern, das über Riesenschläuche hier abgelagert wurde, wurde zur Spülinsel, deshalb der Name. Heute schönes Camping-Eiland, sehen wir auch noch genauer."

    Bevor die bunten Altstadthäuser und über den Dächern der mächtige Dom auftauchen, schippern wir gemächlich durch eine idyllische Flusslandschaft. Bäume, üppige Büsche und Wiesen säumen die Ufer, spiegeln sich aufs Schönste im mattblau schimmernden Wasser. Weit und breit kein Haus, obwohl die Stadt ganz nahe ist. Havelberg gehört zum UNESCO-Biosphärenreservat "Flusslandschaft Elbe". Ganze Landstriche sind hier unter Naturschutz gestellt. Für die Menschen in diesem Gebiet bedeutet es, dass nachhaltige Wirtschaftsunternehmen und ein naturverträglicher Tourismus unterstützt werden. Als wir uns einer Brücke nähern, unter der von Weitem die Farbwerkhäuschen wie hübsche Farbkleckse zwischen den Bäumen am Ufer aufleuchten, zeigt unser Stadtführer auf die Biberinsel:

    "Jetzt schauen wir mal auf die kleinste der Inseln, die wir haben, hier hinter der Brücke. Die ist insofern interessant, als dort eine Apfelpappel wächst. Kennen Sie Apfelpappel? – Nee. – Das ist eine, da liegen immer Äpfel drunter. Denn hier von der Fußgängerbrücke wirft das Volk, werfen die Gäste Äpfel hinunter, weil wir hier im Gebüsch hinter diesem kleinen Strauch eine Biberburg haben. Sieben Tiere sind es im Moment, und die kommen dann natürlich morgens und abends, so 20 Uhr, 20.30, um sich die Äpfel zu holen, und können dann aus nächster Nähe hier oben besichtigt werden. - Da! - Hier ist die Biberburg, da sieht man diesen Reisighaufen, diesen vermeintlichen, unter dem Wasser geht es in die Burg hinein."

    Gegenüber der Altstadt liegt die Schiffswerft Kiebitzberg, ein Familienunternehmen mit 75 Beschäftigten, das die 300-jährige Geschichte der einstigen kurfürstlichen und königlichen Seeschiffswerft von Havelberg fortführt. An Bord ist Renate Lewerken, die mit ihrem Mann Andreas die Werft im letzten Jahrzehnt wieder aufgebaut und den komfortablen Katamaran für eine genüssliche Flussfahrt entworfen und gebaut hat. Die 50-Jährige mit den rötlichen Locken verspricht sich viel von einem sanften Tourismus.

    "Wir bemühen uns darum, Havelberg auch weiter nach vorne zu bringen. Deshalb haben wir gesagt, ein Schiff für Havelberg ist ganz schön. Wir wollen einfach den Leuten klar machen, Havelberg hat eine sehr große Vergangenheit, aber Havelberg hat auch eine Zukunft. Sicherlich nicht der ganz große Massentourismus, aber der kleine, feine Tourismus – die Radfahrer, die Kulturinteressierten können sich wochenlang im Dom vergraben, die Naturinteressierten können durch die Wiesen pirschen und hier alles finden, was es woanders nicht mehr gibt. Wir sind ja das größte Renaturierungsprojekt Europas, hier auch die untere Havel."

    Boote aller Art, Kanus, Ruder- und Motorboote mit und ohne Führerschein kann man im Wassertouristikzentrum mieten. Es gibt zwei Yachthäfen und Ausflugsmöglichkeiten im Fahrgastschiff. Und auch die Radler kommen auf dem Elbe- oder Havel-Radweg durch das hübsche Hansestädtchen, das wir nun zu Fuß mit unserem Stadtführer durchqueren. In der Langen Straße bleibt der Mann im Ratsherrengewand vor einer unscheinbaren Tür stehen, früher der Eingang ins Hotel zur Goldenen Krone, wo vor 300 Jahren Zar Peter I. von Russland und der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. logierten.

    "1716 war ein großes diplomatisches Treffen in Havelberg. Wichtige Staatsmänner aus insgesamt sieben Ländern trafen sich, um die Havelberger Konvention zu verabschieden. Dieses Jahr 1716 ist auch deswegen wichtig, weil die Staatsmänner sich auch große Geschenke gegenseitig machten. Der Zar brachte für den Soldatenkönig über 200 besonders groß gewachsene russische Bauern mit, die bekamen dann ihre Uniform angezogen, einen besonders großen Hut, so sind das Preußen geworden. Und umgekehrt bekam er von Friedrich-Wilhelm I. eine Staatsyacht geschenkt und das Bernsteinzimmer. Das hat also wirklich und wahrhaftig über Havelberg den Weg nach Russland genommen, war damals natürlich noch ein bisschen kleiner, ist ja dann erst vergrößert, aufgewertet worden."

    Schnurstracks schreitet unser Stadtführer nun zum Kanuverleih am so genannten ELCH, dem Erlebnispädagogischen Zentrum in einem ehemaligen Schulgebäude aus DDR-Zeiten. Hier steigen wir bei strahlendem Sonnenschein in Dreier-Kanus und paddeln an der schönsten Seite des Städtchens entlang, immer mit Blick auf den trutzigen Dom St. Marien, der sich in seiner ganzen Breite über den roten Giebeldächern der Häuserzeile am Ufer erhebt.

    Im 12. Jahrhundert ist der Dom als romanische Basilika errichtet worden und war die Hauptkirche des Bistums Havelberg. Herrlich grün ist der Ufersaum, dazwischen ein heller Sandstrand. Ein Stückchen weiter auf der Havel passieren wir die Ziegeninsel, auf der ein dutzend Ziegen grasen, nur gestört von Kormoranen.

    "Da sind die Ziegen, die werden da im Frühjahr draufgetrieben, bleiben da den ganzen Sommer, die haben da ihr Auskommen. Wenn Niedrigwasser ist, gehen sie manchmal an Land, rennen aber nicht weg. So, dann würde ich sagen, drehen wir wieder um."

    Unsere Vier-Insel-Wasser-Stadtrundfahrt ist nun fast zu Ende. Doch 17-mal will man nach Havelberg zurückkommen, behauptet Stadtführer Hagen von Allemann alias Detlef Tusk. Jedenfalls bliebe dann auch genug Zeit für lauter schöne Ausflüge in die Umgebung von Havelberg. Zum Beispiel nach Werben, über 1000 Jahre alt, nur eine Sieben-Kilometer-Radtour zur "kleinsten Hansestadt der Welt". Oder zum Storchendorf Wahrenberg am Elbdeich mit seinen gut erhaltenen Drei-Seiten-Höfen. Am ersten Wochenende im September lockt alljährlich der traditionelle Havelberger Pferdemarkt. Und schließlich wird es 2015 ein großes Ereignis geben: die Bundesgartenschau im Havelland, erstmals eine Stadt- und Landesgrenzen überschreitende BUGA, unter dem Motto "Von Dom zu Dom – Das blaue Band der Havel".