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Von Hoffnung getragen

Die Geschichte Italiens im 19. Jahrhundert ist die Geschichte eines Kampfes um Unabhängigkeit. Eine Hauptrolle hierbei spielte Giuseppe Garibaldi: Er verhalf seinem Heimatland mit Mut, Kühnheit und militärischem Können zur Einheit.

Von Ruth Jung | 04.07.2007
    "Jedes Mal wenn es mir während meiner abenteuerlichen Karriere an der südamerikanischen Küste gelungen war, einem Sklaven die Freiheit zurückzugeben, empfand ich die tiefsten Freuden meines Lebens. Ihr weißen Tyrannen und Schlächter, behaltet Eure Diamanten! Mir, dem Piraten, wir Ihr mich so oft genannt habt, mir genügt es, dass ich Euren Verbrechen und den Leiden Eurer Opfer ein Ende setzen konnte."

    Giuseppe Garibaldi in seinen Erinnerungen. Den Lebenslauf des am 4. Juli 1807 in Nizza als Sohn eines Seefahrers Geborenen prägte das Exil. "Speranza", Hoffnung, hieß das Schiff, mit dem der Seemann Garibaldi 1848 aus Brasilien zurückgekehrt war. Nach dem gescheiterten Komplott der Freiheitsbewegung Giovine Italia, Junges Italien, hatte es ihn 1834 in die südbrasilianische Provinz Rio Grande do Sul verschlagen. In Brasilien, Uruguay und Argentinien kämpfte Garibaldi auf Seiten der Aufständischen gegen die adeligen Großgrundbesitzer. Auf die Fahnen geschrieben aber hatte sich der glühende Patriot die Unabhängigkeit und Einheit seines Heimatlandes Italien, das unter den europäischen Monarchen aufgeteilt worden war. Den Norden beherrschten die österreichischen Habsburger, den Süden die spanischen Bourbonen. Einzig Piemont-Sardinien unter dem Hause Savoyen konnte sich als italienisches Territorium behaupten.

    ""Warum aber habt Ihr bei uns diese Tyrannei errichtet? Warum muss mein Heimatland seit Jahrhunderten allen Schurken Europas als Bordell dienen? Warum essen sie unsere Früchte und trinken unseren Wein, die wir im Schweiße unseres Angesichtes erwirtschaftet haben?","

    klagt Garibaldi an. Der Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich hatte 1848 mit einer Niederlage geendet. Auch die Revolutionsjahre hatten keine Wende gebracht, seit Niederschlagung der Römischen Republik im Juli 1849 herrschte Totenstille. Garibaldi zog sich auf die kleine Mittelmeerinsel Caprera zurück. Erst als der Krieg gegen Österreich 1859 wieder aufflammte und sich schließlich im Frühjahr 1860 die Bauern Siziliens gegen die Bourbonenherrschaft erhoben, erwachte neuer Widerstand. Am 5. Mai 1860 stach Garibaldi von Genua aus mit 1000 Freiwilligen in See, um den Aufständischen in Sizilien zur Hilfe zu kommen - ohne Waffen an Bord. Sein Widersacher, der piemontesische Politiker Cavour, der die Monarchie als Staatsform verteidigte und in Garibaldi den Republikaner bekämpfte, versuchte den Aufbruch zu verhindern: Alle Waffen wurden beschlagnahmt. Kurzerhand unterbrach Garibaldi seine Fahrt an der toskanischen Küste, trat als piemontesischer General auf und verlangte, die Schiffe zu bewaffnen.

    ""Alle fünfzig Schritte erhebt sich eine wunderbar gebaute Barrikade. Man sieht, dass die Bauherren dieser Festungen des Volkes dieselben sind wie in Mailand und Rom. Und bewacht werden sie von der gesamten bewaffneten Bevölkerung. Das Pflaster von Palermo eignet sich vorzüglich für den Barrikadenbau","

    erinnert sich der französische Schriftsteller Alexandre Dumas im Tagebuch "Odyssee von 1860". Dumas begleitete Garibaldis berühmten Zug der 1000. Mit seinen Freiwilligen stürzte Garibaldi das Bourbonenregime und erklärte sich im Namen des piemontesischen Königs Vittorio Emanuele zum Herrscher von Sizilien. Die Voraussetzungen hierfür aber hatten die Bauern geschaffen. Sie wehrten sich gegen jahrhundertelange Unterdrückung und erhofften die soziale Befreiung. Doch Garibaldi war mit der Agrarfrage kaum vertraut. Auch die angeordnete Mobilmachung aller waffenfähigen Männer stieß auf Widerstand, sie traf die Bauern mitten in der Erntezeit. Nun rebellierten sie gegen Garibaldis Befehle, der verhängte den Belagerungszustand. Einen Höhepunkt erreichte der Konflikt in Bronté am Ätna: Garibaldi ließ auf die Aufständischen schießen. Hunderte kamen ums Leben. Die Bauern wandten sich von Garibaldi ab: Wie alle anderen vor ihm war er nicht als ihr Befreier gekommen, sondern als Eroberer an der Seite des Bürgertums.

    ""Bei allem Stolz über die zustandegekommene italienische Unabhängigkeit ist es wohl angebracht, daran zu erinnern, dass hier zugleich die erste Seite des dunklen Kapitels der Ungerechtigkeit des einen und geeinten Italiens gegen das andere Italien geschrieben wurde","

    resümierte der große sizilianische Schriftsteller Leonardo Sciascia zum 100. Gedenktag der Unabhängigkeit.

    Militärisch war Garibaldi siegreich, politisch war er gescheitert. Denn die Proklamation der Einheit Italiens im März 1861 als Regno d'Italia ohne das Veneto und den Kirchenstaat nutzte der konservative Politiker Cavour zum Erhalt der Monarchie unter der Vorherrschaft des Nordens und der Dynastie Savoyen. Erst 1866 konnte wiederum mit Garibaldis Hilfe das Veneto befreit und 1870 die weltliche Macht des Papstes gestürzt werden. Der Freiheitsheld starb am 2. Juni 1882 auf Caprera.