Sein "goldenes Vlies" hat dennoch überlebt, vielleicht, weil es trotz schwülstiger Sprache psychologisch realistisch und tiefgründig die Vorgeschichte erzählt, wieso Medea ihre Kinder ermordet. Vor 1,5 Jahren hat sich Stefan Kimmig in Wien schon einmal dem selten gespielten Monumentalwerk in drei Teilen und zehn Aufzügen gewidmet und es dabei in Poptheatermanier eher klein inszeniert. Lars-Ole Walburg erweckt auf der Bühne dagegen die ganz großen Gefühle.
Kolchis ist ein trüber Tümpel. Medea hat es von Anfang an schwer mit einem devoten kleinen Bruder und dem schmierigen Provinzdiktator Aietes als Vater, barfuss patschen sie in einer quadratischen Wasserpfütze: ein echter Barbarenhaufen, der Tierfelle über dem Trenchcoat trägt und nach der Jagd blutige Reh-Herzen verspeist - der Chor des Theater Basel schluchzt und flüstert dazu schaurig-schön. Ein kitschiger Beginn, als hätte Regisseur Lars-Ole Walburg bewusst archaisch-altmodisches Märchentheater an den Anfang gestellt. Der Grieche Phryxus mit Wallehaar und dem goldenen Vlies um die Schultern könnte aus dem Mittelalter-Rollenspiel entsprungen sein. Als er von Aietes hinterrücks erschlagen wird, um an das Vlies zu kommen, bricht auch im Barbarenland die Moderne ein. Im zweiten Teil trägt man in Kolchis schlecht sitzende Anzüge und Hut, während Medea zitternd zurückgezogen dem Schicksal harrt. Sandra Hüller spielt sie sensationell und ganz anders, als man sich das Monsterweib sonst vorstellt: ergriffen und besessen, eine Waldelfe mit grüner Kapuze und sehend blinde Furie zugleich. Als sie sich in Jason, den sonnigen Griechen im GI-Anzug verliebt hat, torkelt sie wie betrunken durchs Wasserbassin und im düsteren Kolchis gehen auf einmal die Lichter an. Jason, den Edgar Telgenkämper wunderbar als pragmatisches Alphamännchen spielt, ist ihrer Gefühlswucht nicht gewachsen. Ohne zu ahnen, wen er da verführt, schlüpft er unter ihren Schleier, entlockt ihr seinen Namen, spult Liebeslockungen ab. Sie kann gar nicht anders, als ihre Familie zu verraten.
Doch eigentlich verführt er sie nur, weil sie so schön fremd ist und ihm das Goldene Vlies beschaffen kann, Erotik und Ehrgeiz gehen bei dieser Objektwahl Hand in Hand. Dabei ist das Vlies bei Walburg eher ein gammeliger Flokati-Teppich mit goldenen Hörnern - Sinnbild allen menschlichen Wollens, das eben meist nur Unglück bringt. Zusammen tauchen Medea und Jason in den Schaumberg, unter dem das Vlies verborgen ist: ein schönes Bild für jede Art von Glücksillusion, auch die in der Liebe. Nach der Pause ist die Bühne von Hugo Gretler zu einem Maschendrahtzaun geworden: Korinth - oder die ganze Festung Europa - schotten sich im riesigen Wohlfühlkäfig vor Flüchtlingen ab. Zu denen sind Jason und Medea geworden, bieder und armselig in Trainingsjacke und Faltenrock, das tut keiner Ehe gut. Der Korintherkönig in beigem Leinenanzug hat leichtes Spiel, als er sie aufnimmt, denn Jason will wieder nach oben. Es lockt Königstochter Kreusa mit Ausschnitt und Glitzerkleid, für Medeas Kinder wird Schokolade hergezaubert. Nur Medea stört. Ihr Versuch, mit blonder Perücke zur Griechin zu werden, ist Mitleid erregend. Ein letztes archaisches Liebeszucken zwischen ihr und Jason, dann muss sie weg, in noch radikalere Einsamkeit - Bananen werden ihr vor den Zaun geworfen.
Lars-Ole Walburg erreicht mit sparsam eingesetzten Bildern psychologische Tiefe und große Gefühlsintensität. Ein wüstes Ehedrama, unter dem noch eine andere Studie liegt: eine über die absolute Machtlosigkeit der Ausgegrenzten, über die Deutungsmacht der Sieger, über das reiche Europa und den Rest der Welt. Darüber, wie Gleichheit verbindet und Fremdheit verstört. Und wie Vorurteile Tatsachen schaffen: Medea wird erst zum Monster, als das zivilisierten Korinth sie dazu erklärt. Es ist der alte Max-Frisch-Gedanke: wie leicht verwandelt man sich in den, für den man gehalten wird, das gilt für Liebende ebenso wie für Asylbewerber. Medea begegnet ihrem exponentiell wachsenden Leid aufreizend wehrlos. Fast ist man erleichtert, als sie ihren entfremdeten Kinder mit sanftem Handstreich die Kehlen durchschneidet. Ein geradezu penetrant pathetischer Abend, schwer erträglich ist zuweilen, wie der Basler Theaterchor die Unglückseligkeit unermüdlich säuselnd begleitet. Und dennoch ist es fantastisches Schauspielertheater, das sich vor großen Gefühlen nicht scheut. Das ist selten geworden.
Kolchis ist ein trüber Tümpel. Medea hat es von Anfang an schwer mit einem devoten kleinen Bruder und dem schmierigen Provinzdiktator Aietes als Vater, barfuss patschen sie in einer quadratischen Wasserpfütze: ein echter Barbarenhaufen, der Tierfelle über dem Trenchcoat trägt und nach der Jagd blutige Reh-Herzen verspeist - der Chor des Theater Basel schluchzt und flüstert dazu schaurig-schön. Ein kitschiger Beginn, als hätte Regisseur Lars-Ole Walburg bewusst archaisch-altmodisches Märchentheater an den Anfang gestellt. Der Grieche Phryxus mit Wallehaar und dem goldenen Vlies um die Schultern könnte aus dem Mittelalter-Rollenspiel entsprungen sein. Als er von Aietes hinterrücks erschlagen wird, um an das Vlies zu kommen, bricht auch im Barbarenland die Moderne ein. Im zweiten Teil trägt man in Kolchis schlecht sitzende Anzüge und Hut, während Medea zitternd zurückgezogen dem Schicksal harrt. Sandra Hüller spielt sie sensationell und ganz anders, als man sich das Monsterweib sonst vorstellt: ergriffen und besessen, eine Waldelfe mit grüner Kapuze und sehend blinde Furie zugleich. Als sie sich in Jason, den sonnigen Griechen im GI-Anzug verliebt hat, torkelt sie wie betrunken durchs Wasserbassin und im düsteren Kolchis gehen auf einmal die Lichter an. Jason, den Edgar Telgenkämper wunderbar als pragmatisches Alphamännchen spielt, ist ihrer Gefühlswucht nicht gewachsen. Ohne zu ahnen, wen er da verführt, schlüpft er unter ihren Schleier, entlockt ihr seinen Namen, spult Liebeslockungen ab. Sie kann gar nicht anders, als ihre Familie zu verraten.
Doch eigentlich verführt er sie nur, weil sie so schön fremd ist und ihm das Goldene Vlies beschaffen kann, Erotik und Ehrgeiz gehen bei dieser Objektwahl Hand in Hand. Dabei ist das Vlies bei Walburg eher ein gammeliger Flokati-Teppich mit goldenen Hörnern - Sinnbild allen menschlichen Wollens, das eben meist nur Unglück bringt. Zusammen tauchen Medea und Jason in den Schaumberg, unter dem das Vlies verborgen ist: ein schönes Bild für jede Art von Glücksillusion, auch die in der Liebe. Nach der Pause ist die Bühne von Hugo Gretler zu einem Maschendrahtzaun geworden: Korinth - oder die ganze Festung Europa - schotten sich im riesigen Wohlfühlkäfig vor Flüchtlingen ab. Zu denen sind Jason und Medea geworden, bieder und armselig in Trainingsjacke und Faltenrock, das tut keiner Ehe gut. Der Korintherkönig in beigem Leinenanzug hat leichtes Spiel, als er sie aufnimmt, denn Jason will wieder nach oben. Es lockt Königstochter Kreusa mit Ausschnitt und Glitzerkleid, für Medeas Kinder wird Schokolade hergezaubert. Nur Medea stört. Ihr Versuch, mit blonder Perücke zur Griechin zu werden, ist Mitleid erregend. Ein letztes archaisches Liebeszucken zwischen ihr und Jason, dann muss sie weg, in noch radikalere Einsamkeit - Bananen werden ihr vor den Zaun geworfen.
Lars-Ole Walburg erreicht mit sparsam eingesetzten Bildern psychologische Tiefe und große Gefühlsintensität. Ein wüstes Ehedrama, unter dem noch eine andere Studie liegt: eine über die absolute Machtlosigkeit der Ausgegrenzten, über die Deutungsmacht der Sieger, über das reiche Europa und den Rest der Welt. Darüber, wie Gleichheit verbindet und Fremdheit verstört. Und wie Vorurteile Tatsachen schaffen: Medea wird erst zum Monster, als das zivilisierten Korinth sie dazu erklärt. Es ist der alte Max-Frisch-Gedanke: wie leicht verwandelt man sich in den, für den man gehalten wird, das gilt für Liebende ebenso wie für Asylbewerber. Medea begegnet ihrem exponentiell wachsenden Leid aufreizend wehrlos. Fast ist man erleichtert, als sie ihren entfremdeten Kinder mit sanftem Handstreich die Kehlen durchschneidet. Ein geradezu penetrant pathetischer Abend, schwer erträglich ist zuweilen, wie der Basler Theaterchor die Unglückseligkeit unermüdlich säuselnd begleitet. Und dennoch ist es fantastisches Schauspielertheater, das sich vor großen Gefühlen nicht scheut. Das ist selten geworden.