Archiv


Von Joan Baez bis Freddy Quinn

"Born to be wild" verschränkt Geschichten über Songs und Musiker mit der Geschichte der 68er. Dieses Verfahren hat den kleinen Nachteil, dass historisch Kundige immer wieder mal zum Überblättern animiert werden, und den großen Vorteil, dass auch Jüngere zu dieser Lektüre greifen können, ohne Geschichtsbücher zu Rate ziehen zu müssen. Stephan Göritz hat das Buch gelesen.


    "Die Authentizität, die Direktheit, die Ehrlichkeit und auch die Navität, die sich in vielen Songtexten der Zeit wiederspiegeln, hebt sich im Zeitalter von Castingshows und sogenannten 'Superstars' wohltuend ab."

    Deshalb gelang es Songs der Jahre um 1968 in besonderer Weise, Verbindungen einzugehen mit der Wirklichkeit jenseits von Konzerthallen und Plattenstudios, Verbindungen, die Daniel Gäsche in "Born to be wild - Die 68er und die Musik" mit einer Fülle von Beispielen aus Rock und Pop, Schlager, Folk und Chanson nachzeichnet. Mit Liedern von Joan Baez und anderen ließ es sich gut protestieren, gegen den Vietnamkrieg, die Heiligsprechung der Konsumgesellschaft oder das Totschweigen der NS-Vergangenheit. Und geradezu lustbetont war dies möglich, wenn schon die Bühnenpräsentation eine Ohrfeige darstellte für Spießer und Machthungrige wie bei Jimi Hendrix:

    "Das Spielen der Gitarre mit Zähnen und Zunge wirkte für konservative Betrachter wie eine sexuelle Provokation, die bunte Uniformjacke als Lächerlichmachen der Staatsmacht."

    Doch nicht allein Musik und Protest lagen dicht beieinander, auch Musik und Drogenkonsum, wenn man, wie sich hier ehemalige Hippies erinnern, mit LSD im Blut und Songs in den Ohren nicht nur Farben hören, sondern auch Musik sehen konnte. Und selbst Konservative kamen an der Rock- und Pop-Kultur nicht vorbei und okkupierten deren Zeichen-Arsenal. So, fand Daniel Gäsche heraus, vergriff sich die SPD in einer Plakatkampagne tatsächlich an dem Film "Easy Rider", der unter anderem von Steppenwolf-Songs lebte.

    "Hat ja sogar die SPD damals für den Bundestagswahlkampf genommen, mit Willy Brandt als auf der Harley sitzendem Guten, in Anführungszeichen, und Franz Josef Strauß steht hinterm Busch als Heckenschütze."

    Dass mit Musik Überzeugungen transportiert werden können, dürfte keinen überraschen. In diesem Buch aber wird auch beschrieben, dass Musik rebellische Gedanken entstehen und wachsen lassen kann,

    "dass eben gerade die Musik so eine Saat ausgesät hat für die politische Entwicklung, die dann erst kam. Dass man also, wenn man Musik gehört hat, wie zum Beispiel Scott McKenzie 'San Francisco' - dass das da ein ganz entscheidender Auslöser war, ein kleiner Rebell auch zu sein."

    Das Buch verschränkt Geschichten über Songs und Musiker mit der Geschichte der 68er Bewegung. Dieses Verfahren hat den kleinen Nachteil, dass historisch Kundige immer wieder mal zum Überblättern animiert werden, und den großen Vorteil, dass auch Jüngere, die die erwähnten Ereignisse nicht sofort einordnen, zu dieser Lektüre greifen können, ohne sich Geschichtsbücher daneben legen zu müssen.

    In die Darstellung eingeflochten sind Interviews mit prominenten Zeitzeugen. Leider reflektieren nicht alle auf dem Niveau des Publizisten Roger Willemsen. Er schildert hier, wie ihn das Revoltieren schon als damals Zwölfjährigen packte, und schlägt pointiert eine Brücke in die Gegenwart:

    "Wenn all diese Bewegung nicht gewesen wäre, dann sähe es heute nicht so konservativ aus, denn irgendwie mussten sich die ja rächen, die damals in der Jungen Union waren und nicht mitkamen."

    Wohltuend unverkrampft berücksichtigt Daniel Gäsche nicht nur jene Lieder, die die 68er Bewegung ausdrücklich befürworten. Hier begegnet uns auch die Musik beleidigter Konservativer, wie der Freddy-Quinn-Schlager "Wir", in dem Aufbegehrende pauschal als, Zitat,- "sinnlos herumlungernde Gammler" abqualifiziert werden, oder Reinhard Meys satirische Attacke auf eine linke Feministin:

    "Annabelle, ach Annabelle, / du bist so herrlich intellektuell. / Ich bitte dich, / komm sei so gut, / mach meine heile Welt kaputt!"

    Rund 30 Jahre später hat Reinhard Mey ein zweites Chanson über Annabelle geschrieben, quasi die Antwort auf das alte Spottlied, das ihm so viele übelgenommen hatten: Als er erneut mit der einstigen Gegnerin zusammenstößt, hören beide endlich einander zu und stellen fest, dass ihre Ideale gar nicht so weit auseinander lagen. Doch der Autor erwähnt das zweite "Annabelle"-Lied mit keinem Wort und lässt so ein wichtiges Beispiel für einen Lernprozess unter den Tisch fallen.

    Nicht unter den Tisch fällt dagegen, dass 1968 im Osten Deutschlands andere Assoziationen auslöst als im Westen und mit dem genauen Gegenteil von Aufbruch verbunden wird: mit der Niederschlagung des Prager Frühlings, dessen Lebensgefühl sich jedoch zu einem Teil gleichfalls aus rebellischem Rock speiste. Dass man allerdings, wie hier zu lesen, "in der DDR kein Englisch lernte", stimmt nicht einmal für die beschriebenen Jahre um '68. War doch Englisch - erst verdammt als "Sprache des Klassenfeindes" - immerhin 1958 per Staatsrat-Dekret rehabilitiert worden.

    Gehemmt wird das Lesevergnügen auch durch die Vorliebe des Autors, das Verb ans Ende zeilenlanger Sätze zu stellen, sowie durch den schlampigen Satz des Buches. Die Vielzahl verdrehter Buchstaben, vergessener Wörter und falscher Fallsetzungen überschreitet jede Toleranzgrenze. Und schließlich hätte ein Personenregister die Benutzbarkeit dieser detailreichen Analyse über die Musik in der Revolte erheblich gesteigert

    Genug Korrekturbedarf also für eine zweite Auflage, getreu dem letzten Satz des Buches:

    "Es ist nie zu spät, Dinge zu verändern!"


    Daniel Gäsche: Born to be wild. Die 68er und die Musik
    Militzke Verlag, 351 Seiten
    24,90 Euro