Archiv


Von Klaeden: Überdenken der europäischen Russland-Politik erforderlich

Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, glaubt an eine mittel- bis langfristige diplomatische Lösung im kriselnden Verhältnis zu Russland - wenn EU und USA geschlossen gegenüber Moskau auftreten.

Eackart von Klaeden im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Originalton des russischen Botschafters in Berlin, Wladimir Kotenev vor dem Interview:

    "In der Nacht zum 08. August haben georgische Truppen hinterlistig Südossetien überfallen. Obwohl sich beide Seiten wenige Stunden zuvor auf Verhandlungen verständigt haben und Saakaschwili in einer Fernsehansprache beteuerte, er werde keine Gewalt anwenden, wurden auf seinen Befehl die Stadt Tschinwali und Dutzende ossetischer Dörfer von Raketenhagel durch Artillerie und Panzer unter Beschuss genommen. Zivile Ziele wurden aus der Luft bombardiert. Hunderte georgische Panzerfahrzeuge drangen in Tschinwali ein, zermalmten Kinder und alte Frauen. Georgische Militärs schnitten den friedlichen Bewohnern von Städten und Dörfern die Kehlen durch, trieben sie in Baracken zusammen und verbrannten sie bei lebendigem Leibe."

    Jürgen Liminski: Der russische Botschafter Wladimir Kotenev gestern vor der Presse. Das ist die offizielle Version Moskaus. Niemand kann freilich nachprüfen, wer wen auf dem Schlachtfeld getötet hat. Die Wahrheit fällt dort bekanntlich zuerst. Wie immer: jetzt ist die Stunde der Diplomaten. Aber können diese etwas ausrichten? Wie kann man Druck auf Moskau ausüben? Soll man es überhaupt? - Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich am Telefon Eckart von Klaeden. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Guten Morgen, Herr von Klaeden.

    Eckart von Klaeden: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr von Klaeden, das Lästermaul Karl Kraus hat einmal die Diplomatie bitter ironisch so definiert: "Diplomatie ist ein Schachspiel, bei dem die Völker matt gesetzt werden". Daran fühlt sich erinnert, wer in diesen Tagen die Sitzungen und Treffen in Brüssel oder auch die Erklärungen aus Washington und Moskau verfolgt. Kann die Diplomatie etwas ausrichten? Genauer: kann der Westen etwas ausrichten?

    von Klaeden: Mittel- und langfristig kann der Westen sicherlich etwas ausrichten, wenn er geschlossen ist. Denn Russland hat, wenn man seine Interessen analysiert, am Ende doch ein überragendes Interesse an guten Beziehungen zur Europäischen Union, zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zur Integration in die internationale Gemeinschaft. Aber - und das ist die Voraussetzung, um Russland beeindrucken zu können und beeinflussen zu können - die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, alle müssen gemeinsam und entschlossen Russland gegenüber auftreten.

    Liminski: Sitzen die Russen aber nicht am längeren Hebel? Sie haben ja schon mehr als einmal gezeigt, dass sie die Energiezufuhr einfach stoppen können.

    von Klaeden: Wie gesagt, wenn wir geschlossen auftreten, wenn wir die bisherige russische Strategie nicht weiter mitmachen, nach einem Motto "divided impera", dann werden wir Russland auf Augenhöhe entgegentreten können, denn Russland ist ja auf den Verkauf seiner Energieressourcen insbesondere in Europa angewiesen, denn die Probleme des Landes sind enorm, wenn man die demographische Entwicklung, die Defizite bei der Infrastruktur, im Gesundheitswesen und so weiter betrachtet.

    Liminski: Geschlossen auftreten, sagen Sie. War dann der Alleingang Sarkozys nicht kontraproduktiv? Er hat sich auf die Kürze ja nicht absprechen können innerhalb der EU?

    von Klaeden: Das wird man in einer solchen Situation nicht vermeiden können und ich will in diesem Zusammenhang auch nicht von einem Alleingang sprechen, denn Frankreich hat zurzeit die Präsidentschaft in der Europäischen Union und Sarkozy hat in Moskau einen Waffenstillstand erreichen können, dem Moskau offiziell zugestimmt hat. Das ist ein kleiner Fortschritt, wenn man sieht, dass russische Truppen nach wie vor in Georgien operieren, aber einer, auf den sich jetzt Europa und auch die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Sotschi morgen berufen kann. Sicherlich war es nicht richtig, dass Sarkozy den völkerrechtlichen Charakter von Südossetien und Abchasien indirekt in Frage gestellt hat, als er zugestanden hat, dass man über den zukünftigen Status dieser Teile Georgiens verhandeln könne, aber das hat keinen Schaden angerichtet, weil Tiflis dem widersprochen hat und Russland diese Forderung dann auch sofort wieder zurückgezogen hat.

    Liminski: Russland argumentiert mit dem Kosovo und sieht dort eine Parallele zu Südossetien. Gibt es einen Unterschied?

    von Klaeden: Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied, denn im ehemaligen Jugoslawien hat in Srebrenica ein Genozid stattgefunden. Dort haben serbische Truppen Jungen und Männer bosnischer Herkunft interniert und nach internationalen, unabhängigen Schätzungen ungefähr 8.000 von ihnen umgebracht. So etwas hat es, selbst wenn man die russische oder die südossetische Darstellung zu Grunde legt, von georgischer Seite nicht gegeben. Die Behauptung, es habe einen Genozid gegeben oder den Versuch eines Genozids von georgischer Seite, wie er von Moskau oder von südossetischen Separatisten erhoben wird, ist geradezu abwegig und deswegen verbietet sich auch jede Parallele.

    Liminski: Auch der russische Botschafter deutet das in seinen Statements gestern an.

    von Klaeden: Wie gesagt, ich halte den Vergleich für abwegig. Er ist der Versuch, das russische Vorgehen verhältnismäßig und gerechtfertigt dastehen zu lassen. Und das ist, selbst wenn man die Tatsachendarstellung Russlands und der südossetischen Separatisten zu Grunde legt, falsch und abwegig.

    Liminski: Hat Moskau nicht dennoch seine Ziele erreicht? Oder anders gefragt: bleibt Georgien NATO-Kandidat?

    von Klaeden: Ich sehe jetzt keine Veranlassung, die Beschlüsse von Bukarest zurückzunehmen oder zu revidieren. Deswegen bleibt es auch bei der Zusage der NATO, dass sowohl Georgien wie die Ukraine NATO-Mitglied werden können. Die Bundesregierung hat immer wieder darauf hingewiesen, dass einerseits die Voraussetzungen der möglichen Kandidaten für die Aufnahme in das "membership action plan"-Programm erfüllt sein müssen, dass es andererseits aber kein russisches Veto geben darf - weder direkt noch indirekt. Insbesondere der zweite Teil, finde ich, ist angesichts der Ereignisse wichtiger denn je.

    Liminski: Muss man jetzt nicht schnell die Ukraine in die NATO aufnehmen, schon um den Russen zu zeigen, wir lassen uns von euch nicht beeindrucken?

    von Klaeden: Da gilt dasselbe wie für Georgien. Die Ukraine selber muss die Voraussetzungen erfüllen, um in das "membership action plan"-Programm aufgenommen werden zu können. Das ist zurzeit noch nicht der Fall. Aber auch was die Ukraine angeht gibt es kein direktes oder indirektes Veto Russlands. Die letzten Äußerungen, die wir unter anderem von dem russischen NATO-Botschafter Rogosin gehört haben, der die territoriale Integrität der Ukraine in Frage stellt, indem der russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag aus den 50er Jahren angezweifelt wird, mit dem klargestellt ist, dass die Krim eindeutig zur Ukraine gehört, ist besorgniserregend und da müssen wir aufpassen, dass Russland dort nicht auch versucht, zunächst einmal rhetorisch und dann eben auch faktisch Verhältnisse zu schaffen, die seinen Interessen entsprechen.

    Liminski: So wie in Georgien. Im Kaukasus spielt sich ja vor unseren Augen ein Stück Realpolitik ab, also das Recht des Stärkeren. Wo bleibt das Völkerrecht? Wird es nicht mit Füßen getreten? Die UNO hat sich bezeichnenderweise erst gestern sozusagen nach Kriegsende zu Wort gemeldet.

    von Klaeden: Wir haben in Deutschland manchmal eine zu optimistische oder zu euphorische Vorstellung von dem, was die Vereinten Nationen leisten können. Die Vereinten Nationen sind dann handlungsfähig, wenn alle Vetomächte im Sicherheitsrat sich auf eine gemeinsame Position einigen. Und wenn eine Vetomacht Konfliktpartei ist, wie das hier mit Russland in Georgien der Fall ist, dann sind die Vereinten Nationen de facto lahm gelegt. Das ist ein Handicap, das in der Konstruktion der Vereinten Nationen so angelegt ist. Der größte Vorteil und zugleich der größte Nachteil der Vereinten Nationen ist eben, dass alle dabei sind.

    Liminski: Kann man nicht doch Maßnahmen gegen Russland treffen? Es wird immer gesagt, es geht hier nur um Worte. Zum Beispiel gemeinsam weniger Öl und Gas kaufen, die Bankkonten der Oligarchen oder führender Leute einfrieren, Geheimdienstler der Botschaften ausweisen, die Programme von Radio Liberty und Radio Free Europe ausbauen oder Russlands Mitgliedschaft bei den G8 (immerhin ein Kreis von Demokratien) auf Eis legen, kurzum zeigen, dass man sich von einer Diktatur nicht auf der Nase herumtanzen lässt?

    von Klaeden: Ich glaube, was jetzt erforderlich ist - und deswegen halte ich die Position, die von der Bundesregierung vertreten wird, auch für richtig -, dass man zurzeit die Schuldfrage nicht vollständig wird klären können und dass man jetzt dafür sorgen muss, dass der Waffenstillstand durchgesetzt werden kann. Aber dass die Europäische Union ihre Russland-Politik grundlegend überdenken wird, das wird nicht zu vermeiden sein, wird auch notwendig sein und ist erforderlich. Dazu wird die eine oder andere Maßnahme gehören. Einen Ausschluss Russlands aus der G8 halte ich zurzeit für nicht durchsetzbar und wir sollten bei den Maßnahmen, die wir vorschlagen, dann auch solche wählen, die Aussicht auf Durchsetzung haben, denn sonst spielen wir wieder Russland in die Hände. Aber was die völkerrechtliche Qualifizierung des russischen Vorgehens angeht, dass wir nicht die Parallele zum Kosovo akzeptieren können, das ist alles selbstverständlich.

    Liminski: Herr von Klaeden, was wäre denn die richtige Sprache? Würden Sie in der Diplomatensprache eher sagen, hier haben wir es mit einem eskalierenden Konfliktfeld zu tun, oder eher die Dinge beim Namen nennen und sagen, dieser Feldzug ist ein barbarischer neoimperialer Akt?

    von Klaeden: Neoimperiale Züge im russischen Verhalten sind leider nicht von der Hand zu weisen und die russische Außenpolitik ist ja parallel zu der Restauration autokratischer Strukturen im Inneren Russlands nach außen immer stärker von einem postkolonialen Phantomschmerz und zum Teil auch von postsowjetischem Revanchismus geprägt. Aber ich glaube, es ist im Augenblick doch wichtig, dafür zu sorgen, dass ein fragiler Waffenstillstand tatsächlich zu Stande kommt und erst Stabilität gewinnt. Aber wie gesagt, ein grundlegendes Überdenken der europäischen Russland-Politik ist sicherlich erforderlich, nachdem Russland sich in dieser Weise völkerrechtswidrig in diesem Konflikt verhalten hat.

    Liminski: Diplomatie gegen Machtpolitik. Das war Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und Mitglied im Präsidium der CDU. Besten Dank für das Gespräch, Herr von Klaeden.

    von Klaeden: Bitte sehr.