Archiv


Von kleinen Todesmaschinen

Aus prallen Ziegeneutern ergießt sich Hirn- und Eutersaft in Flaschen, die auf einem drehbaren Hakenkreuz stehen: Kleine Todes- oder Totenmaschinen nennen die Künstler Jake und Dinos Chapman ihre Installationen, die in der Kestnergesellschaft in Hannover unter dem Titel "Memento Moronika" ausgestellt werden. Die in den 90er Jahren unter dem Label der Young British Artists bekanntgewordenen Künstler gelten heute als zwei der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Installationskunst.

Von Carsten Probst |
    Die Young British Artists sind inzwischen zwar deutlich in die Jahre gekommen, aber die Werke von Jake und Dinos Chapman wirken auf ihre Weise immer noch so unbekümmert und erfindungsreich wie am ersten Tag.

    Ein männlicher Schwanz steckt auf einem Motorschlauch, der seinerseits an ein pralles Ziegeneuter angeschlossen ist. Das Euter mündet wiederum in einen Kanister, der über eine Pumpe den ausgepressten Saft eines kleinen Gehirns sammelt. Auf der anderen Seite sind vier Flaschen an ein drehbares Holzkreuz montiert, das dadurch Ähnlichkeit mit einem Hakenkreuz bekommt. Der mit dem Hirn- und Eutersaft gefüllte Penis entleert sich in die Flaschenöffnungen und treibt dadurch eine obskure Hydraulik an, die das Ganze offenbar zu einer Art Perpetuum mobile werden lassen soll. "Little Death Machines", Kleine Todes- oder Toten-Maschinen nennen die Chapmans diese hauptsächlich aus Bronze gegossenen Installationen, und viel mehr als diesen Titel muss man zu ihrem Verständnis eigentlich auch gar nicht wissen.

    Vis-a-vis zur erwähnten hakenkreuzförmigen Peniszapfanlage steht ein turmartiges Gebilde, in der zwei Männerschädel, denen die Haut abgezogen ist und die daher aussehen wie zwei verirrte Präparate aus Gunther von Hagens "Körperwelten", an weiblichen Brüsten nuckeln. Die Frauenkörper, zu denen diese Brüste vielleicht einmal gehörten, fehlen, dafür sind diese wiederum an pralle Ziegeneuter angeschlossen, während die Männerköpfe ihrerseits ihre Saftproduktion über Speiseröhrenschläuche in bereitgestellte Flaschen laufen lassen.

    Insgesamt elf dieser Todesmaschinen sind in Halle II der Kestnergesellschaft zu sehen, und dass das Ganze nicht einfach eklig wirkt, liegt daran, dass die Chapmans wohlüberlegt den allegorischen Charakter dieser Installationen hervorheben.

    Natürlich bewegen sich die Maschinen nicht wirklich, und der Bronzeguss verleiht ihnen fast so etwas wie die Würde und Eindringlichkeit von Höllendarstellungen an mittelalterlichen Kathedralen. Ihre lapidare Botschaft zur mechanischen Natur menschlicher Triebe und Bedürfnisses sind von Künstlern wie Bruce Nauman und seinen Neoninstallationen schon weitaus schnörkelloser inszeniert worden. Aber die Chapmans, und dass ist eben die Besonderheit ihres Werks, baden nun einmal mit Vorliebe in Topoi der europäischen Kunst- und Kulturgeschichte und unterziehen sie einer sarkastischen Aktualisierung.

    Die Chapmans geben sich gern museal, um lustvoll zu betonen, dass Kulturgeschichte nichts mit gefälliger Schönheit und erhabenen Gefühlen zu tun hat. So etwa lassen sich auch ihre vielteiligen Arrangements aus Pappfiguren verstehen, die in den beiden Sälen im Obergeschoss der Kestnergesellschaft zu sehen sind.

    In Halle III sind es lauter prähistorische Lebewesen, die aus Toilettenrollen, Zeitungspapier und Bronze zusammengebastelt sind. Nach demselben Prinzip finden sich nebenan in Halle IV Szenen aus dem Landleben. Beide Figurenkomplexe stehen unter dem ungeschriebenen Motto ewigen Überlebenskampfes. An den Wänden hängen dazu noch Serien von Druckgrafik, in denen es im wesentlichen um die industrielle oder sadistische Schlachtung von Tieren geht. Oft sind es Spielzeugpuppen oder süße Comicfiguren, die sich darin befleißigen.

    Die kleinen Urzeitmonster aber und die Szenen aus dem Landleben sind auf viele kleine Podeste gestellt, als handele es sich um Exponate aus dem Naturkundemuseum, während ihre Machart eher an einen sadistisch inspirierten Kindergeburtstag erinnert. In den Szenen aus dem Landleben spiegeln sich die martialischen Naturgesetze des "Friss oder Stirb", worauf auch der Titel "Vier Füße gut, zwei Füße schlecht" anspielt, ein Zitat aus George Orwells "Animal Farm". Die Urtiere dagegen tragen den Titel "Hölle 65 Millionen Jahre vor Christus" und bezieht sich durch diese Namensgebung direkt auf das bislang vielleicht spektakulärste Werk der Chapmans: die "Hölle" von 1999, ein gigantisches Tableau aus 30.000 kleinen Figuren meist in Naziuniformen, die mit großer Gewissenhaftigkeit alle Spielarten von Gräueltaten vorführen. In gewisser Weise passt es zu diesem Werk sogar, dass es 2004 bei einem Großbrand komplett zerstört wurde.

    Aber wahrscheinlich wäre es pietätlos, den Chapmans zu unterstellen, sie hätten es selbst getan.