Ratlosigkeit und Zweifel ist auch die Gemengelage in Berlin, kurz vor der Halbzeit der politischen Wahlperiode. Da sitzt Teamchef Schröder zwar noch auf der Regierungsbank. Aber auch sein Stuhl wackelt. Eine Wahlschlappe für die SPD folgte der anderen, zuletzt bei der Europawahl, der Landtags- und später der Kommunalwahl in Thüringen. Wenn jetzt der Bundestag gewählt würde, so eine aktuelle Umfrage für den Deutschlandtrend im Auftrag von ARD und Berliner Tagesspiegel, käme die Kanzlerpartei nur noch auf 23 Prozent der Stimmen. Das sind im Vergleich zum Vormonat vier Punkte weniger. Und das ist der geringste Wert für die SPD, der bislang überhaupt im Deutschlandtrend gemessen wurde.
Die bürgerliche Opposition könnte jetzt frohlocken. Union und FDP würden eine komfortable Mehrheit erzielen, ja, wenn denn am nächsten Sonntag tatsächlich gewählt würde. Zum Beginn der diesjährigen Sommerpause stellt sich mehr denn je die Frage: Wie regierungsfähig wäre die Opposition zur Halbzeit bei einem vorzeitigen Ende der Regierung? Wie steht es um die inhaltliche und personelle Verfassung vor allem der Unionsparteien?
Grundsätzliche Voraussetzung dafür wäre, dass Schröder und seine rot-grüne Mannschaft aufgeben. Der Parteienforscher an der Universität Göttingen, Professor Peter Lösche:
Ich glaube nicht, dass die Regierung Schröder jetzt zur Halbzeit nach zwei Jahren am Ende ist. Denn: Es ist furchtbar schwer, eine Regierung zu stürzen. Da muss ein Koalitionswechsel einer Partei zu einer anderen stattfinden. Die Mehrheit, die am Beginn der Legislaturperiode vorhanden war, ist auch heute noch vorhanden. So schlecht die Politik sein mag: Man kann eine Regierung kaum stürzen.
Der wahrscheinliche Juniorpartner in einer bürgerlichen Koalition, die FDP, sieht das genauso:
Das beste Beschäftigungsprogramm für Deutschland wären Neuwahlen. Deswegen wäre das aus meiner Sicht das beste, was Deutschland passieren könnte. Trotzdem: die Regierung ist bis 2006 gewählt. Und wir müssen damit rechnen, dass sie ihre Regierungszeit aussitzt.
Cornelia Piper, die Generalsekretärin der Freidemokraten.
Auch in der Union äußert sich der sonst so forsch formulierende stellvertretende Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz zurückhaltend.
Wir müssen auf beides vorbereitet sein. Dass die Regierung Schröder bis Ende 2006 durchhält, das halte ich – auch aus der gegenwärtigen Situation heraus – für die wahrscheinliche Entwicklung. Aber es kann auch sein, dass es relativ schnell zu Ende geht, etwa nach den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen Ende September. Wenn die SPD dort wieder ein solches Ergebnis einfährt, wie bei der letzten Kommunalwahl 1999 und sich die Serie der Niederlagen so fortsetzt, dass die Substanz der SPD wirklich in Gefahr gerät. Dann könnte es sein, dass Müntefering die Notbremse zieht, den Kanzler auswechselt und dass das Auswechseln des Kanzlers nicht funktioniert und keine Mehrheit im Parlament mehr entsteht. Aber: Das Grundgesetz hat die Regierung mit einer relativ starken Position gegenüber dem Parlament ausgestattet. Wenn eine Regierung erst einmal im Amt ist, ist es relativ schwer, sie loszuwerden. Und insofern rechne ich eher mit dem ersten Szenario. Aber gleichwohl: Man muss einkalkulieren, dass es früher zu Ende geht. Und da muss die Union vorbereitet sein.
Allenthalben sich die Chancen für die Union also eher schlecht, frühzeitig das Regierungszepter zu übernehmen. Aber greifen wir die Forderung von Friedrich Merz auf und kommen damit zur zentralen Fragestellung: Wäre die bürgerliche Opposition, allen voran die Union, jetzt schon vorbereitet, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen?
Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth gilt als Kenner der Union. In seinem Buch "Das Innenleben der Macht – Krise und Zukunft der CDU" beschreibt er eingehend nicht nur die Machtstrukturen innerhalb der Partei, sondern auch ihre inhaltlichen und personellen Perspektiven. Vor diesem Hintergrund und seiner Sicht der jüngsten Ereignisse, zeichnet Langguth folgendes Bild über die Union:
Sicherlich hat die Union in den letzten Monaten, auch vor den Europawahlen, nicht immer ein ganz geschlossenes Bild gezeigt. Und sicherlich ist auch deswegen die Frage berechtigt: Ist sie eigentlich schon regierungsfähig? Ich glaube ja, weil sie dann auch ihre Entscheidungsprozesse beschleunigen müsste in einer ganzen Reihe von Punkten, aber in Fragen der Rentenbesteuerung, in Fragen der Gesundheitspolitik, selbst in der Irak-Frage, war sie in vielen Punkten, vor allem im Verhältnis zur CSU, eben nicht einig. Und das ist ein Problem, mit dem die Frau Merkel in den nächsten Monaten rechnen muss.
Damit ist die allmächtige CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende angesprochen. Kann sie die vielen programmatischen Ungereimtheiten im Unionslager ausräumen?
In einer jetzt vorgelegten Umfrage von Emnid bezeichnen 71 Prozent der Befragten Frau Merkel als durchsetzungsstark. Starken Rückhalt in der Partei bescheinigen ihr immerhin 56 Prozent. Und 70 Prozent der Befragten finden Angela Merkel kompetent. Damit hat die Unionschefin als Führungspersönlichkeit erheblich an Ansehen gewonnen. Aber könnte sie sich im harten Regierungsgeschäft behaupten? Der CDU-Insider Gerd Langguth:
Ich denke, dass sie sich in einer ganzen Reihe von Positionen durchsetzen wird. Denn eines hat sie: Sie hat einen eisernen Willen zur Macht. Sie wird, wenn sie in der Regierung sein wird, sicherlich die ersten Monate nutzen wollen – vielleicht in der Tat im Stil einer Frau Thatcher mit einem eisernen Besen, wie sie dann vielleicht formulieren würde – einige auch unpopuläre Dinge zu entscheiden. Denn eines ist ja klar: Bei den ständigen Landtagswahlen, die in Deutschland sind, müsste eine neue Regierung ganz schnell hier reagieren und versuchen, aus der schwierigen Schieflage der jetzigen ökonomischen Situation herauszukommen.
Gewiss: Schon wegen des enormen Reformbedarfs in Deutschland müsste sich eine Kanzlerin Merkel gleich bei Regierungsantritt ans Eingemachte heranmachen. Aber, um beim Vergleich zu Maggie Thatcher zu bleiben: Taugt Angela Merkel als deutsche "eiserne Lady"? Bringt sie neben dem Willen zur Macht auch das inhaltliche Rüstzeug mit?
Der Parteienforscher Lösche hat seine Zweifel:
Ich sehe das nicht so ganz, dass sie inhaltlich präpariert wäre. Denn: Sie hat erst eine relativ kurze politische Karriere hinter sich. Kanzler durchlaufen normalerweise viele Ämter, bevor sie ins Kanzleramt einrücken, waren, Beispiel Helmut Schmidt, Finanzminister, Verteidigungsminister, vorher Senator in Hamburg. Hinzu kommt, dass Angela Merkel immer wieder Hilfe von außen holt bei der Formulierung von Programmen oder grundsätzlichen Positionen. Und da kommt dann da ein PR-Deutsch mit hinein, das deutlich zeigt, dass sie selbst das gar nicht produziert hat. Das heißt: Sie stellt sich damit selbst in Frage.
PR-Deutsch: Damit meint Lösche das 2001 vorgelegte Konzept der CDU-Vorsitzenden für eine "Neue Soziale Marktwirtschaft". Für viele ist das ein alter Schuh, der etwas aufpoliert wurde, aber nicht wirklich neuen programmatischen Glanz bringt. Zumal das Konzept der – wenn man so will - ALTEN Sozialen Marktwirtschaft in der Bevölkerung positiv besetzt ist, auf die sich selbst der sozialdemokratische Bundeskanzler beruft.
Solche von vielen als Fehlgriffe empfundene Äußerungen leistete sich Frau Merkel in den vergangenen zwei, drei Jahren nicht mehr. Insbesondere die auf dem CDU-Parteitag im Dezember 2003 gefassten Beschlüsse zum Sozial- und Steuersystem markieren so etwas wie einen Wendepunkt. Auch wenn Roman Herzog und Friedrich Merz die geistigen Urheber waren: Frau Merkel hat sich deren Inhalte zu eigen gemacht und in der Partei dafür die Mehrheiten beschafft, was schwer genug war, angesichts des mächtigen Eigenlebens der CDU-Landesverbände und der selbstbewussten CDU-Ministerpräsidenten sowie der unterschiedlichen Strömungen in den Vereinigungen der Partei: von den linken CDU-Sozialausschüssen bis hin zum liberal-konservativen Wirtschaftsrat.
Erst in jüngster Zeit musste die solchermaßen programmatisch gefestigte Angela Merkel feststellen, wie die eigenen Parteifreunde wieder vieles zunichte machen.
Da ist vor allem der große Bereich der Steuerreform. Das Dreistufen-Konzept von Friedrich Merz, schon in der CDU umstritten, wurde von der CSU gekippt. Für den Fall einer Regierungsübernahme einigten sch die Schwesterparteien lediglich auf einen weichen Kompromiss: Steuersenkungen ja, einstweilen aber keine deutliche Abkehr vom linear-progressiven System. Erst zwei Jahre später sollen die weitergehenden Vorschläge von Merz noch mal auf den Tisch kommen.
Große Uneinigkeit in der Union dann auch in der Gesundheitspolitik. Die CDU favorisiert eine vom Einkommen losgelöste Kopfpauschale. Die Christ-Sozialen halten dagegen, sehen eine soziale Schieflage entstehen, wenn der Chef von Siemens den gleichen Krankenversicherungs-Beitrag zahlt wie die Kassiererin im Supermarkt.
Angesichts der Differenzen in diesen beiden entscheidenden Reformbereichen spricht der CDU-Experte Gerd Langguth von unionsinterner Kakophonie. Der aktive Parteipolitiker Friedrich Merz beschwichtigt. Er sieht die Union zur Halbzeit der Legislaturperiode nicht nur gut aufgestellt. Er verkneift sich sogar für den Moment Seitenhiebe gegen Parteichefin Merkel, die Frau, die ihn nach der Bundestagswahl aus dem Amt des Fraktionsvorsitzenden gedrängt hatte.
Die personellen Fragen sind wichtig, aber die sind nicht die wichtigsten, und vor allem sind sie schnell entschieden. Wenn die Union in die Regierungsverantwortung vorzeitig gehen kann, dann wird sie sich auch schnell personell entscheiden. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass die sachlichen Fragen mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger sind. Und da sind wir in der Arbeitsmarktpolitik abgeschlossen. Das kann man immer nachjustieren. Aber: Das Gesetz liegt auf dem Tisch. Arbeitsrechtsmodernisierungsgesetz. Das Gesetz haben wir bereits im letzten Jahr im Bundestag eingebracht. Die rot-grüne Mehrheit hat es abgelehnt. Das kann man mit neuen Mehrheiten sofort beschließen. In der Steuerpolitik sind wir sehr weit. Die Arbeit dort geht im Detail auch weiter. Da sind jetzt sehr viele technische Fragen. Etwa ein neues Steuerbilanzrecht muss geschrieben werden. Aber das bereite ich vor. Und das dritte große Thema ist die Sozialpolitik. In der Sozialpolitik stehen ein paar grundlegende Entscheidungen noch in der Union bevor. Also etwa die Frage Zukunft der Kranken- und Pflegeversicherung. Die Frage werden wir im Herbst entscheiden. Und dann sind Ende 2004 alle Sachfragen entschieden.
Zweifel über soviel Einigkeit und Aktionskraft in der Union sind angebracht. Das wird deutlich bei den gerade angesichts der aktuell wieder deutlich hervorgetretenen Differenzen über Härte und Abfederung der eigenen Reformvorschläge.
Während Friedrich Merz in diesen Tagen in ausführlichen Interviews immer wieder ein klares Profil der Union in der Finanz-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik verlangt, fordert der CSU-Generalsekretär Markus Söder, nicht nur auf harte ökonomische Themen zu setzen.
Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Piper legt da genüsslich den Finger in die Wunde des wahrscheinlichen Koalitionspartners:
Nicht nur in der CSU, auch in der CDU gibt es Personen, die sozialdemokratischer sind als manche Sozialdemokraten. Ich denke da auch an das Gesundheitsmodernisierungsgesetz. Das, was Horst Seehofer hier vorgelegt hat, entspricht nicht den freiheitlichen Vorstellungen der FDP. Hier gehen wir ganz andere Wege, die auf Eigenverantwortung und trotzdem auf Solidarität setzen.
Doch auch die FDP, der potentielle Koalitionspartner der Union, ist nicht frei von Widersprüchlichkeiten, meint Politikwissenschaftler Lösche:
Es gibt große Differenzen zwischen CDU/CSU auf der einen und FDP auf der anderen Seite. Die CDU/CSU ist eine Volkspartei. Sie muss auf viele Interessen Rücksicht nehmen. Die FDP auf der anderen Seite ist eine reine Klientelpartei, die deutlich Steuersenkungen haben möchte, deren Grenzen aber dort sind, wo die eigenen Wähler betroffen sind, siehe etwa: Pharmaprodukte verkaufen im Internet. Oder: die Handwerksordnung. Die FDP versucht sich zu profilieren durch Bürgerrechte, die sie betont, aber genau da läge dann ein Konflikt mit der CDU/CSU.
Bei aller beschworenen Endzeitstimmung im Regierungslager kann die Opposition zwar von der Schwäche der Regierung profitieren; das heißt aber noch nicht, dass die Herausforderer in der Bevölkerung als "Retter in der Not" angesehen werden. Bestätigt wird dies in einer kürzlich erst vorgelegten Studie von Forsa im Auftrag des Magazins "Stern": Danach sind gerade mal 16 Prozent der Wähler der Meinung, dass eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung es besser machen würde. 80 Prozent glauben eben nicht, dass die Union die besseren Konzepte hätte.
Diese Zahlen machen deutlich: Ein baldiger vorzeitiger Urnengang im Bund wäre allenfalls die Wahl "zwischen Pest und Cholera".
Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Regierungsgeschäft, dann kann man Schröder - bei aller mangelhaften Akzeptanz in der Bevölkerung - zu mindest attestieren, gehandelt zu haben. Wichtige Projekte, wie die Gesundheitsreform oder die Arbeitsmarktreform, sind angeschoben worden. Übrigens – wenn auch zähneknirschend: mit Unterstützung der Opposition.
Schröder hat vor dem Hintergrund der Wahlschlappen und der schlechten Umfragen deutlich gemacht: Es gibt keinen Weg weg vom Reformkanzler, auch wenn es sein Untergang sein sollte. Das klingt entschlossen und erinnert an den einstigen eisernen Kanzler Bismarck oder den immer noch sehr geschätzten Helmut Schmidt. Angela Merkel hat es mit den persönlichen Vergleichen da ungleich schwerer: Die eiserne Lady aus Britannien war in Deutschland schon immer unbeliebt, und der einstige Übervater Helmut Kohl ist - gerade in der jetzigen Reformdiskussion - alles andere als eine Empfehlung.
Es scheint, als wäre da nun Horst Köhler zur rechten Zeit auf die politische Bühne getreten. In seiner Antrittsrede verteilte der neue Bundespräsident geschickt Lob und Tadel. Die Agenda 2010 weise immerhin in die richtige Richtung, erklärte er, und die Regierungsbank lachte ironisch-geschmeichelt. Und dann nahm das CDU-Mitglied Köhler seine eigene Partei in die Pflicht. Die Opposition, sagte er, brauche den "Mut, ihre Vorschläge vollständig klar zu machen und ihre Alternativen zur Regierung klar vorzulegen." Angela Merkel machte es dem Kanzler gleich und reagierte ebenfalls mit souveräner Miene. Aber den Kern der Köhler-Botschaft, den dürfte sie verstanden haben: So einfach wie Köhler ins Präsidialamt einzog, kommt man nicht in das Berliner Kanzleramt. Man muss dafür kämpfen und den Wählern sagen, was man will.
Dass Frau Merkel kämpfen kann, hat sie in ihrer steilen Parteikarriere bewiesen. Ihre Hausaufgaben bei der Aufstellung der Union hat sie indes noch nicht erledigt. So wie es aussieht, dürfte sie noch ein wenig Zeit dafür haben: Bis zur Kommunalwahl im September in Nordrhein-Westfalen, wenn es, wie gerade zu hören war, nach Friedrich Merz geht. Oder bei einem ebenso schlechten Abschneiden der SPD bei den NRW-Landtagswahlen im Mai 2005, wie es Kommentatoren in Berlin immer wieder prognostizieren. Wenn es nach dem Kanzler geht, muss Frau Merkel sogar bis zum Herbst 2006 warten.
Besonders acht geben muss sie dabei auf ihre innerparteilichen Gegner. Im Moment haben die sich auf eine Art Waffenstillstand verpflichten lassen. Im geeigneten Augenblick könnten diese aber Frau Merkel Steine in den Weg ins Kanzleramt werfen. So handzahm sich Friedrich Merz im Moment auch äußern mag, er hat noch einige Rechnungen mit Frau Merkel offen und dürfte sich ohnehin für den inhaltlich Überlegeneren halten. Roland Koch, der Wiesbadener Ministerpräsident, war über das taktische Vorgehen seiner Vorsitzenden bei der Kandidatenkür fürs Bundespräsidentenamt mehr als verärgert. Als Regierungschef eines wirtschaftlich so wichtigen Bundeslandes wie Hessen, bringt er zudem genügend Selbstvertrauen mit, selbst eine Kanzlerkandidatur zu beanspruchen. Das dürfte bei dem Kopf der Union, bei Wolfgang Schäuble, zwar nicht mehr der Fall sein. Aber auch er wird auf Merkel nicht mehr gut zu sprechen sein. Ihren Vorgänger setzte sie weder als Regierenden Bürgermeister von Berlin noch als Bundespräsident durch. Kommen wir schließlich zu den so genannten Parteifreunden in der Schwesterpartei. Da ist zunächst zu nennen der CSU- und Unionsfraktionsvize Horst Seehofer. Er fühlt sich von Merkel links liegen gelassen und rebelliert um so heftiger und beschädigt damit die programmatische Aufbauarbeit der Unionsvorsitzenden. Wenn auch nicht ganz so heftig, bläst auch CSU-Chef Edmund Stoiber ins gleiche Horn, wenn er immer wieder das eigenständige Profil seiner Partei herausstellt. Streng genommen ist Stoiber immer noch der offizielle Kanzlerkandidat der Union. Und dass Stoiber die K-Frage 2006 für sich noch nicht abgeschrieben hat, wurde unlängst deutlich, als er den attraktiven Posten des europäischen Kommissionspräsidenten einfach ausschlug.
Selbst wenn es Frau Merkel einstweilen gelingen sollte, ihre direkten Konkurrenten in Schach zu halten, dürfte ihr doch zu schaffen machen, dass in der Union die Erkenntnis wächst, auch sie könnte am harten Regierungsgeschäft scheitern. Scheitern nicht am eigenen Halbfertigen in den zentralen Reformfragen, sondern scheitern vor allem am Widerspruch zwischen den geweckten Hoffnungen in der Bevölkerung und den nur begrenzten Handlungsmöglichkeiten. Es gibt ernstzunehmende Stimmen in der Union, die nicht ausschließen wollen, dass eine Kanzlerschaft Angela Merkels vier Jahre dauert und dann die Union ebenso von ihren Wählern verstoßen wird wie jetzt die SPD.
Insofern ist die Beantwortung der Frage, ob die oppositionelle Union schon jetzt die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte, eher zweitrangig. Tiefgreifender dürften da in den kommenden Jahren die etwaigen Verwerfungen in der Parteienlandschaft sein – mit allen Folgen für unsere parlamentarische Demokratie. Die jetzt so vor Selbstvertrauen strotzende Union und ihre mächtige Chefin Merkel müssten dann wirklich zeigen, ob sie das Zeug zum Regieren haben.