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Von Opfern und Tätern

Auf Versagen und Ausbruch aus dem System steht der Tod: Die Schrecken des Kommunismus sind in jeder Zeile des Buches von Leonardo Padura zu spüren. Ebenso seine Kritik am kubanischen Regime. Dennoch soll "Der Mann, der Hunde liebte" in diesen Tagen auch in Havanna auf den Markt kommen.

Von Eva Karnofsky | 30.03.2011
    Gleich vorweg: "Der Mann, der Hunde liebte" ist ein großartiger Roman und bis zur Letzten seiner 730 Seiten fesselnd. Und das, obwohl der Leser von vornherein weiß, dass gegen Ende ein Mord passieren und der Mörder gefasst wird: Einer der drei Protagonisten des Romans, der russische Revolutionär und Marxismus-Theoretiker Lew Dawidowitsch Bronstein, besser bekannt unter seinem Pseudonym Leo Trotzki, wird in seinem Haus in Mexiko-Stadt mit einem Eispickel erschlagen. Autor Leonardo Padura stellt dem Roman eine entsprechende Meldung der Nachrichtenagentur TASS voran.

    Auch den Mörder und zweiten Protagonisten des Romans, den Spanier Ramón Mercader, führt der Autor gleich auf der ersten Seite ein: Er zitiert einen Ausschnitt eines Verhörs durch den Chef des mexikanischen Geheimdienstes.

    Doch dann geleitet uns Leonardo Padura erst einmal auf einen Friedhof im Havanna des Jahres 2004, wo der Leser dem einzigen fiktiven Protagonisten des Romans begegnet, dem Kubaner Iván Cárdenas Maturell. Iván hat gerade seine Frau Ana verloren, und er erinnert sich, wie er ihr kurz vor ihrem Tod ein Geheimnis anvertraute:

    Ana und ich hatten ein so großes Vertrauen zueinander, dass ich, als wäre es mir ein natürliches Bedürfnis gewesen, eines Abends, an dem der Strom abgestellt war, unser Hunger kaum gestillt und wir von Sorgen und Hitze gequält wurden, damit begann, ihr von dem Mann zu erzählen, den ich vierzehn Jahre zuvor getroffen und seit dem Tag unserer Begegnung "den Mann, der Hunde liebte" genannt hatte. Damit sie eine Vorstellung bekam, wie sehr mich die Begegnung mit jenem Mann und seine irre Geschichte von Hass, Betrug und Tod beeindruckt hatten, gab ich ihr sogar die Aufzeichnungen zu lesen.

    Der Mann war Ramón Mercader. Der Trotzki-Mörder hat tatsächlich nach seiner 20-jährigen Haft in Mexiko bis zu seinem Krebs-Tod 1978 unter falschem Namen in Havanna gelebt.

    Was nun folgt, sind drei alternierend erzählte Lebensgeschichten - drei Romane, wenn man so will -, die der Mord an Trotzki verbindet. Ramón Mercaders Biografie, wie dieser sie Iván in mehreren Begegnungen zu Protokoll gegeben hat, und die Geschichte Trotzkis im Exil, wie Iván sie sich nach der Lektüre meist verbotener Bücher vorstellt, zeugen ebenso vom Scheitern des Kommunismus wie auch Iváns in Ich-Form erzählte Lebensbeichte. Ihn hat das kubanische Regime gebrochen, denn er wurde getreu stalinistischer Tradition dazu gezwungen, wegen angeblicher konterevolutionärer Verwirrung seine Schriftstellerkarriere aufzugeben, sich ins innere Exil zurückzuziehen und als Redakteur einer Veterinärzeitschrift zu arbeiten, der mit dem Impfen von Hunden sein karges Salär aufbessert.

    Die Drei eint nicht nur, dass der Kommunismus stalinistischer Prägung ihr Leben zerstört hat. Sie eint auch ihre Liebe zu Hunden, jeder der Drei ist der Mann, der Hunde liebte. Es sind Mercaders Hunde, die ihn am Strand von Havanna mit Iván zusammenbringen. Und das Schicksal des Hundenarrs Trotzki war an jenem Tag während des Spanischen Bürgerkrieges besiegelt, als Ramóns Mutter dessen Hund erschoss, um ihrem Sohn schmerzlich klarzumachen, dass seine Liebe nur der Revolution und Stalin zu gelten habe. Mercader stimmt daraufhin zu, dem russischen Geheimdienst beizutreten und sich auf Trotzkis Ermordung vorzubereiten.
    Die Geschichte Trotzkis setzt 1929 ein, mit dessen Aufbruch in die von Stalin verfügte Verbannung, die ihn von einem sibirischen Lager zunächst in die Türkei führt.

    Angesichts des Abgrunds, der sich vor ihm und seiner Familie auftat, beklagte Lew Dawidowitsch mehr denn je seinen mangelnden Realismus und sein übermäßiges Vertrauen, die ihn all die Jahre hindurch blind gemacht und zugelassen hatten, dass sich vor seinen Augen jenes Krebsgeschwür namens Josef Stalin innerhalb der Mauern des Kreml gebildet und ausgebreitet hatte.

    Leonardo Padura lässt Trotzki, wie auch seinen Mörder Mercader so lebendig werden, dass der Leser mit ihnen fühlt und insgeheim hofft, zumindest im Roman möge die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen. Sorgfältig und einfühlsam, ja mitfühlend, arbeitet Padura ihre Charaktere heraus und stellt sie in den historischen Kontext der politisch bewegten Jahre bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.

    Er zeichnet Trotzkis verzweifelte Versuche nach, im Exil eine Opposition gegen Stalin zu organisieren, obwohl Stalin viele seiner Anhänger zum Verrat zwingt oder ermorden lässt. Opfer stalinscher Bündnispolitik, muss Trotzki erst die Türkei und dann Norwegen und Frankreich verlassen, bis schließlich nur noch Mexiko ihm Asyl gewährt. Der Erzähler begleitet einen früh gealterten Mann, der sich immer wieder gegen den Stalinismus aufbäumt. Nicht zuletzt, weil er erkennt, dass er mitverantwortlich ist für das System, das Stalin unumschränkte Macht gewährt. Padura zeichnet Trotzki als ein Opfer, das auch Täter ist.

    Vor allem aber warf er sich vor, sich nicht mutig zu den Exzessen bekannt zu haben, die er begangen hatte, um die Revolution zu verteidigen und ihre Fortdauer zu sichern. Auch wenn er es niemals öffentlich zugeben würde, beklagte er seit mehreren Jahren die Momente, in denen er sich von der Gewalt hatte hinreißen lassen.

    Genauso gut, wie er die Diktion des marxistischen Intellektuellen und Politikers Trotzki trifft, findet sich Padura in die Sprache ein, die die jeweilige Identität dem stalinistischen Geheimagenten Ramón Mercader abverlangt. Von Hans-Joachim Hartstein glänzend übersetzt, kommt dieser mal als zärtlicher Liebhaber, mal als Geschäftsmann, und mal als ängstlicher Sohn einer übermächtigen Mutter daher.

    Aus Sicht Paduras ist auch Mercader nicht nur Täter, sondern ebenfalls Opfer. Die Wirren des Spanischen Bürgerkriegs, an dem der junge Mercader auf republikanischer Seite teilgenommen hat, eine Freundin, die nur für die kommunistische Sache lebt und eine von Hass auf die großbürgerliche Gesellschaft zerfressene Mutter bringen den labilen Mann dazu, sich bedingungslos dem Kampf für den Kommunismus zu verschreiben. Der Geliebte der Mutter, ein zunächst für Stalin in Spanien tätiger sowjetischer Geheimagent, unterzieht ihn in einem sowjetischen Ausbildungscamp einer Gehirnwäsche, die der Roman in aller Härte schildert:

    Krieg das endlich in deinen verdammten Schädel: Du denkst nicht, du gehorchst; du handelst nicht, du führst aus; du entscheidest nicht, du erfüllst; du wirst meine Faust an der Gurgel dieses Hurensohns sein, und meine Stimme wird die des Genossen Stalin sein, und Stalin denkt für uns alle, verdammt!

    Auf Versagen oder Ausbrechen aus dem System steht der Tod. Angst, so stellt Mercaders Agentenführer nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bei einem Treffen mit ihm fest, wurde vom Stalinismus zur Lebensform erhoben, sie ist in jeder Zeile des Buches spürbar, denn sie begleitet die drei Protagonisten, auch Iván.

    "Aber was hätten sie dir denn tun können?", fragte Ana. "Dich töten?"
    - "Nein, getötet haben sie einen nicht."
    "Also dann, was hätten sie dir Schreckliches antun können? Ein Buch von dir zensieren? Was noch?"
    - "Nichts."
    "Wie, nichts?", schrie sie mich fast beleidigt an.
    "Sie haben dir nichts getan. Weißt du, wie es ist, dich in ein Nichts zu verwandeln? Ich weiß das nämlich, denn ich selbst bin zu einem Nichts geworden... Und ich weiß auch, was es heißt, Angst zu haben."


    Aus Angst hat Iván seinen Roman über ihn selbst, Mercader und sein Opfer nie veröffentlicht, er erscheint erst nach seinem Tod, über dessen Umstände hier nichts verraten werden soll.

    Nie hat der auf Kuba lebende Leonardo Padura sich so weit vorgewagt mit der Kritik am Kommunismus generell und am kubanischen Regime im Speziellen. Und dennoch soll sein Buch in diesen Tagen auch in Havanna auf den Markt kommen. Dies gibt zu Spekulationen Anlass: Es mag der große Bekanntheitsgrad des Autors im Ausland sein, der die Regierung Raúl Castros daran hindert, sich die Blöße zu geben, ihn zu zensieren. Oder zeichnet sich gar eine Abkehr von den Relikten des Stalinismus ab, die "Der Mann, der Hunde liebte" anprangert? Nicht nur Kubas Schriftstellern wäre dies zu wünschen.