Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Von Plüschbären und anderem Kuscheligem

Aus bis zu 100 Einzelteilen nähen die Angestellten der Kösener Spielzeugmanufaktur Plüschtiere zusammen, 70.000 Stück im Jahr. Nachdem das Unternehmen vor einigen Jahren vor der Schließung stand, exportiert die Manufaktur mittlerweile wieder weltweit.

Von Nadine Querfurth | 21.04.2013
    Die Saale macht vielen Windungen, bevor sie den kleinen Ort Bad Kösen erreicht. Tief in den Muschelkalk hat sie hier ihr Flussbett gegraben. Am Südufer thront in 85 Metern Höhe auf einem Bergrücken die Rudelsburg. Dort hinauf führt die Rudelsburgpromenade, an der auf halber Strecke, etwas zurückversetzt, ein graues, mehrstöckiges Gebäude steht. Früher diente es als Heizhaus des Kurortes, heute entstehen hier hinter verschlossenen Türen jedes Jahr 70.000 Plüschtiere in Handarbeit. Es ist der Sitz der Kösener Spielzeugmanufaktur. Letztes Jahr feierte man 100-jähriges Jubiläum - ohne Helmut Schache undenkbar. 1992 wäre mit der Produktion von Tiger, Bär und Co fast Schluss gewesen, erinnert sich der 67-Jährige:

    "Es gab Interesse am Gebäude, aber nicht an der Fortführung des Unternehmens. Und dann haben es meine Frau und ich buchstäblich bei Nacht und Nebel gekauft. Wir haben 23:45 Uhr unterschrieben mit allen Sorgen und Nöten, die es gibt. Der Vertrag ist noch 13-mal geändert worden, weil so viele Leichen im Keller lagen. So sind wir Spielzeugunternehmer geworden. Ich bereue gar keine Entscheidungen. Ich bin Vollblutunternehmer, das, was ich mache, mache ich richtig oder gar nicht."

    "Volle Kraft voraus" war schon immer Schaches Motto. Landmaschinentechniker ist er von Hause aus. Als Einmann-Bauunternehmer hatte er bis zur Wende ein Kirchengerüst und restaurierte vor dem Verfall stehende Kirchtürme, auch den von Bad Kösener. Schache ist eine Retternatur. Erst die Kirchtürme, dann die Spielzeugmanufaktur.

    Er stößt mit Kraft die Eingangstür zur Manufaktur auf und läuft zu seinem Büro im Obergeschoss. Wenn man in seinem Büro steht, ahnt man, was es heißt, eine Plüschtierfabrik zu besitzen: Hier ist alles verspielt. In einer Ecke des Zimmers sitzt ein Plüschnilpferd. Stolze 1,10 Meter ist es groß. Vor dem Schreibtisch liegt sein besonderer Liebling: der König der Tiere. Er hat ihn auch zum Logo inspiriert, das jedem Plüschtier aus der Fabrik als Holzschild angenäht wird.

    "Ich bin von Sternzeichen Löwe, der Schwanz bezieht das ö mit ein. Vorher hatten wir ein Logo mit zwei Puppen. Jetzt sind naturnahe Plüschtiere unsere Stärke, manchmal sind sie zu verwechseln mit den echten, aber ich gebe zu, die Natur übertreffen wir nicht."

    Vor den Plüschtieren waren es Puppen, die Bad Kösen neben der Thermalsole berühmt gemacht haben. Käthe Kruse hat im Jahre 1912 hier den Grundstein für die Spielzeugmanufaktur gelegt. Die junge Mutter war schon immer künstlerisch begabt und nähte ihrer kleinen Tochter Maria, liebevoll Mimerle genannt, mit einfachsten Mitteln eine Puppe.

    Ich habe angefangen mit einer Kartoffel, die ich in ein Handtuch band. Das war der Kopf. Und die vier Zipfel waren die Arme und Beine. Und den Körper füllte ich mit warmem Sand. Das war eine herrliche Puppe für mein Mimerle: schwer, weich und warm wie ein Babykörper.

    Später wurden die Käthe Kruse Puppen mit Rehhaar gestopft und mit weichem Stoff umhüllt. Die junge Unternehmerin Kruse holte ihren Augenmaler, der mit großer Sorgfalt ihren Puppen Pupille und Wimpern anmalte, ebenfalls nach Bad Kösen und die erfolgreiche Serienproduktion nahm ihren Beginn. Heute ist der Ort untrennbar mit den Käthe-Kruse-Puppen verbunden, dabei war es der Keuchhusten der kleinen Tochter, der Familie Kruse dorthin brachte. Die Kösener Sole sollte die Tochter heilen.

    Mittlerweile – fast 100 Jahre später – entstehen in der Manufaktur keine Puppen mehr, sondern nur noch Plüschtiere. Für ihr Aussehen ist Designer Peter Straubel zuständig. Er kreiert zwar nach Lust und Laune, greift aber auch aktuelle Anlässe auf, erzählt Helmut Schache:

    "Als die ersten Wölfe wieder nach Deutschland kamen, haben wir mit der NABU Wölfe gemeinsam entwickelt. Mit der Sielmannstiftung arbeiten wir auch zusammen. Und als in Deutschland Luchse wieder ausgewildert wurden im Harz, haben wir einen großen Luchs in Lebensgröße gemacht, damit die Menschen sehen können, wie sieht er aus und damit sie sehen, dass er gar nicht so gefährlich ist."

    Um ein neues Tier entstehen zu lassen, braucht Peter Straubel erst mal nur zwei Dinge, nämlich Papier und Stift. Dann kommt das Naturstudium in freier Wildbahn. Bei Maus, Katze und Hund ist das realisierbar, bei Gepard, Löwe und Elefant eher nicht. Deshalb geht er oft in den Zoo.

    "Den Kiwi, zum Beispiel, da war das Problem, den gab es nur in zwei Zoos in Deutschland. Dann ist der in einer rückwärtigen Haltung gewesen, also man konnte ihn als Zuschauer nicht sehen. Bis nach Neuseeland fliegen ist dann für die Plüschtierentwicklung ein bisschen aufwendig. So musste ich mit Material aus Zoobüchern und dem Internet leben."

    Um sich ein neues Tier in allen drei Dimensionen vorstellen zu können, fertigt Peter Straubel ein Modell aus Ton. Davon stehen ungefähr 30 Stück aus rötlichem, erdfarbenem Ton in den Regalen neben seinem Schreibtisch. Nackt sehen sie noch aus, aber die Verhältnisse von Beinen, Körper und Kopf stimmen. In das feuchte Tonmodell ritzt der Designer Schnittlinien, dort verläuft später eine Naht.

    "Dann wird von dem Tonmodell der Schnitt abgenommen und ein erstes Muster genäht. Das macht unsere Musternäherin. Dann wird am Muster geändert, manchmal bis zu 15 oder 20 Tiere müssen entstehen, bis ein vollendetes Tier da ist, was uns auch allen gefällt. Wenn das soweit klar ist, geht es in die Produktion zum Testen. Dann wird eine Nullserie gefahren 20 bis 40 Tiere."

    Stimmen die Proportionen, beginnt die richtige Produktion. Alle Einzelteile müssen nun im Zuschnitt, wie der Fachmann sagt, aus Plüschen ausgestanzt werden.

    Alleine das Gesicht des Luxes zum Beispiel besteht aus 28 Teilen, sodass für ein einzelnes Plüschtier manchmal bis zu 100 Teile ausgestanzt werden müssen. Über 150 Stoffrollen lagern in einer großen Halle: Plüsche mit Streifen, Punkten, Flecken in allen erdenklichen Farben und Mustern. In der großen Halle stehen 30 Arbeitstische mit Nähmaschinen.

    - Näherin: "Ich mache jetzt den Hund und setze am Köpfchen die Ohren an."
    - Schache: "Nach dem Nähen, das wird alles links herumgemacht, dann wird das Tier gewendet."
    - Näherin: "Ich muss 100 Stück in der Stunde wenden."
    - Schache: "Sie kann das im Schlaf."
    - Näherin: "Ich mache den ganzen Tag nicht nur Hasen. Da liegt der kleine Panda drinnen."
    Nach dem Wenden der Stoffhülle kommt Leben in das Plüschtier. Per Knopfdruck schießt Füllwatte aus dem Rohr direkt in das Kuscheltier. Pfoten, Beine und der Kopf richten sich auf, der Körper wird prall und zum Kuscheln weich.

    Im letzten Arbeitsschritt werden den Katzen, Wölfen und Mäusen in der Garniererei die Schnurrhaare angenäht, die Schweinchen in Form gebracht, den Bären die Krallen geformt. Dann geht es an den Schminktisch.

    "Ich spritze den Mund von dem Teddybär."
    Wild zusammengewürfelt sitzen die fertigen Plüschtiere in roten Pappkisten: der Eisbär neben dem Wüstenfuchs, der Specht auf dem Alpaka, das Erdmännchen neben dem Panda, der Igel auf dem weißen Hasen. Vom Lager aus werden die Tiere in alle Welt verschickt. Hauptabnehmer sind die Japaner. Ein anderer Teil der fertigen Tiere ist für den Laden in Bad Köseners Innenstadt bestimmt. Helmut Schache liefert meist persönlich.

    Als sein Auto die Fabrik verlässt, sieht der Unternehmer die Rudelsburg im Rückspiegel. Gemeinsam mit der Burg Saaleck und der Burg Camburg hatte sie im Mittelalter strategische Bedeutung, denn hier führte die Handelsstraße Via Regia durch, die es zu sichern galt. Schache schmunzelt. Er lebt gerne in der Region. Hier hat er alles, was er braucht. Kulturelles Leben in Halle, Leipzig oder Weimar. Die reizvolle Landschaft – auch als Thüringer Toskana bekannt – mit mäandernden Tälern von Saale und Ilm hat er direkt vor der Tür. Auch in Versen und Liedern ist die Schönheit der Gegend mit der Rudelsburg festgehalten. Der Berliner Student Franz Kugler dichtete 1826 während einer Saalewanderung:

    An der Saale hellem Strande
    stehen Burgen stolz und kühn
    Ihre Dächer sind zerfallen,
    und der Wind streicht durch die Hallen,
    Wolken ziehen d´rüber hin.
    Zwar die Ritter sind verschwunden,
    Nimmer klingen Speer und Schild;
    Doch dem Wandersmann erscheinen
    In den altbemoosten Steinen
    Oft Gestalten zart und mild.


    In Bad Kösens Innenstadt angekommen, trägt Helmut Schache die Kisten mit Plüschtieren in den Laden. Fast das ganze Sortiment steht nun wieder im Regal. Erika Siebert rückt sie alle an den rechten Platz und wartet auf Kundschaft.

    "Japan, China, Polen, Russen, Tschechen. Ich habe auslandsmäßig schon die unwahrscheinlichsten Kunden da gehabt. Kleine, große, Dicke, Dünne. Ich habe Eulensammler, Bärensammler, Hundesammler, jeden Alters: Mal drei, mal ein ganzer Bus. Ich habe mein Englisch dadurch aufgefrischt. Ich kann ein paar Brocken Russisch, ich kann vier Wörter japanisch: "konichiwa, domod" heißt "danke, bitte, auf Wiedersehen". Wenn die Chinesen kommen, sage ich "nihei" - das heißt "guten Tag". "Niuhau" ist "auf Wiedersehen". Das merkt man sich, das klappt. Am meisten freuen sich die Japaner, man kann "bitte" und "danke" sagen."

    Die Japaner sind nicht nur im Export Hauptabnehmer, sondern auch fleißige Käufer in Bad Kösen. Nach einem Solethermalbad kommen sie gerne in den Laden.

    "Die Japaner lieber ja alles, was bunt ist, das Bunte ohne Ende. Aber die kaufen auch die Tiere. Manche kaufen auch ganz viel. Dann muss der Dolmetscher bremsen. Die versuchen, den deutschen Namen auszusprechen. Also langweilig wird es hier nicht."
    Die Kösener Manufaktur ist seit Langem ein Arbeitgeber in der Region, auch Erika Seibert ist seit fast 40 Jahren dabei.

    "Wir kennen uns alle und dadurch klappt die Zusammenarbeit, wir sind alte Kösener. Herr Schache war Bürgermeister, da klappt das. Alle sind zuverlässig, sonst wären wir vielleicht heute auch nicht mehr da, wenn wir nicht alle zusammengehalten hätten."

    Helmut Schache lässt Erika Seibert im Laden zurück, steigt in sein Auto und fährt in Richtung Rudelsburg, die beständig hoch oben auf dem Bergrücken wacht. Die Zeiten in Bad Kösen waren nicht immer einfach.

    "Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, wir haben für uns jetzt das zweite Jahrhundert eingeläutet. Wir denken in Generationen. Nur so kann man Höhen und Tiefen überstehen."
    Lebensecht wirken die Plüsch-Eichhörnchen der Kösener Spielzeugmanufaktur
    Lebensecht wirken die Plüsch-Eichhörnchen der Kösener Spielzeugmanufaktur (Pressefoto Kösener Spielzeug Manufaktur GmbH)