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"Von Popmusik bis hin zu barocken Klängen"

"Wir haben uns in der weiten Welt der Musik einfach umgesehen und überlegt, sollen wir dieses oder jenes verwenden. Es hat mir großen Spaß gemacht, in der Band zu spielen", sagt Steve Hackett über seine Zeit bei der Band Genesis. Jetzt hat der Gitarrist Genesis-Songs aus den 1970er-Jahren neu eingespielt.

mit Thomas Elbern |
    Thomas Elbern: Hört man sich Ihr aktuelles Album "Genesis Revisited Vol. 2" an, dann ist das wie eine Reise in die Vergangenheit. Für den Genesis-Kenner ist die CD sogar vielleicht wie eine Art "Best of". Nach welchen Kriterien haben sie die Songs ausgesucht?

    Steve Hackett: Eigentlich habe ich die Songs ziemlich subjektiv ausgewählt. Es wird allerdings ziemlich schwierig, wenn man die Stücke nur nach dem Gitarrenaspekt beurteilt, da der nur einen Teil davon darstellt. Eigentlich war der Star immer das gesamte Ensemble gewesen und daraufhin habe ich die Songs ausgesucht.

    Thomas Elbern: Der Sound Ihres Albums ist gar nicht so weit vom Original entfernt. Alles klingt handgemacht, handgespielt und es scheinen keine Computer eingesetzt worden zu sein. War es gewollt, so sehr wie möglich nach den 70er-Jahren zu klingen?

    Steve Hackett: Eigentlich nicht, außerdem haben wir einen Computer benutzt. Der hat die Noten und Partituren für die einzelnen Musiker angezeigt. Ich habe versucht, so authentisch wie möglich an den Geist der frühen Aufnahmen heranzugehen. Ein Hintergedanke war auch, dass ich das Ganze live auf Tour spielen wollte, insofern habe ich mir beim Arrangement mehr Freiheiten gegönnt. Wir haben ganze sechs Monate an dieser Produktion gearbeitet und wir hatten in dieser Zeit wirklich eine Menge Songs für diese Doppel-CD zu bewältigen. Innerhalb der Songs gibt es zusätzliche Gitarrenparts oder etwas andere Gesangslinien, aber stets mit dem Ziel, diesen alten Geist so gut wie möglich wiederzugeben. Es ist nicht immer klar, welches Instrument man gerade hört, denn Genesis war eine Band, die sehr viel Wert auf Klangtexturen gelegt hat. Ein Teil der Genesis-Mystik bestand darin, dass man sehr oft nie genau sagen konnte, ob das nun die Gitarre oder das Keyboard ist. Oft war es eine Kombination. Es hätte ein Cembalo, eine zwölfsaitige Gitarre, eine E-Gitarre oder eine verzerrte Orgel sein können.

    Thomas Elbern: Wie würden Sie selbst das Hackett-Element, also ihren Einfluss auf Genesis beschreiben? Als Sie mit dabei waren, war die Gruppe Lichtjahre von der Chartband entfernt, die uns dann Songs wie "Mama" oder "We can't dance" präsentierte.

    Steve Hackett: Es ist wirklich sehr weit davon entfernt. Ich wollte immer eine Gruppe, die sehr dynamisch spielt und die einen weiten Horizont hat. Eine Band, die mit Leichtigkeit von Genre zu Genre wechseln kann, manchmal sogar in ein und demselben Stück. Der Begriff "Progressive" wurde damals übrigens noch nicht dafür verwendet.
    Wir haben uns in der weiten Welt der Musik einfach umgesehen und überlegt, sollen wir dieses oder jenes verwenden. Es hat mir großen Spaß gemacht, in der Band zu spielen und sich aus einer riesigen Fundgrube von Popmusik bis hin zu barocken Klängen zu bedienen. Genesis bestand aus verschiedenen guten Songschreibern, die alle zusammengearbeitet haben. Das Ganze war meistens sehr harmonisch, manchmal aber auch nicht.

    Thomas Elbern: Wie waren Ihre Erfahrungen auf dieser Tour mit dem Publikum? Sehen Sie noch viele ältere Leute , die Genesis noch aus den 7oern kennen. Oder kommen auch jüngere Musikfans, die ein echtes Original erleben wollen?

    Steve Hackett: Mir ist erst mal aufgefallen, dass ich ein meist männliches Publikum habe, obwohl die Musik auch Frauen gefällt. Die alten Songs scheinen allerdings bei allen Altersschichten anzukommen. Es ist sehr romantische Musik, die aber auch nicht so leicht zu konsumieren ist, wie es die späten Genesis waren. Am Ende bist du mit etwas erfolgreich oder nicht. Und ironischerweise ist es "Genesis Revisited Vol.2", das sich jetzt zum Hitalbum mausert und ziemlich gut verkauft. Das habe ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet. Ich glaube, wer noch mal den Geist der alten Genesis erleben will, wird mit diesem Album bestens bedient.

    Thomas Elbern: Als sie angefangen haben Gitarre zu spielen, gab es Leute wie Eric Clapton oder Jimi Hendrix. Sie haben die allerdings nicht imitiert, sondern lieber ihren eigenen Tappingstil entwickelt oder wie beim Song "Fly on the windshield" eine Gitarre gespielt, die eher wie ein Synthesizer klang. Wie sind Sie auf diese damals radikal neuen Klänge gestoßen? Durch Zufall oder durch Experimentieren?

    Steve Hackett: Ja, im Prinzip war es das Experimentieren mit dem Klang. Ich bin auf das Tapping gestoßen, als ich versucht habe, eine Melodie vom Keyboard auf der Gitarre zu spielen. Die einzige Möglichkeit war es, auf eine Saite am Gitarrenhals zu tippen, um genau diesem Sound hinzubekommen. Technik ist wichtig. Und es macht einen unverwechselbarer, wenn man seine eigene Spielweise entwickelt. Und dass meine Gitarre nicht unbedingt immer wie eine solche klingt, liegt daran, dass ich immer viel Zeit darauf verwendet habe, dem Instrument andere Klänge zu entlocken, für die es vielleicht gar nicht geschaffen wurde.

    Thomas Elbern: Sie waren einer der ersten, der die Flamencogitarre in den Rockkontext mit einbrachte.
    Sei es bei Genesis oder auf ihrem Soloalbum "Voyage of the acolyte". Heute ist so etwas völlig normal, aber war das in den 70er-Jahren auch so?

    Steve Hackett: Die Gitarre mit Nylonsaiten innerhalb einer Rockband einzusetzen war in den 70er-Jahren recht neu. Ich habe mich im Laufe meiner Karriere dann immer mehr mit Flamenco und der dazugehörigen Kultur beschäftigt. Ich habe immer versucht, das Wesen dieser Musik zu begreifen, die irgendwann von den spanischen Zigeunern kam und so tief geht. Flamenco ist ein wenig wie Heavy Metal. Du spielst die Gitarre so laut wie möglich, du tanzt dir die Seele aus dem Leib und machst das alles so, als ginge es um dein Leben. Es ist diese unglaublich hingebungsvolle Haltung, die ich sehr mag. Für mich muss Musik eine schon fast verzweifelte Intensität haben, sie muss magisch klingen. Ich habe mich mein ganzes Leben immer mit diesem Aspekt beschäftigt.

    Thomas Elbern: Hört man sich heutige Musik an, so hat man oft den Eindruck, dass sich die Genres immer schön voneinander abgrenzen. "Genesis Revisited" nimmt uns zurück in eine Zeit, in der innerhalb eines zehnminütigen Songs fast alle Genres abgedeckt wurden

    Steve Hackett: Ja. Es ist wirklich so. Und es gibt eigentlich auch keine "Progressive music", sondern ich würde das eher Crossover nennen.
    Früher nannte man das theatralischen Rock und die Amerikaner prägten dafür den Begriff Kunst Rock.

    Thomas Elbern: Gibt es immer noch so etwas wie den größten Wunsch im Leben von Steve Hackett?

    Steve Hackett: Der größte Wunsch - diese Frage hat mir noch nie jemand gestellt. Der Wunsch, das Ziel ist es immer, noch besser zu werden. Es gibt noch Spielraum nach oben. Ein besserer Gitarrensound - morgen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.