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Von Pussy Riot bis Richard Nixon

Das Filmfestival Doku.Arts zeigt in Berlin 22 Dokumentarfilme aus 17 Ländern über Architektur und bildende Kunst, Musik und Literatur, Kino und Fotografie. Der Schwerpunkt liegt 2013 auf nordafrikanischen und arabischen Filmen sowie Kompilationsfilme - Werke, für die vor allem Archivmaterial neu montiert wurde.

Von Bernd Sobolla |
    Die Protagonistin aus Stanley Kubricks Meisterwerk "Shining” wird von ihrem Mann bedroht und will sich in ihr Zimmer zurückziehen. Mit "Room 237", einer Analyse von "Shining", wird Doku.Arts eröffnet. Es ist zugleich der einzige Festivalfilm, der in Kürze regulär im Kino startet. In dem Werk zeigt der Filmemacher Rodney Asher die Botschaften, die "Shining" seines Erachtens erzählt. Denn um einen Mann, der in einem einsamen Hotel im Winter dem Wahnsinn verfällt, geht es für ihn nur oberflächlich betrachtet. Vielmehr schlussfolgert Asher, dass Kubrick in dem Film die düstersten Momente der Menschheit reflektierte: Dass er subtil sowohl den Holocaust als auch den Genozid an den Indianern thematisierte und auf Druck der US-Geheimdienste, den Mondflug von Apollo 11 visuell unterstützen musste. "Room 237" ist spannend, aber ebenso spekulativ, wie Festivalleiter Andreas Lewin einräumt.

    "Man könnte sogar so weit gehen, dass der Film selbst eine Parodie auf jegliche Filmkritik darstellt. Und er spielt mit dem, was heute im Internet auf vielen Kanälen und Blogs und Plätzen passiert, dass eben die Filmgeschichte wie eine Reanimation in einer audiovisuellen Form erlebt. Und daraus aber macht der Film aber ein eigenes Kunstwerk."

    Eine ähnlich bemerkenswerte Einsicht in die Politik gewährt der Kompilationsfilm "Our Nixon". Der frühere US-Präsident musste 1974 wegen der Watergate-Affäre zurücktreten. Drei seiner engsten Mitarbeiter waren Amateurfilmer, die rund 500 Super-8-Filmspulen in Nixons Umfeld drehten. Damals konfisziert und in den Tresor geschlossen, konnte die Dokumentarfilmerin Penny Lane 40 Jahre später das Material sichten und einen Film daraus machen, der Nixon in einem persönlichen Licht zeigt.

    ""Homosexualität und Immoralität sind die Feinde starker Gesellschaften. Deshalb treiben Kommunisten und Linke sie voran. Sie wollen uns zerstören.""

    Ganz im Hier und Jetzt verankert ist dagegen der auf dem Sundance-Festival ausgezeichnete Dokumentarfilm "Pussy Riot: A Punk Prayer". Darin porträtieren Mike Lerner und Maxim Posdorowkin drei Frauen der Moskauer Punkband "Pussy Riot". Sie zeigen die Vorbereitungen für den verhängnisvollen Auftritt 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und wie radikal die Band in ihren Liedern bereits zuvor Wladimir Putin angegriffen hatte, unter anderem bei einer Performance auf dem Roten Platz.

    "Schlampen pissen hinter die roten Mauern, Aufstände zeigen die Abtreibung des Systems. Wenn wir für die Freiheit ausgepeitscht werden, wird die Muttergottes kämpfen und die Feministin Magdalena mit uns demonstrieren. Aufstand in Russland: Putin pisst sich in die Hose! Aufstand in Russland: Besetzt den Roten Platz!""

    Ruhiger, aber nicht weniger intensiv, sind die Filme, die sich der arabischen Kultur widmen, wie Andreas Lewin erläutert.

    ""Zum Beispiel Christoph Hübner, der deutsche Dokumentarist, hat eben gerade eine ganz neue Dokumentation gemacht über den deutschen Jazz-Pianisten Joachim Kühn, der sich einen Lebenstraum erfüllt und in Marokko eine CD aufnimmt mit marokkanischen Musikern."

    Joachim Kühn, eine Jazz-Legende, geht nach Marokko, um dort mit dem Sänger und Guembri-Spieler Majid Bekkas und dem Schlagzeuger Ramon Lopez ins Studio zu gehen. Aber nicht nur: Vier Wochen verbringen sie gemeinsam, und Christoph Hübner ist immer dabei: Wenn sie in die Wüste fahren, um eine traditionelle Trommlergruppe zu treffen, wenn sie Abstecher in den marokkanischen Alltag machen oder eine Kasbah besuchen. Und fast nebenbei nimmt er Mijid Bekkas Trauergesang für John Lee Hooker auf. Ein wunderbarer Film über Musik, Musiker und die Magie des kulturellen Austauschs.

    Und die ägyptische Künstlerin Maha Maamoun zeigt in ihrem Kompilationsfilm "Domestic Tourism II" wie die Pyramiden in den vergangenen 60 Jahren immer wieder in ägyptischen Filmen auftauchten und auch instrumentalisiert wurden. Andreas Lewin:

    "Was mich erstaunt hat bei diesem Film, war auch der inhärente satirische Biss, den innerhalb der ägyptischen Kultur man gegenüber dem Phänomen des Tourismus auch hat. Aber auch die ganze Romantik, die in dem Motiv steckt, die dann teilweise auch wieder dekonstruiert wird."

    Zum bespiel wenn das fiktive Verschwinden der Cheops-Pyramide dazu führt, dass überall auf der Welt plötzlich Menschen um ihre nationalen Symbole fürchten. Doku.Arts, das ist ein außergewöhnliches Festival, das durch Diskussionen mit Filmemachern abgerundet wird und Filmperlen präsentiert, von denen die meisten hierzulande nie wieder zu sehen sein werden.

    Das FestivalDoku.Arts wird am 11. September im Zeughauskino in Berlin Mitte eröffnet und läuft dort bis zum 29. September.